VfB-Trainer Labbadia sieht den VfB Stuttgart auf einem guten Weg. Er warnt aber vor zu hohen Erwartungen - vor allem an die jungen Spieler.  

Bruno Labbadia (45) sieht den VfB Stuttgart auf einem guten Weg. Der Trainer warnt aber auch - und zwar speziell davor, zu hohe Erwartungen an die bereits mit Profiverträgen ausgestatteten jungen Spieler zu haben.

 

Herr Labbadia, angesichts der wechselhaften Resultate in den ersten fünf Saisonspielen heißt es in Fankreisen bereits, der VfB sei eine wahre Wundertüte. Würden Sie diese Beschreibung teilen?

Wir schätzen die Mannschaft anders ein.

Sie wissen also, was am Ende herauskommt?

Zumindest wissen wir, dass wir auf dem Weg sind, unsere Vorstellungen nach und nach zu verwirklichen. Nach der schwierigen letzten Saison haben wir ganz bewusst gesagt, dass wir uns zuerst einmal stabilisieren wollen. Dazu ist eine gute Organisation im Team erforderlich - und das haben wir bisher in allen Spielen auch hinbekommen.

Die Ausbeute hätte aber wahrscheinlich besser ausfallen können.

Das stimmt. Wir haben sicher nicht die optimalen Ergebnisse eingefahren - und Fußball ist nun mal ein Ergebnissport. Aber dennoch gibt es viele gute Ansätze.

Vor allem wohl beim 3:0-Sieg am vergangenen Samstag gegen Hannover.

Da haben wir uns in der Tat endlich auch belohnt für den Aufwand, den wir betreiben. Besonders gefreut hat mich übrigens, dass die drei Tore von Spielern aus allen drei Mannschaftsteilen erzielt worden sind - von dem Stürmer Shinji Okazaki, dem Mittelfeldspieler Zdravko Kuzmanovic und dem Verteidiger Serdar Tasci.

Speziell Tasci ist hervorragend in Form. Hätte er deshalb nicht wieder eine Chance in der Nationalmannschaft verdient?

Ich unterhalte mich ja auch ab und zu mit dem Bundestrainer Joachim Löw, aber ich versuche da nicht, einen Spieler reinzusingen. Das hat Serdar auch gar nicht nötig. Seine Leistungen sprechen für sich. Er muss sich vor keinem verstecken und hat Riesenmöglichkeiten, auf den EM-Zug aufzuspringen. Aufgrund seiner Spielweise ist er sogar geradezu prädestiniert dafür. Unter anderem zeichnet ihn eine sehr gute Spieleröffnung aus - und darauf legt unser Bundestrainer bekanntlich großen Wert.

Ein Nachteil dürfte jedoch sein, dass sich der VfB in dieser Saison nicht für den Europapokal qualifizierte, während alle Konkurrenten von Tasci sogar in der Champions League mitmischen können.

An dieser Konstellation können wir nichts ändern. Wir können nur versuchen, national so erfolgreich wie möglich zu sein - und dazu müssen wir als Team funktionieren.

Wenn das gelingt, sollte es wohl möglich sein, die nächsten drei Spiele gegen die Abstiegskandidaten aus Freiburg, Hamburg und Kaiserslautern zu gewinnen.

Ich habe in der Bundesliga noch keine Mannschaft gesehen, die man mit links schlagen kann. Dazu sind alle zu eng zusammengerückt. Aber ohne den Mund zu voll nehmen zu wollen - natürlich ist es so, dass wir das Maximale anstreben. Wir gehen immer in ein Spiel, um zu gewinnen.

Warum hat sich der Verein dagegen gewehrt, eine Zielvorgabe für diese Saison zu formulieren?

Das hatte auch mit Demut zu tun. Denn wir wissen genau, wie knapp wir im letzten Jahr dem Abstieg entronnen sind.

Gab es noch weitere Gründe?

