Immer mehr Städte und Gemeinden im Kreis Böblingen überlegen, ob sie die Initiative Seebrücke unterstützen. Herrenberg gehört zu den Vorreitern, Renningen debattiert heute, Rutesheim hat abgelehnt. Aber wer steckt hinter der Aktion?

Renningen - Klar, das Mittelmeer ist weit weg. Die Nachrichten von den ertrinkenden Menschen dort sind aber trotzdem allgegenwärtig. „Als ich das gesehen habe, habe ich gesagt: Ich muss auch politisch was tun“, sagt Henry Müller-Späth. Der 61-Jährige ist einer der Mitstreiter der Initiative „Seebrücke – schafft sichere Häfen“, die auch im Kreis Böblingen präsenter wird.

 

Am Montag zum Beispiel beriet der Renninger Gemeinderat, ob er die Seebrücke unterstützt. Herrenberg war die erste Stadt im Kreis, die beigetreten ist. In Leonberg läuft eine Petition, Gemeinderatsfraktionen haben schon ihr Interesse signalisiert. Böblingen und Rutesheim indes haben das Anliegen bereits behandelt, aber abgelehnt.

Das sind die Akteure

Aber wer sind die Akteure der Seebrücke vor Ort? Die Sindelfingerin Sanja Jäger erinnert sich noch gut, als im Juni 2018 das Rettungsschiff Lifeline mit 234 geretteten Menschen an Bord tagelang keinen Hafen anlaufen durfte. „Dann ging alles ganz schnell“, sagt die 25-Jährige, die damals bundesweit zu den ersten Mitgliedern gehörte. Jemand habe den Begriff „Seebrücke“ geprägt, ein Logo ersonnen, auch das markante Orange, in dem alle Materialien gehalten sind. „Innerhalb einer Woche haben wir die erste Demonstration in Sindelfingen organisiert“, sagt sie.

Eine der ersten Aktionen in Deutschland war das. Und stressig, hat sich aber gelohnt. 300 Menschen sind gekommen. „Ja, das hat uns – in Anbetracht der Kürze der Zeit – schon überrascht.“

Etwas später, im April 2019, ist Henry Müller-Späth dazugestoßen. Er gehört einer anderen Generation an. „Ich war überrascht, wie ich den Altersdurchschnitt anhebe“, sagt er und muss schmunzeln. „Die Zusammenarbeit ist aber von einer hoher gegenseitigem Wertschätzung getragen.“ Müller-Späth war zuvor schon lange in der Flüchtlingsarbeit engagiert, so wie die meisten Seebrücke-Mitstreiter. Beim Arbeitskreis Asyl in Leonberg ist er seit 2015, hat zum Beispiel gleich am Anfang eine kurdische Familie betreut. „Ich habe mich dann bereit erklärt, den Gedanken der Seebrücke in den Raum Leonberg zu tragen“, sagt er.

Grundgedanke der Initiative ist es, einen Gegenpol zur Politik der Abschottung zu schaffen und diesen in den Kommunen vor Ort zu verankern. Städte und Gemeinden sollen sich mit Menschen auf der Flucht solidarisch erklären und freiwillig Flüchtlinge aufzunehmen, die aus Seenot gerettet wurden, sofern kein EU-Land die Hilfesuchenden aufnimmt. „Städte sicherer Häfen“ heißt das kommunale Bündnis. Für Sanja Jäger ist das Engagement dort selbstverständlich. „Jeder Mensch hat das Recht auf ein menschenwürdiges Leben“, sagt sie, deshalb müsse man die Rettung im Mittelmeer unbedingt voran bringen. „Die Alternative, nichts zu tun, ist zu grausam.“

Mehr als 300 Menschen sind im Juli 2018 zur Demo nach Sindelfingen gekommen. Foto: factum/Weise

Auch Sanja Jäger, gelernte Erzieherin und Studentin der Sozialen Arbeit, hat sich vorher in der Flüchtlingsarbeit engagiert. Eine Handvoll Menschen sind es nun, die die Seebrücke im Kreis Böblingen voran bringen. Ein halbes Duzend Demonstrationen hat es gegeben, eine Filmreihe über die Seenotrettung haben die Mitstreiter in den Kinos in Leonberg, Herrenberg, Sindelfingen und Weil der Stadt organisiert, jeweils mit Thomas Nuding, dem Kapitän der „Sea-Eye“.

„Jetzt beschäftigen wir uns mit der Frage, wie wir das Thema in die Kommunalpolitik tragen können“, sagt der Leonberger Henry Müller-Späth. Selbst ist er ausgebildeter Theologe, war schon Pastor bei einer evangelischen Gemeinschaft, hat aber auch in der Finanzberatung, in der Flüchtlingsarbeit gearbeitet und bildet sich jetzt weiter zum Betreuer von Menschen, die sich nicht mehr rechtliche vertreten können.

Herrenberg war Vorreiter bei der Unterstützung der Seebrücke. Die Aktivisten hatten dort 1000 Unterschriften gesammelt und verschiedene Veranstaltungen organisiert. Jetzt heißt es im dortigen Gemeinderatsbeschluss, die Stadt wolle „freiwillig aus Seenot gerettete Flüchtlinge aufnehmen, sofern sich kein EU-Land dazu bereit erklärt“. „Diesen Beschluss wünschen wir uns auch vom Renninger Gemeinderat“, sagt Sanja Jäger. In Renningen steht das Thema heute Abend auf der Tagesordnung. „Eigentlich hätten wir die Sitzung mit einer Mahnwache begleitet“, sagt die Initiatorin der Aktion im Kreis Böblingen. Das fällt wegen Corona natürlich aus. „Deshalb appellieren wir trotzdem an die Menschlichkeit.“

Killinger: Es ist eine nationale Aufgabe

Der Böblinger Gemeinderat hat das Anliegen bereits abgelehnt, ebenso Rutesheim. Das hatte die Gabl-Fraktion dort beantragt, fand aber in einer nicht-öffentlichen Vorberatung des Verwaltungsausschusses Mitte Januar keine Mehrheit.

„Die Aufnahme von Flüchtlingen und die Verteilung auf Erstaufnahmestellen ist eine nationale Aufgabe“, sagt der Rutesheimer Erste Beigeordnete Martin Killinger auf Nachfrage unserer Zeitung. Trotz der immensen Wohnungsnot habe der Kreis Böblingen die Aufnahme immer gesamtsolidarisch erfüllt. Das wolle man auch weiterhin tun. „Wir sprechen uns aber gegen einen Sonderweg einer Direktzuweisung an aufnahmebereite Kommunen aus“, erklärt Killinger.

In Leonberg läuft derzeit eine Petition und eine Unterschriftensammlung. Später will Henry Müller-Späth dann mit Stadträten ins Gespräch kommen, um das Anliegen in die Kommunalpolitik zu bringen.

Zu den ersten Unterzeichnern der Initiative gehörte übrigens Herrenbergs Nachbarstadt Rottenburg. Dort wurden vor einigen Monaten die ersten beiden Geretteten – zwei 18-jährige Somalier – aufgenommen.