Mursal Rasekh auf Afghanistan und Veronique Kenmeugne aus Kamerun sind nach Deutschland geflüchtet und haben einen Neustart gewagt.

Leonberg - Erst die Sprache, dann ein fester Job – so lautet die Formel für eine gelungene Integration von Flüchtlingen. Doch der berufliche Einstieg ist schwer, auch wegen der bürokratischen Hürden. Vielen Geflüchteten bleibt so nichts anderes übrig, als sich mit ehrenamtlichen Tätigkeiten, Praktika oder Hilfsjobs zu begnügen. Doch es gibt auch positive Beispiele: Mursal Rasekh flüchtete vor den Taliban und macht jetzt eine Ausbildung zur Erzieherin. Veronique Kenmeugne wurde in ihrer Heimat Kamerun schikaniert, sie ist angehende Altenpflegefachkraft.

 

Ihr Kopftuch wurde nur einmal zum Thema, wenngleich auf eher amüsante Weise: Ganz am Anfang habe sie ein Mädchen mit staunendem Blick gefragt, warum sie denn „ein Handtuch“ auf dem Kopf trage, erinnert sich Mursal Rasekh und muss lachen. Damals hatte sie ihr Haar noch verhüllt, wie das Frauen in Afghanistan eben tun. Und auch ihr Deutsch sorgte nicht für Lacher. „Die Kinder haben mich von Anfang an akzeptiert, und ich hatte mich sofort wohlgefühlt“, sagt die 26-Jährige – das war für sie auch mit der Grund für eine Ausbildung als Erzieherin.

Seit September lernt sie an der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik in Stuttgart-Botnang – den Ausbildungsplatz hat sie mit Hilfe von Heidi Fritz, Leiterin des Arbeitskreises Asyl, gefunden. In der Praxisphase ist sie im Clara-Grunwald-Kindergarten in der Gartenstadt. Dort kennt man sie bestens. Schon kurz nach ihrer Ankunft in Leonberg Anfang 2015 – damals wohnte sie mit ihrer Mutter und der jüngeren Schwester in der Sammelunterkunft am Krankenhaus – hatte sie ehrenamtlich Flüchtlingskinder betreut, später war sie Kulturdolmetscherin. Für die Leiterin Sandra Fink war „Mursi“ schon damals ein „echter Glücksgriff“.

Schnell die Sprache zu lernen ist wichtig

Möglichst schnell die deutsche Sprache zu lernen und Arbeit zu finden, war für die 26-Jährige selbstverständlich. „Ich hatte schon immer ein schlechtes Gewissen, dass uns der Staat jeden Monat Geld überweist“, sagt die Leonbergerin und meint: „Ich habe mich nicht gut gefühlt bei dem Gedanken, dass andere arbeiten müssen, um Geld zu verdienen, und wir es einfach geschenkt bekommen.“ Deshalb packte sie jede Gelegenheit beim Schopf und half anfangs mit ihrer Mutter unter anderem im Leonberger Diakonieladen aus.

Damals in Kabul wollte sie Lehrerin werden, sie studierte Biologie und arbeitete an einer Mädchenschule. Dies kam bei den Taliban nicht gut an. Und schon gar nicht als sie, wie auch ihre ältere Schwester, Wahlkampf für den früheren Präsidenten Hamid Karzai machte. Das Leben in der afghanischen Hauptstadt wurde immer mehr zu einem Überlebenskampf, und der Familie blieb nichts anderes übrig, als die Koffer zu packen. Nach einer dreimonatigen Odyssee kam sie mit ihrer Mutter und Schwester Ende 2014 in München an. Den Vater verloren sie auf dem Fußmarsch, er ist wieder in Afghanistan. Mit den Gedanken ist sie immer bei ihm, und dass sie nicht komplett verzweifelt, liegt auch an der Ausbildung, die ihr viel abverlangt. Da bleibt auch kaum Zeit fürs Gitarrespielen, das sie sich selbst beibringt.

Staatliche Kindergärten gibt es nicht in dem vom Krieg geplagten Land. „Wer Geld hat, lässt seine Kinder privat betreuen“, sagt sie. Aber die meisten wüchsen bei den Eltern auf. „Im Kindergarten lernen sie natürlich viel mehr, ganz zu schweigen von den sozialen Kompetenzen“, meint Rasekh, die auch angetan war von einem kürzlichen Besuch der Polizei, um die Kleinen mit dem richtigen Verhalten auf der Straße vertraut zu machen. Dann schlägt sie ein Buch auf – Prescious und Damiano warten schon gespannt. Sie setzt sich aber nicht auf das kleine Sofa im Lesezimmer, sondern zu den beiden auf den Boden und spricht von einem „wichtigen pädagogischen Ansatz“.

Der Anfang in Deutschland war schwer

Die ersten Monate waren nicht einfach, sie musste sich an vieles gewöhnen – selbst an alltägliche Dinge, die aber in der afghanischen Gesellschaft nicht auszudenken sind. „Ich weiß noch, wie ich beim Reden immer auf den Boden gestarrt habe“, erzählt sie. Und auch einem Mann die Hand zu schütteln, kostete sie Überwindung. Gleiches galt für das Ablegen des Kopftuchs. Ihre Mutter, die vom Afghanistan der 70er Jahre schwärmt, als „keine Frau ohne Minirock unterwegs war“, habe ihr aber auch dazu geraten. In Leonberg hat sie viele Freunde gefunden, und dass sie als Frau Männern gleichgestellt ist, gefällt ihr am besten. „In Afghanistan muss man darum kämpfen, hier hat man es umsonst.“

Für Veronique Kenmeugne hat sich mit der Ausbildung bei der Samariterstiftung ein kleiner Traum erfüllt. „Ich habe schon immer gerne mit Menschen gearbeitet“, sagt die Frau, die jetzt im zweiten Lehrjahr ist. In Kamerun habe sie früher in einer gemeinnützigen Einrichtung Straßenkinder betreut. Deshalb falle ihr auch die Arbeit mit Senioren nicht schwer. „Ältere Menschen sind doch manchmal auch wie kleine Kinder!“, sagt sie über ihre Arbeit im Seniorenzentrum am Parksee.

Die Ausbildung besteht aus zwei Teilen. Zunächst durchläuft Kenmeugne eine zweijährige Altenpflegehilfeausbildung mit integrierter Sprachförderung. Und wenn alles klappt, folgt dann ab Herbst 2018 die Ausbildung zur Altenpflegefachkraft, die zwei weitere Jahre dauert. Die 39-Jährige ist für die grundpflegerische Versorgung der Senioren zuständig. Das bedeutet: Sie hilft beim Waschen und Ankleiden, verteilt das Essen und misst den Blutdruck. Nur Medikamente darf sie noch nicht verabreichen.

Manchmal habe sie das Gefühl, dass dem ein oder anderen ihre Hautfarbe nicht passe, auch wenn sie nicht direkt darauf angesprochen werde. „Aber wenn ich freundlich bin und meine Arbeit gut mache, dann ist die Hautfarbe egal!“, ist sie überzeugt. Letztlich sei es in einem Seniorenheim auch nicht anders, als draußen auf der Straße: Manche hätten Vorurteile, andere eben nicht. Dennoch betont die Frau, die seit drei Jahren in Leonberg lebt: „Deutschland ist ein offenes Land und geht mit Flüchtlingen besser um als andere Länder.“

Das harte Leben in Kamerun

Das Leben in der Hauptstadt Yaounde war für die aus dem Westen des Landes stammende Frau hart. Kamerun setzt sich aus einem französisch- und englischsprachigen Teil zusammen – ein Umstand, der auf seine Kolonialgeschichte zurückgeht. Nur etwa 20 Prozent der 22 Millionen sind anglofon – sie leben vor allem in Westkamerun und beklagen eine Benachteiligung gegenüber der mehrheitlich französischsprachigen Bevölkerung in dem Land, das der frankofone Präsident Paul Biya mit eiserner Hand regiert. Schlüsselpositionen in der Verwaltung bleiben ihnen verwehrt, und wer sich gegen das Regime auflehnt, wird schikaniert. „Manchmal entscheidet der Name, ob man einen Job bekommt“, sagt sie.

Mit der Ausbildung sei das Selbstwertgefühl der beiden Frauen enorm gewachsen, und sie erleichtere auch ihre Integration. Mursal Rasekh hat mit dem Thema Studieren zwar noch nicht abgeschlossen, doch sie möchte nach ihrer Ausbildung im Kindergarten arbeiten – „am liebsten im Clara-Grunwald-Kindergarten“. Auch wenn ihre Aufenthaltsgestattung für drei Jahre gilt, kann sie sich eine Rückkehr nicht vorstellen. „Zuhause ist, wo man sich sicher fühlt!“, sagt sie. Auch die Zukunft für Veronique Kenmeugne ist ungewiss. Die 39-Jährige hofft, dass die Ausbildung ihre Chancen auf einen dauerhaften Verbleib steigert. „Pflegekräfte werden doch dringend gesucht in Deutschland“, sagt sie, weiß aber: „Hier kommt man nur mit Leistung weiter!”