Online-Durchsuchungen, Sicherheitsgewahrsam für drei Monate, Fußfesseln: Das umstrittene Polizeiaufgabengesetz in Bayern räumt den Beamten mehr Rechte ein. Die unabhängige Richter-Kommission legt nun ihre Einschätzung dazu vor.

München - Im vergangenen, dem bayerischen Wahljahr, waren die Demonstrationen gegen das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) die größten, die München seit Jahrzehnten erlebt hatte. Heute ist es ruhiger geworden – auch, weil eine sechsköpfige, unabhängige Kommission der Regierung und der Polizei bei der Umsetzung auf die Finger schaut. Diese Juristengruppe unter Leitung des früheren bayerischen Verfassungsgerichtspräsidenten Karl Huber hat am Mittwoch nun einen Zwischenbericht vorgelegt. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hätte diesen, so ließ Huber durchblicken, gerne schon vor der Landtagswahl im Oktober gehabt; das Gremium habe aber abgelehnt: „Wir sind nicht Teil des Wahlkampfs.“

 

Das neue PAG, vom Landtag beschlossen im Mai 2018, und sein Vorgängergesetz „zur Überwachung gefährlicher Personen“ vom Juli 2017, sollen laut CSU-Regierung ein Modell für Deutschland sein. Beide Gesetze waren aber deshalb sehr in die Kritik geraten, weil sie der Polizei bedeutend mehr Rechte einräumt. Sie braucht nun keine „konkrete“ Gefahr mehr, um präventiv gegen dubiose Personen vorzugehen; eine „drohende“ Gefahr reicht. Dann sind Online-Durchsuchungen von Computern, Kontaktverbote, Aufenthaltsanordnungen, Fußfesseln und auch eine DNA-Untersuchung von Spurenmaterial erlaubt, die Rückschlüsse auf das Aussehen eines mutmaßlichen oder von der Polizei behaupteten Gefährders erlaubt. Beispielsweise ob jemand dunkelhäutig ist. Hinzu kommt die Möglichkeit, Verdächtige vorbeugend in „Sicherheitsgewahrsam“ zu nehmen – nicht mehr nur für zwei Wochen wie zuvor, sondern bis zu einem Zeitraum von drei Monaten, der nach Richteranordnung praktisch unbegrenzt verlängert werden kann. Hier ist aber eine „konkrete“ Gefahr die Voraussetzung.

Ungewöhnliche Schritte

Als überzogen und als grundgesetzwidrig bezeichneten selbst hochrangige Juristen und die politische Opposition die Bestimmungen des PAG. Zwar verteidigte Innenminister Herrmann das Gesetz; an allen wichtigen Stellen seien „Richtervorbehalte“ eingebaut, „so viele wie noch nie“; es müsse niemand Angst vor Polizeiwillkür haben. Um auf die Kritik zu reagieren, unternahm er dennoch zwei ungewöhnliche Schritte: Er schaltete eine Internetplattform, wo Bürger ihre Anfragen und ihre Bedenken äußern konnten – 100 000 sind es allein auf Facebook geworden –, und er berief hochrangige ehemalige Richter in eine Kommission, welche die Umsetzung des PAG überwachen soll. Dabei ist auch der bayerische Landesbeauftragte für Datenschutz, Thomas Petri. In keinem anderen Bundesland existiert eine solche Kommission.

Viele Zahlen gibt es noch nicht; das Gesetz ist noch jung, und weil es an der Basis letztlich von einigen zehntausend Polizisten umgesetzt werden muss, fehlen – zu deren Art des Vorgehens und zur „Tiefe ihrer Ermittlungen“ – statistische Grundlagen in der Breite. Präventiv-Gewahrsam von mehr als einem Tag ist laut Kommissionsleiter Huber während der ersten zwölf Monate in insgesamt 29 Fällen verhängt worden; länger als zwei Wochen (bis unter zwei Monate) dauerte er in 11 Fällen. Diese Zahlen stuft Huber als „sehr gering“ ein. „Durchaus auffällig“ sei aber, dass „in einigen Fällen kein Anwalt beigezogen“ worden sei.

„Es soll was herauskommen“

Online-Durchsuchungen hat es laut Datenschützer Thomas Petri bisher „in null bis ein Fällen pro Jahr“ gegeben; er vermute, das werde auch „im einstelligen Bereich bleiben.“ Zur Untersuchung von Datenträgern wiederum gebe es keine Statistiken, sagt Petri. Und Erwin Allesch, lange Jahre Vizepräsident des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, fügte hinzu, bisher hätten keine Bürger gegen polizeiliches Vorgehen aufgrund des neuen PAG geklagt. Ob es dafür tatsächlich keinen Grund gebe, ob Betroffene aus anderen Motiven nicht klagen wollten oder das Gesetz einfach noch zu jung dafür sei, müsse offenbleiben.

Die Prüfung eines Gesetzes, so steht es im Zwischenbericht der Kommission, erfolge „zumeist“ in einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren. Die neue bayerische Koalition aus CSU und Freien Wählern hat aber die Frist auf die erste Jahreshälfte 2019 beschränkt. Man fühle sich deshalb „etwas unter Zeitdruck“, sagte Kommissionsleiter Huber, der das aber nicht als Kritik verstehen wollte: Die sechs Experten leisteten diesen Berg an Arbeit ehrenamtlich und seien durchaus froh, wenn sie ihn auch mal wieder hinter sich hätten. Eines sei aber klar: „Wir machen das nicht l’art pour l’art. Es soll was dabei herauskommen. Empfehlungen werden wir sicher abgeben.“