Eine Pilotstudie zur Inklusion an Schulen bescheinigt der Stadt erfolgreiche Arbeit. Bemängelt wird, dass zu wenig Sonderpädagogen im Einsatz sind.

Stuttgart - Mit welchem Erfolg der gemeinsame Unterricht für Kinder ohne und mit Behinderungen in der Praxis läuft, ist bisher nur an schulischen Leistungen bemessen worden. Die Stuttgarter Sozialverwaltung hingegen wollte wissen, ob sich die Kinder in den Klassen wohlfühlen, ob alle gleichermaßen ins schulische Leben und Lernen eingebunden und welche Faktoren dafür ausschlaggebend sind. Deshalb sind 2014 und 2015 insgesamt 762 Eltern, 804 Schüler, 25 Schulleiter, 118 Lehrer aus Regelschulen und 52 aus Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ, früher Sonder-/Förderschulen) befragt worden.

 

Die Angaben der Lehrer und Rektoren bezogen sich auf rund 3500 Schüler, vorwiegend aus der Primarstufe. Mehr als die Hälfte von ihnen hält weder die Größe noch die Gestaltung der Schulen für funktional, nutzerfreundlich und barrierefrei. Ebenso viele von ihnen sind der Ansicht, dass die personelle Ausstattung unzureichend ist. Jeweils 30 bis 40 Prozent stimmen dem nur zum Teil zu. Der Wunsch der Lehrer ist, dass Sonderpädagogen über längere Zeiträume an der Regelschule bleiben können und nicht schnell wieder zurück in ihr Stammschulhaus müssen. Bisher haben Regelschulen selten Sonderpädagogen im Kollegium, einige Gemeinschaftsschulen ausgenommen.

Hetzfahrten von Schule zu Schule

Das bedeutet, dass die SBBZs ihre zu Sonderpädagogen ausgebildeten Lehrer an Regelschulen entsenden müssen – und diese Lehrer fühlen sich gehetzt. Das bemängelte jüngst auch der Elternbeirat der Hasenbergschule. Sie ist eine Förderschule für Kinder mit Lernschwächen und entsendet Sonderpädagogen zu 50 Inklusionskindern an insgesamt sechs Regelschulen im Westen und in Botnang. Die rund 60 Kinder im SBBZ würden ihre Lehrer oft auf dem Sprung erleben. „Wir befürchten, dass die für Förderschüler so wichtige Beziehungsarbeit zu kurz kommt und eine gute Lernentwicklung verhindert wird“, schilderte die stellvertretende Vorsitzende des Elternbeirats, December Lynn Zawinell.

Insgesamt 164 Sonderpädagogen aus 18 SBBZs sind nach Angaben des Staatlichen Schulamts an allgemeinbildende Schulen abgeordnet. Einige Stellen seien wegen Krankheit, Mutterschutz oder nicht angetretenen Stellen nicht besetzt, so Matthias Kaiser vom Staatlichen Schulamt. „Die Defizite werden durch Nachsteuerung teilweise ausgeglichen. Erst danach können wir hierzu konkrete Aussagen machen.“

Die Sonderpädagogen unterrichten, bilden und begleiten Inklusionskinder an insgesamt 74 allgemeinbildenden Schulen in Stuttgart. Der überwiegende Teil von ihnen besucht lediglich eine Regelschule; 17 sind an zwei und eine Fachkraft für Sehbehindertenpädagogik sogar an drei Regelschulen abgeordert.

Mechthild Ziegler, Landesvorsitzende des Verbands Lernen Fördern, hat jüngst bei einer Verbandstagung Engpässe an den Sozialpädagogischen Zentren bemängelt. Sie fordert eine „Ausstattung mit den notwendigen Ressourcen, denn Kinder mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot im Förderschwerpunkt Lernen dürfen nicht die Verlierer sein“.

Lehrer sind Mangelware

Die Zahl der ausgebildeten Sonderpädagogen auf dem Arbeitsmarkt bleibt niedrig: „Wir konnten zu diesem Wintersemester 205 Plätze vergeben. Beworben hatten sich 1100 Interessenten“, sagt Anne Nörthemann, Pressesprecherin der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. In Absprache mit dem Kultusministerium werde die Zahl der Studienplätze, abhängig von Bedarfsprognosen und Hochschulkapazitäten, festgelegt.

Was die emotionalen Erfahrungen mit Inklusion angeht, hat die Stuttgarter Erhebung fast durchweg positive Ergebnisse zutage gefördert. Fast alle Eltern waren mit dem Gesundheitszustand ihrer Kinder sehr zufrieden, die Entwicklung ihrer Kinder stuften drei Viertel als normal ein (jeweils circa zehn Prozent als langsamer/rascher). Das Unterrichtsmaterial schien dem überwiegenden Teil passend für ihr Kind und auch die Frage, ob ihr Kind immer gut behandelt wird von Mitschülern, haben 89 Prozent bejaht. Diese Einschätzung wird durch die Antworten der Kinder gestützt: 80 Prozent der Schüler „haben viel gelacht“, hatten sich nicht allein oder krank, sondern wohl gefühlt, und mehr als 70 Prozent hat es beim Lernen geholfen, dass in einigen Stunden zwei Lehrer da sind.

Bemerkenswert ist , dass es zwischen den Angaben der Regelschüler und der Schüler aus Inklusionsklassen oder SBBZs nur minimale Unterschiede gibt. „Das ist keine flächendeckende Untersuchung, aber wir bekommen erste Fingerzeige und können die Thesen überprüfen“, sagte Sozialbürgermeister Werner Wölfle, als er den Bericht im Sozialausschuss vorstellte und dafür plädierte, die Untersuchung im Zwei-Jahres-Rhythmus fortzusetzen. Das Gesundheitsamt müsste dafür jeweils 30 000 Euro bei den Haushaltsplanberatungen anmelden.