Seit 2015 ist Christian Thielemann Musikdirektor der Bayreuther Festspiele – ein Posten, den es vorher gar nicht gab. Im Interview spricht er über sein Amt, eine hart erarbeitete Gelassenheit - und den 2010 gestorbenen Ex-Intendanten Wolfgang Wagner, den die Festspiele an diesem Mittwoch mit einem Festakt zum 100. Geburtstag ehren. Noch heute, so sagt Thielemann, habe er die Ratschläge des „Alten“ im Ohr.

Bayreuth - In diesem Jahr würde Wolfgang Wagner seinen 100. Geburtstag feiern. Der langjährige Intendant der Bayreuther Festspiele hat nicht nur den Grünen Hügel geprägt, sondern auch Christian Thielemann. Ohne Wolfgang Wagner, sagt er, wäre er heute ein anderer Dirigent.

 

Herr Thielemann, Sie dirigieren in diesem Jahr den „Lohengrin“ und den „Tristan“. Ist das eine Doppelbelastung, die Sie auch als solche empfinden?

Eigentlich ist das keine Doppelbelastung. Ich habe zwar viel zu tun, aber – um Gottes Willen – es macht ja Spaß. Und es sind sehr unterschiedliche Stücke: Das eine hat eine unausweichliche Identität, das andere ist ein sehr klares Stück.

Was dirigieren Sie denn lieber?

Das kann man nicht sagen.

Sie haben im „Lohengrin“ mit einer kurzfristigen Umbesetzung wegen Krankheit zu kämpfen, und dann auch noch in einer so tragenden Partie wie der der Elsa. Wie gehen Sie mit einer solchen Herausforderung um?

Wir kämpfen nicht. Ich finde es natürlich schade, dass Krassimira Stoyanova ausfällt. Sie wird sicherlich wieder einsteigen, leider nicht in diesem Jahr. Aber so einen Ausfall muss man gelassen sehen. Das ist ja im Grunde alltäglich in unserem Beruf.

Mussten Sie sich diese Gelassenheit erst erarbeiten?

Oh ja. Die musste ich mir hart erarbeiten. Früher hätte ich mich viel mehr aufgeregt.

Auch Anna Netrebko singt in diesem Jahr bei zwei Vorstellungen die Elsa. Wie macht sie sich denn so?

Im Moment ist sie noch gar nicht da. Sie kriegt eine Extra-Probe. Aber sie ist eine hochprofessionelle Frau und eine sehr angenehme Kollegin. Ich sehe der Sache mit großer Freude entgegen.

Den „Tristan“ gibt es in diesem Jahr zum letzten Mal. Abschiedsschmerz?

Schon, ja. Es ist ja ein Grundprinzip in Bayreuth, dass die Produktionen sich entwickeln. Katharina Wagner hat einiges geändert, und wir als Team sind unglaublich zusammengewachsen. Im fünften Jahr ist die Produktion am besten, und da macht es am meisten Spaß. Aber die schönen Sachen gehen halt alle mal vorbei.

In diesem Jahr geht es in Bayreuth auch um den 100. Geburtstag von Wolfgang Wagner. Wie haben Sie ihn erlebt?

Ich verdanke Wolfgang Wagner eine ganz andere Sicht auf das Dirigieren. Unter ihm habe ich meinen Dirigierstil erheblich verändert. Er war eine große Autorität, und ich habe heute noch im Ohr, was er mir damals gesagt hat.

Was denn?

Er hat über Tempi geredet, und er hat viel über Dynamik gesprochen. Es war immer allen klar: Wenn der Alte etwas sagt, dann hört ihr da besser mal zu und macht das dann auch so. Ich habe mich ein bisschen adoptiert gefühlt von ihm, väterlich gelenkt und respektiert.

Wie präsent ist die Erinnerung an ihn heute noch, fast zehn Jahre nach seinem Tod?

Sehr. Den Ort auf der Bühne, wo er immer gesessen hat, gibt es heute noch. Das ist ein Klappsessel, und es liegt eine Rose drauf. Wir reden oft über Wolfgang Wagner – eigentlich täglich.

Was ist Ihnen von ihm besonders in Erinnerung geblieben?

Seine Präsenz. Er war überall, er hat sich gekümmert. Ich habe immer gedacht, man muss ihn geklont haben. Gerade noch war er im Probenraum, dann kam er einem auch schon wieder im Treppenhaus entgegen. Ich habe ihn immer gefragt: Herr Wagner, gibt es Sie mehrfach?

Kritiker werfen seiner Tochter Katharina vor, dass sie – zumindest was die Außenwirkung angeht – nicht präsent genug ist. Sieht man das vonseiten der Festspiele anders?

Sie ist genau so wie ihr Vater, weil sie die beste Schülerin ihres Vaters ist und ihn immer als leuchtendes Vorbild vor sich gehabt hat. Sie konnte es ja bei keinem Besseren lernen.

Ihr Vertrag als Musikdirektor der Bayreuther Festspiele läuft im kommenden Jahr aus. Wollen Sie gerne weitermachen?

Ich weiß noch nichts, mit mir hat noch keiner gesprochen, aber die werden schon kommen. Ich werde hier in jedem Falle weiter dirigieren und glaube schon, dass es mehr oder weniger so weitergeht. Wir haben schon einige Verabredungen, die ich auch einhalten will – wenn wir alle gesund bleiben. Wenn es nach mir geht, soll das gerne so weiter gehen. Ich mag auch die Gegend hier so gern – und man isst hier so gut.

ZUR PERSON: Christian Thielemann (60) ist Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Musikdirektor der Bayreuther Festspiele und gilt als einer der herausragenden Wagner-Dirigenten unserer Zeit. Darüber hat er auch ein Buch geschrieben. „Mein Leben mit Wagner“ erschien im Jahr 2012.