Frank Ulrich Montgomery ist seit 2011 Präsident der Bundesärztekammer. Im StZ-Interview beklagt er den „Unsinn“ des Gesetzgebers. Wenn der in der Stadt Praxen schließen wolle, gewinne er auch keine Landärzte.

Herr Professor Montgomery, die Koalition hat beim Versorgungsstärkungsgesetz nachgebessert und die Latte für das Schließen von Praxen in überversorgten Gebieten höher gehängt. Ist die Politik eingeknickt?
Offenbar haben unsere Proteste und Warnungen zu einem Umdenken geführt. Die Zwangsstilllegung von frei werdenden Arztsitzen soll nun erst dann erfolgen, wenn der sogenannte Versorgungsgrad in einer Region höher als 140 Prozent liegt. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir bleiben aber dabei, dass diese Prozentzahlen nichts über die tatsächliche Versorgungssituation vor Ort aussagen, weil sie sich auf veraltete Daten beziehen. Auch ist es unsinnig und unlogisch, Arztpraxen vom Markt zu nehmen, wenn wir angeblich Probleme bei der Terminvergabe haben, wie uns das die Politik vorwirft.
Kassen und Ärzte entscheiden gemeinsam über Praxisschließungen. Sie haben ein Vetorecht im Zulassungsausschuss. Warum reicht Ihnen das nicht?
Weil die Politik immer mehr stärker reguliert. Erst hieß es, der Ausschuss könne frei werdende Praxen gegen Zahlung einer Entschädigung stilllegen. Aus dem Kann ist ein Soll geworden. Manche in der Koalition wollen das Soll womöglich durch ein Muss ersetzen. Selbstverwaltung braucht Gestaltungsspielräume. Wer über unsere Grenzen schaut, sieht, wohin staatlich gelenkte Medizin führt.
Was ist zu tun gegen den Ärztemangel auf dem Land?
Man löst das Problem nicht durch rigorose Maßnahmen in der Stadt. Wir brauchen Anreize, aufs Land zu gehen, es muss attraktiv sein. Das liegt nicht nur an den Honoraren. Landärzte wollen ähnliche Lebensbedingungen wie städtische Kollegen, etwa beim Schulangebot für ihre Kinder. Man könnte ihnen Praxisräume zur Verfügung stellen. In Skandinavien werden den Lebenspartnern der Ärzte auf dem Land Jobs angeboten – ein richtiger Ansatz. Das ist Infrastrukturpolitik, nicht Gesundheitspolitik.
Stichwort Krankenhausreform: Kliniken, die schlechte Qualität bringen, sollen künftig bei der Vergütung Abschläge hinnehmen. Wird das Prinzip bald auf niedergelassene Ärzte übertragen?
Wir haben noch keine gerichtsfesten Parameter für die Qualitätsabschläge in den Kliniken. Darauf hat selbst Josef Hecken hingewiesen, der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses im Gesundheitswesen, der die Parameter entwickeln soll. Das Prinzip „Pay for Performance“ – (Bezahlung nach Leistung) – funktioniert noch nicht. Es wäre gefährlich, auf der Basis schlechter Parameter Entscheidungen zu treffen, die die Versorgung betreffen. Nun über die Übertragung des Systems auf die Niedergelassenen zu reden ist weit verfehlt.
Nach der Germanwings-Katastrophe wurden Forderungen nach einer Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht laut. Was halten Sie davon?
Ärztliche Berufsordnung und Strafgesetzbuch verlangen eine Einhaltung der Schweigepflicht. Nur bei drohender Gefahr für Leib und Leben darf, ja muss der Arzt sogar zuständige Behörden informieren. Übrigens gilt die Schweigepflicht über den Tod des Patienten hinaus. Deshalb müssen auch die nach der Flugzeug-Katastrophe von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf erwirkten Durchsuchungsbeschlüsse von Arztpraxen rechtlich aufgearbeitet werden.
Sie haben stets gefordert, dass Gesundheitswesen aus dem Freihandelsabkommen TTIP auszuklammern. Eine vergebliche Mühe?
Wir begrüßen die Zusagen von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und EU-Kommissarin Cecilia Malmström, dass es die internationalen Schiedsgerichte in ihrer ursprünglichen Form nicht geben wird und der deutsche Sozialrechtsschutz erhalten bleibt. Am besten wäre es, den Gesundheits- und Sozialkomplex ganz aus TTIP zu streichen. Bewegt sich Minister Gabriel weiterhin so, kommt er vielleicht auch zu der Einsicht.
Klingt nach Lob für einen SPD-Minister. Warum haben Sie 2014 eigentlich die SPD verlassen?
Ich habe meinen Austritt aus der SPD im November 2014 nicht breitgetreten, das hat jemand in der SPD gemacht. Ich war lange Chef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund und habe uns frei gekämpft. Ich bin für Tarifpluralität eingetreten. Ich finde es unerträglich, wie sich die SPD mit dem Tarifeinheitsgesetz in den Dienst der Arbeitgeber stellt und über Interessen der Mitarbeiter und Arbeitnehmer hinwegsetzt.