Spielten nur die betriebswirtschaftlichen Zahlen eine Rolle, würde Stihl in Deutschland nur noch in wenige ausgewählte Projekte investieren. Doch Nikolas Stihl, der Aufsichtsratsvorsitzende des Waiblinger Motorsägen- und Gartengeräteherstellers, fühlt sich auch seinen Mitarbeitern verpflichtet.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - Im Länderranking des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) ist Deutschland vom zwölften auf den 16. Platz abgerutscht. Für Nikolas Stihl, den Aufsichtsratschef des Waiblinger Motorsägen- und Gartengeräteherstellers, ist dies Anlass zur Sorge – und ein Weckruf an die Politik.

 

Herr Stihl, Deutschland ist im ZEW-Index abgerutscht. Was sind aus der Sicht eines Mittelständlers wie Stihl die Gründe dafür?

Es gibt vor allem zwei Gründe. Ganz oben steht die Steuerpolitik, besonders die Erbschaftssteuer. Über Jahrzehnte ist die Steuerlast für Bürger und Unternehmen angestiegen. Langfristig schädlicher ist aber etwas anderes. Wir haben seit vielen Jahren einen Investitionsstau. Das gilt für die Bildung ebenso wie für die Infrastruktur. Dies ist deshalb besonders nachteilig , weil dieser Mangel nicht in einer Legislaturperiode korrigiert werden kann. Wir leben seit Jahrzehnten von der Substanz. Dringend nötig wäre beispielsweise ein besseres Breitbandnetz, also schnelle Glasfaserverbindungen. Teilweise steht dafür Geld zur Verfügung. Diese Mittel können aber nicht abgerufen werden, weil die Mitarbeiter für die Planung fehlen. In den letzten Jahren hat der Staat die Zahl der Mitarbeiter für die Planung von Infrastrukturmaßnahmen reduziert.

Was ist denn aus Ihrer Sicht schlimmer? Der Fachkräftemangel oder die Vernachlässigung der Infrastruktur.

Für uns ist das die schlechte Infrastruktur. Den Fachkräftemangel können wir teilweise selbst beheben. Und im Zweifel können wir uns auch noch stärker im Ausland engagieren. Dort gibt es ebenfalls Fachkräfte. Die Politik muss gerade in einem Hochlohnland wie Deutschland dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft hier am Standort exzellent sind. Wer Preise wie in einem Luxushotel bezahlen muss, kann nicht mit dem Standard einer Jugendherberge abgespeist werden. Schulen verfallen, die Straßen sind zu schlecht, und an vielen Universitäten besteht ein erheblicher Investitionsstau. Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen.

Stihl hat in den letzten Jahren in Deutschland kräftig investiert und investiert weiter. So schlimm kann es also doch gar nicht sein.

Doch, es ist so schlimm. Allerdings haben wir als Familienunternehmen ein besonderes Verhältnis zu unseren Mitarbeitern und als deutsches Unternehmen auch zu unserem Land. Und wir können uns die Investitionen in Deutschland aufgrund unserer Eigenkapitalquote von 70 Prozent auch leisten. Aber wenn wir rein betriebswirtschaftliche Maßstäbe zugrunde legen würden, dann würden wir nur noch in wenige ausgewählte Projekte in Deutschland investieren. Wir können an jedem anderen Produktionsstandort eine höhere Rendite erzielen als hierzulande.

Das besondere Verhältnis zu den Mitarbeitern zeigt sich auch daran, dass diese gut verzinste Anteile am Unternehmenskapital erwerben können. Was verspricht sich Stihl davon? Und wäre das ein Vorbild für andere Unternehmen?

Als Familienunternehmen möchten wir unsere Mitarbeiter am Erfolg des Unternehmens beteiligen. Außerdem wollen wir damit zu einer Ergänzung des Umlageverfahrens bei der Rente beitragen. Für ein gutes Auskommen müssen die Menschen sich künftig mehr auf eigene Ersparnisse verlassen. Diese Beteiligung am Unternehmenskapital kann ein wichtiger Baustein für die persönliche Altersvorsorge sein. Das könnte sicher auch für andere interessant sein. Auch, um sich in Zeiten des Fachkräftemangels als attraktiver Arbeitgeber zu zeigen.

Industrielle Umbrüche haben bisher auch den Wohlstand gehoben. Wird dies auch jetzt – Stichwort Industrie 4.0 – so sein?

Wir stehen an der Schwelle der nächsten industriellen Revolution. Die Grundvoraussetzungen in Deutschland, wie gute Unternehmen und Forschungseinrichtungen, sind zur Zeit noch da. Aber wir investieren einfach zu wenig. Und in 15 Jahren wundern wir uns, dass wir den Vorsprung der USA und Chinas nicht mehr aufholen können. Doch das muss nicht so kommen. Wenn wir schnell und kräftig umsteuern und den Weg der Sozialen Marktwirtschaft mutig weitergehen, ist sogar ein neues Wirtschaftswunder möglich.