Der zweite Punkt ist, dass man berücksichtigen muss, dass der VfB Stuttgart jetzt im zweiten Sommer nacheinander einen Transferüberschuss verbucht hat. Bei den diesjährigen Transfereinnahmen liegen wir in der Bundesliga im vorderen Drittel, aber bei den Ausgaben sind wir viel weiter hinten.

Was sind die Folgen?

Der Verein ist wirtschaftlich gesund. Aber unabhängig davon, dass wir eine Mannschaft entwickeln wollen, sind wir auch finanziell nicht in der Lage, uns in kürzester Zeit ein Dreamteam zusammenzukaufen. Wenn man weniger Geld zur Verfügung hat, muss man eben kleinere Schritte machen und darf sich keine Fehler erlauben. Aber trotzdem haben wir den Anspruch, möglichst weit nach vorne zu kommen - ohne dass wir bei den Leuten falsche Hoffnungen wecken wollen.

"Fußball ist Emotion"

Was ist in Ihren Augen der größte Unterschied zur vergangenen Saison?

Dass wir uns wieder einen gewissen Respekt erarbeitet haben. Viele Gegner ziehen sich zurück, wenn sie gegen uns antreten müssen. Deshalb müssen wir unsere offensiven Automatismen noch weiter verbessern. Darauf lag auch der Trainingsschwerpunkt in den letzten Monaten, aber das ist ein Prozess, der dauert.

Khalid Boulahrouz zeigte dem Schiedsrichter kürzlich den Mittelfinger. Arthur Boka schwänzte vor einer Woche das Training. Machen Ihnen solche Disziplinlosigkeiten keine Sorgen?

Entscheidend ist, dass wir in dieser Richtung eine klare Linie fahren. Das haben wir bei beiden getan. Beide wurden bestraft, weil sie unsere Regeln verletzt haben. Da darf es keinen Spielraum geben. Das ist für mich das Schlimmste im Fußball.

Warum hat der VfB gegen die beiden Spieler keine Abmahnung verhängt?

Wir stellen keinen an den Pranger - es sei denn, er zeigt keine Einsicht. Denn fest steht, dass wir Spieler brauchen, die Leben hineinbringen. Fußball ist Emotion. Allerdings dürfen die Grenzen dabei nicht überschritten werden.

Diese Grenzen bestimmt die Vereinsführung, die seit Juli in dem Präsidenten Gerd Mäuser einen neuen Chef hat. Welchen Eindruck haben Sie von ihm?

Man merkt, dass jemand gekommen ist, der sehr motiviert an die Sache herangeht. Erst am Montag haben wir wieder miteinander gesprochen. Er interessiert sich natürlich für alles, was im Sport passiert. Da fragt er regelmäßig nach.

Mischt er sich auch ein?

Nach wie vor haben Fredi Bobic und ich im sportlichen Bereich das Sagen. Da gibt es klare Absprachen, an die sich jeder hält. Jeder kennt seine Zuständigkeit, und jeder weiß, wer sich bei uns zu welchem Thema äußert - und wer nicht.

In seiner Antrittsrede erklärte Mäuser, dass die eigenen Talente beim VfB wieder intensiver gefördert werden sollen. Dazu erhielten acht junge Spieler einen Profivertrag. Aber in der Bundesliga ist noch keiner von ihnen aufgetaucht. Warum nicht?

Ich antworte mit einer Gegenfrage: Glauben Sie, dass wir Trainer blöd sind?

Nein.

Ich sage Ihnen jetzt mal eines: Ivo Ilicevic ist gerade für eine Millionensumme von Kaiserslautern nach Hamburg gewechselt. Ich habe ihn damals als 17-Jährigen nach Darmstadt geholt und anschließend bei Greuther Fürth zu den Profis gebracht. Er war bei mir von Anfang an Stammspieler. Und Tunay Torun war erst 19, als ich ihn in Hamburg einem Nationalspieler wie Piotr Trochowski vorgezogen habe. Der verpasste deshalb sogar die WM. Warum sollte ich das nun beim VfB nicht auch so machen, wenn ich der Meinung wäre, unser Nachwuchs ist schon so weit?

Dann sind Sie nicht dieser Meinung?

Momentan reicht es für die Jungs noch nicht. Sie etablieren sich gerade in der dritten Liga - und wir beobachten sie ganz genau.

Warum haben Sie den Talenten schon Profiverträge gegeben, wenn sie noch gar nicht reif für die Bundesliga sind?

Weil wir hoffen, dass sich die Spieler in den nächsten beiden Jahren in diese Richtung entwickeln.

War ein Grund für die Profiverträge nicht auch, dass Sie sonst Abwerbeversuche anderer Vereine hätten befürchten müssen?

Das ist wahrscheinlich richtig. Aber wir müssen da aufpassen, dass wir nicht übers Ziel hinausschießen. Ich habe manchmal das Gefühl, heute reicht es schon, jung zu sein. Dann muss die große Karriere sofort und fast automatisch starten. Dabei wird es vielen Talenten womöglich zu leicht gemacht. Aber damit tut man ihnen auf längere Sicht betrachtet keinen Gefallen.

Sie sprechen den Missstand direkt an.

Weil ich keine Lust habe zu taktieren. Denken Sie vielleicht, ich würde einen jungen Mann nicht aufstellen, wenn er das Team weiterbringen kann? Nein, die Talente werden beim VfB gefördert wie bei kaum einem anderen Verein. Das ist Fakt. Aber was zählt, ist das Leistungsprinzip.

Das bestreitet auch niemand.

Die größte Gefahr, die wir hier haben, ist, dass sich das Umfeld eines jungen Spielers einmischt und versucht, Druck auf den Club oder die Trainer zu erzeugen. Besser wäre es, wenn die Talente ihren Trainern vertrauen. Wir werden da keine populistischen Entscheidungen treffen. Manchmal braucht man eben Geduld, um den Sprung dann zu schaffen.

Aber Gerd Mäuser selbst hat vom Stuttgarter Weg gesprochen, der deutlich sichtbarer werden soll als in der Vergangenheit.

Daran arbeiten wir ja, aber wir lassen uns nicht daran messen, ob den Jungs in zwei Monaten oder in zwei Jahren der Durchbruch gelingt. Es muss doch klar sein, dass das nicht auf Knopfdruck geschehen kann.

Die Zweifel am Stuttgarter Weg sind vielleicht auch deshalb vorhanden, weil die Talente beim VfB seit Langem immer nur eher zufällig nach oben gespült worden sind - oder in Zeiten finanzieller Not.

Wir verfolgen ein Konzept. Darin ist der Nachwuchs ein wichtiger Baustein - und zwar nicht, weil wir Druck hätten oder weil der Zwang bestehen würde oder weil das Geld fehlt. Wir handeln aus Überzeugung.

Können Sie als Trainer überhaupt in so weiten Zeiträumen wie den von Ihnen genannten zwei Jahren denken?

Ich weiß, dass wir kurzfristig Erfolg brauchen, um mittelfristig etwas aufbauen zu können. Doch das hindert mich nicht daran, Konzepte mit der Clubführung zu entwickeln und mit der Umsetzung zu beginnen. Das gehört auch zu meinen Aufgaben.

Der Rekordhalter

Spieler Der Sohn italienischer Einwanderer ist der einzige Spieler, der es schaffte, sowohl in der ersten als auch in der zweiten Liga mehr als 100 Tore zu erzielen. Wegen seines Torriechers wurde er in seiner Zeit bei Arminia Bielefeld als "Pistolero von der Alm" bezeichnet. Er spielte zudem in Darmstadt, Hamburg, Kaiserslautern, beim FC Bayern, Köln, Bremen und Karlsruhe.

Trainer Die erste Station war Darmstadt, wo Labbadia sofort den Aufstieg in die Regionalliga schaffte. Nach einem Jahr bei Greuther Fürth arbeitete er in Leverkusen und Hamburg - jeweils allerdings nicht sehr lange.