Die Europäische Union hat dem EU-Austritt Großbritanniens bei ihrem Sondergipfel am Sonntag zugestimmt. Damit beginnt der nächste Akt im Scheidungsdrama zwischen Brüssel und London. Wie internationale Medien die Einigung bewerten.

Stuttgart - Was verschiedene europäische Zeitungen zur Einigung der EU-Staats- und Regierungschefs auf einen Brexit-Vertrag schreiben.

 

Die Londoner „Times“:

„Nun muss Theresa May ihre Vereinbarung durch das Parlament bringen. Sie wird sich über diese Herausforderung keine Illusionen machen. Sowohl Brexit-Befürworter als auch Pro-Europäer stehen Schlange, um den von ihr erreichten Deal als das schlechtestmögliche Ergebnis zu verurteilen. Sie werden erklären, dass Großbritannien damit einem jahrelangen „Vasallentum“ ausgesetzt wird, gefolgt von einem blinden Sprung in eine ungewisse Zukunft. (...) May hat recht: Die einzigen Alternativen zu ihrem Deal sind kein Deal oder kein Brexit. Ebenso klar ist aber, dass es im Parlament keine Mehrheit für das Chaos eines No-Deal-Austritts aus der EU gibt, der jüngsten Berichten zufolge sogar die Versorgung mit Trinkwasser gefährden könnte. Abgeordnete, die Mays Deal ablehnen, stimmen damit in Wirklichkeit für ein zweites EU-Referendum. Sie sollten sich vorher fragen, ob sie das wirklich wollen – und ob es zu einem anderen Ergebnis führen würde.“

Die spanische Zeitung „El Mundo“:

„Durch die Amputation eines ihrer Mitglieder ist die Europäische Union seit gestern weniger stark und weniger einflussreich, und das in einer zunehmend globalisierten Welt, die Herausforderungen mit sich bringt, die multilaterale Lösungen erfordern. Kein Europäer kann nach dem EU-Austrittsabkommen glücklich sein (...). Denn dem EU-Club fehlt ohne London ein politischer, wirtschaftlicher und kultureller Akteur, der historisch in den gemeinsamen Kern der Werte des Alten Kontinents eingegliedert war. Aber der Brexit schien unvermeidlich. Die politische Unverantwortlichkeit, die zu dem schicksalhaften Referendum geführt hat, wurde von populistischen Lügnern souverän ausgenutzt und hat zu einer Scheidung geführt, die heute laut Umfragen die Mehrheit der Briten gar nicht mehr will.“

„Die Presse“ aus Wien:

„Während in London insbesondere jene Entscheidungsträger, die für ein ‚Vote Leave’ geworben haben, bis heute in Schockstarre sind, hat sich das politische Brüssel einigermaßen schnell vom Brexit-Schrecken erholt. Der erfahrene Ex-Kommissar Michel Barnier entpuppte sich als richtige Wahl für die EU-Verhandlungsführung. Er führte die Gespräche mit Härte und Umsicht – ganz nach dem Kalkül: Wenn wir es London schwer machen, wird den Briten das Austrittsreferendum so bald kein zweiter Mitgliedstaat nachmachen. Das Kalkül ist aufgegangen. ‚Bei aller Tragik – für die EU bedeutet der Brexit auch eine Win-Situation. Und zwar egal, wie die Verhandlungen ausgehen’, sagen Brüsseler Diplomaten hinter vorgehaltener Hand.“

Die belgische Zeitung „De Standaard“:

„Der Reality-Check ist frustrierend. Das macht es für die Abgeordneten (im britischen Parlament) so schwer, sich zu entscheiden. Sie sind hin- und hergerissen zwischen Parteidisziplin, ihren Wählern und ihren persönlichen Überzeugungen. Sie stehen kurz vor der wichtigsten Abstimmung ihrer Laufbahn. Das Ergebnis bestimmt nicht allein die Zukunft ihres Landes, sondern auch die Europas. (...) Die alarmierenden Berichte über die Folgen eines No-Deal-Austritts aus der EU sind der letzte Strohhalm, an den sich Premierministerin Theresa May klammern kann. Sie hat ihren Teil der Aufgabe erfüllt, ihre Unbeirrbarkeit weckte Bewunderung. Das Unterhaus kann nun die bittere Pille schlucken oder für ein noch verrückteres Abenteuer stimmen – samt Aussicht auf eine wirtschaftliche Katastrophe.“

Die liberale rumänische Tageszeitung „Adevaru“:

„Absolut sicher ist vorläufig nur eins: Man hat ohne die Spur eines Zweifels gesehen, was die populistischen Versprechen der Politiker, die die Pro-Brexit-Kampagne unterstützt haben, bedeutet haben (...) und welche Kosten noch auf Großbritannien zukommen werden (...). Und jetzt haben sie (die Brexit-Befürworter) ein zutiefst gespaltenes Land, mit unsicheren wirtschaftlichen Aussichten, mit der Möglichkeit eines Zerfalls Großbritanniens in drei Teile, von der bereits in Schottland oder Nordirland gesprochen wird. Was für das System internationaler Beziehungen eine Tragödie mit riesigen Auswirkungen wäre. Heute nehmen wir mit großer Trauer den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union zur Kenntnis – immerhin wenigstens unter den besten Bedingungen, die dieses zeitgenössische Trauerspiel zu bieten hatte. Doch ist es eine Lektion, die gelernt werden muss. Denn die Kosten und die Folgen populistischer Reden von wiedergefundener Souveränität und Wiederherstellung der Kontrolle über ein „zurückgewonnenes“ Land sind stets dieselben.“

Die linksliberale slowakische Tageszeitung „Pravda“:

„Auch wenn die EU-Politiker in ihren Worten pflichtgemäß Erleichterung über den Abschluss der Verhandlungen und zugleich Traurigkeit über den Brexit als solchen aussprachen, war die tatsächliche Botschaft an London härter: Unter den gegebenen Umständen ist das die beste mögliche Vereinbarung und die britischen Politiker sollen sich darüber klar sein, dass es keine andere geben wird. Anders ausgedrückt: Alles, was in Brüssel gemacht werden konnte, wurde gemacht; jetzt ist das britische Parlament am Zug. Sollte dieses wie befürchtet die Vereinbarung vom Tisch wischen, bleibt Großbritannien nur mehr ein Austritt ohne Vertrag. (...) Das könnte der britischen Wirtschaft und Währung aber eine harte Ernüchterung bringen.“