Angesichts der niedrigen Zinsen kaufen wieder mehr Deutsche Investmentfonds. In anderen Ländern sind Aktien aber beliebter.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Frankfurt/Main - Die Zahl der Aktienbesitzer in Deutschland ist zurück auf Vorkrisenniveau. 10,3 Millionen Bundesbürger besaßen 2018 Anteilsscheine einzelner Unternehmen oder Aktienfonds, wie das Deutsche Aktieninstitut (DAI) am Mittwoch mitteilte. So hoch war die Zahl der Aktienbesitzer zuletzt 2007, ehe die Finanzkrise viele Kleinanleger in die Flucht schlug. Angesichts der niedrigen Zinsen auf Bankeinlagen und andere Sparprodukte steigt das Interesse an Aktien seit einigen Jahren wieder.

 

Genauer: das Interesse an Aktienfonds. Die Zahl der Anleger, die ihr Depot selbst aus Anteilsscheinen einzelner Unternehmen zusammenstellen, ging 2018 zum wiederholten Mal zurück. Dass die Zahl der Aktienbesitzer dennoch um eine Viertelmillion stieg, liegt ausschließlich an der höheren Nachfrage nach Investmentfonds.

In den USA besitzt jeder zweite Haushalt Aktien oder Aktienfonds

Bezogen auf die Bevölkerung ab 14 Jahren liegt der Anteil der Aktieninhaber bei 16 Prozent, auch diese Quote wurde zuletzt 2007 erreicht. In anderen Ländern ist der Besitz von Aktien sehr viel stärker verbreitet. Ein direkter Vergleich ist wegen der uneinheitlichen Datenbasis schwierig, klar ist aber: In den USA besitzt jeder zweite Haushalt Aktien oder Aktienfonds. Das hängt mit der Standardform der Betriebsrente in den Vereinigten Staaten zusammen: Die meisten Arbeitgeber überweisen dort den Teil des Lohns, den ihre Beschäftigten fürs Alter zurücklegen möchten, schlicht und einfach an eine Fondsgesellschaft.

Für die EU zeigen Zahlen des Statistikamts Eurostat, dass Aktieninvestments in vielen Staaten eine größere Rolle spielen als hierzulande. In Deutschland stecken durchschnittlich 21 Prozent des Geldvermögens der privaten Haushalte in Aktien oder Investmentfonds, wobei hier neben Aktienfonds auch Anleihe- oder Immobilienfonds erfasst sind. Niedriger liegt der Anteil dieser Anlageklassen an den Geldvermögen der Haushalte nur in einigen osteuropäischen Staaten sowie in den Niederlanden, Großbritannien und Irland.

Die Erklärung liegt auch hier in den Altersvorsorgesystemen

Dieser Befund überrascht auf den ersten Blick. Doch die Erklärung liegt auch hier in den Altersvorsorgesystemen: In den Niederlanden haben mehr als 90 Prozent aller Arbeitnehmer eine betriebliche Altersvorsorge, die über einen Pensionsfonds oder eine Versicherung organisiert wird. Letztere investieren durchaus in Aktien, die aber nicht den späteren Betriebsrentnern zugerechnet werden.

In Großbritannien wurden die Unternehmen ab 2012 nach und nach verpflichtet, ihren Arbeitnehmern eine betriebliche Altersvorsorge anzubieten. 2017 profitierten davon laut Zahlen der britischen Statistikbehörde bereits mehr als 70 Prozent der Beschäftigten. In Irland spielten Lebensversicherungen traditionell eine wichtige Rolle für die private Altersvorsorge, ähnlich wie in Deutschland.

Viele Deutsche scheuen das Risiko

Dass dem so ist, hängt mit staatlichen Vorgaben zusammen. Beiträge für eine private Rentenversicherung können in Deutschland in der Regel von der Steuer abgesetzt werden. Wer mit einem Fondssparplan Geld zurücklegt, kann die regelmäßigen Einzahlungen nur dann steuerlich geltend machen, wenn es sich um ein anerkanntes Altersvorsorgeprodukt handelt. Das gilt für Riester-Fondssparpläne – von denen es auf dem Markt nicht viele gibt.

Seit der Jahrtausendwende geht die Verzinsung von Lebensversicherungen jedoch stetig zurück. Laut Statista sank sie von einem Durchschnittswert über sieben Prozent im Jahr 2000 auf 2,5 Prozent. Aktien werden damit als Alternative attraktiver, doch dieser Gedanke setzt sich nur langsam durch.

„Gesetzliche Rente und Lebensversicherung waren für die meisten lange ausreichend und auch durchaus erfolgreich“, sagt der Mannheimer Wirtschaftsprofessor Manfred Weber, der seit Jahrzehnten die Entstehung von Anlageentscheidungen erforscht. „Nun wird den Leuten gesagt, sie sollen verstärkt in Aktien reingehen. Aber viele haben Probleme, die Risiken einzuschätzen, und wissen auch nicht, was sie konkret machen sollen.“

Die Bürger haben Verständnisprobleme

Weber empfiehlt Investmentfonds mit einer möglichst breiten Ausrichtung – beispielsweise Indexfonds (ETF) auf den weltweiten Aktienindex MSCI World, der die Kursentwicklung der wichtigsten Unternehmen in den Industriestaaten abbildet. Dadurch werde das Risiko minimiert, erläutert er: „Dass so viele Unternehmen pleitegehen, dürfte kein Anleger je erleben.“ Neben der breiten Streuung gelte es, auf die Fondsgebühren zu achten: „Wenn die Leute hören, die Kosten lägen bei 1,5 Prozent, halten sie das für wenig. Aber die fallen eben jedes Jahr an und kumulieren sich. Wir haben da also Verständnisprobleme, die die optimale Entscheidung einfach schwer machen für den Bürger.“

Der Wissenschaftler plädiert daher für einen staatlichen Vorsorgefonds wie in Schweden, der einen Teil der Rentenbeiträge der Beschäftigten am Kapitalmarkt anlegt. „Da werden die Bürger mit der Entscheidung nicht allein gelassen“, sagt Weber. Immerhin sei durch das wachsende Angebot an kostengünstigen Fonds Bewegung in den Markt gekommen: „Heute haben fast alle meine Studierenden einen Fondssparplan.“ Je nach Anbieter reichen dafür schon Einzahlungen von 25 Euro im Monat.

Niedriges Einkommen, wenig Aktien

Passend zu Webers Beobachtungen registriert auch das DAI in seiner Erhebung ein wachsendes Interesse an Aktien bei jungen Anlegern: In der Gruppe der 14- bis 39-Jährigen stieg der Anteil der Aktienbesitzer seit 2014 von acht auf elf Prozent. Kaum geändert hat sich die Verteilung über die Einkommensklassen. Während unter den Befragten mit einem Haushaltsnettoeinkommen ab 4000 Euro jeder dritte Aktien oder Aktienfonds besitzt, liegt die Quote bei einem Haushaltsnettoeinkommen zwischen 2000 und 3000 Euro bei 13 Prozent und darunter bei sechs Prozent. Für die Erhebung befragte das Marktforschungsinstitut Kantar TNS 2018 in mehreren Wellen 28 000 Personen; die Jahresmittelwerte wurden auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet.