Exklusiv Charlotte Gainsbourg spricht im StZ-Interview über die Nacktszenen in ihrem neuen Film „Nymphomaniac“, die Provokationen ihres Vaters Serge Gainsbourg und die Rolle der Musik in ihrem Leben.

Kopenhagen – - Sie gehört ab sofort zu den mutigsten Schauspielerinnen ihrer Generation. Charlotte Gainsbourg war nach zwei Projekten mit dem dänischen Regisseur Lars von Trier immer noch nicht mürbe. „Nymphomaniac“ ist die dritte Zusammenarbeit der beiden – ein Rekord. Denn von Triers Verschleiß an weiblichen Stars ist legendär. Die Sängerin Björk („Dancer in the Dark“) und Nicole Kidman („Dogville“) fanden die Dreharbeiten mit ihm so schlimm, dass sie nie wieder einen Film mit ihm machen wollen. Die 42-jährige Gainsbourg wirkt während des Interviews in Kopenhagen schüchtern. Ein eigenartiger Kontrast zu ihrem selbstbewussten Auftritt in „Nymphomaniac“.
Frau Gainsbourg, Sie haben zum dritten Mal mit Lars von Trier gedreht. Ist die Zusammenarbeit mit ihm denn nun eine Freude oder doch eher eine Tortour?
(Lacht) . . . Da ist von beidem etwas dabei.
Warum haben Sie sich denn wieder auf ihn eingelassen?
Mit Lars zu drehen ist eine tolle Erfahrung. Ich weiß, dass wir mit diesem Film etwas riskieren. Das mache ich nur, weil ich ihm vertraue und ihn bewundere. Mit einem anderen Regisseur hätte ich mich auf so ein Wagnis nicht eingelassen. Dass ich es getan habe, liegt an ihm. Es war eine Freude, ihm vollkommen ausgeliefert zu sein.
Wie müssen wir uns dieses „ausgeliefert sein“ denn genau vorstellen?
Ich war bereit, mich in seine Hände zu begeben, ihm die Kontrolle zu überlassen. Das gefällt mir. Irgendwie mag ich es, nicht zu wissen, was gerade vor sich geht. Gerade bei diesem Film habe ich das Gefühl, dass er mir den Weg gezeigt hat.
Muss man als Schauspielerin auch ein bisschen masochistisch veranlagt sein, um mit Lars von Trier zu arbeiten?
Ich glaube schon. Denn ich habe diese Art von Qual wirklich genossen. Es war natürlich kein ernsthaftes Leiden, aber so ein kleiner Schmerz gefällt mir. Wenn du dich diesen extremen psychologischen Ausnahmezuständen aussetzt, fühlen sie sich irgendwann real an.
Gainsbourg und Shia LaBeouf Foto: Concorde Filmverleih/dpa
„Nymphomaniac“ ist als Skandalfilm im Gespräch. Würden Sie ihn denn als Porno bezeichnen?
Ich finde nicht, dass es ein Porno ist. Wer das glaubt, wird enttäuscht sein, wenn er sich den Film anschaut.
Trotzdem sehen wir jede Menge Sex.
Man muss die Sexszenen genau so zeigen, schonungslos und ohne Scheinheiligkeit. Lars hat das toll gemacht, stilsicher und mit Humor. Er hat ein vielschichtiges Porträt einer Frau geschaffen. Natürlich geht es im Film um Sex. Aber für mich steht die Reise meiner Figur im Vordergrund. Sie empfindet ihr Sexleben zunächst als schmutzig, weil es von der Norm abweicht. Am Ende des Films versteht sie besser, wer sie ist. Sie hat ihre Mitte gefunden.
Hatten Sie denn gar keine Bedenken, dass Sie in so vielen Szenen nackt zu sehen sind?
Es hat mir schon Angst gemacht, was ich da im Drehbuch gelesen habe. Auch wegen der Sexszenen. Ich wusste, dass es eine Schauspielerin gibt, die meine Figur Joe als junges Mädchen spielt, und habe gehofft, dass sie die eine oder andere heikle Szene übernimmt. Doch als ich dann wusste, was auf mich zukommt, war es okay. Beim Film „Antichrist“, den ich auch mit Lars gedreht habe, war es ähnlich. Mit Nacktheit habe ich kein Problem. Aber ich hatte Bedenken, dass es mir nicht gelingt, meine Figur angemessen darzustellen. Sie ist so komplex.
Welche Szene haben Sie als besonders intim empfunden?
Die Sado-Maso-Szenen fand ich schon etwas erniedrigend. Das war nicht einfach für mich. Aber, auch wenn’s komisch klingt, wir hatten auch Spaß dabei. Schließlich tun wir ja nur so. Der Blow-Job war sehr intim und verstörend, obwohl wir einen künstlichen Penis verwendet haben . . . (lacht).
Wie können Sie bei diesen Szenen die Menschen um Sie herum vergessen?
Wir hatten ein geschlossenes Set. Das bedeutet, nur wenige Menschen haben Zutritt zu den Dreharbeiten. Diejenigen, die dabei gewesen sind, waren respektvoll. Natürlich fühlt man sich nicht in jeder Einstellung wohl in seinem Körper. Doch wenn einem Respekt entgegengebracht wird, hilft das sehr.
Was hat Ihr Lebenspartner gesagt, als Sie ihm von der Rolle erzählten?
Yvan versteht das. Er arbeitet auch als Regisseur und liebt das Kino so wie ich. Ich hoffe aber, dass meine Kinder diese Arbeit nicht zu sehr verstört. Für sie könnte es sehr peinlich sein. Aber ich habe ja auch mit meinen Eltern solche Situationen erlebt. Mein Vater hat ständig provoziert, etwa mit dem Lied „Lemon Incest“, das ich mit ihm aufgenommen habe. Und meine Mutter ließ sich splitternackt für Magazine fotografieren.
Als Tochter der Chanson-Legende Serge Gainsbourg und der Schauspielerin Jane Birken kennen Sie sich also mit Provokation aus. Eine Leidenschaft, die Sie mit Lars von Trier teilen?
Ja. Ich verbinde gerne Kunst mit Provokation. Mein Vater hat mich mit dem Song „Lemon Incest“ einem Skandal ausgesetzt. Ich habe das damals nicht hautnah miterlebt, weil ich im Internat war. Mein Vater und Lars sind zwar sehr verschieden, aber sie ähneln sich auch auf bestimmte Weise. Diese massive Provokation basiert bei Lars auf großer Schüchternheit und darauf, dass er sich unwohl in seiner Haut fühlt. Bei meinem Vater war das auch so.
Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Lars von Trier beschreiben?
Ich finde ihn rätselhaft. Eigentlich bin ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt etwas über ihn weiß. Ich meine zwar, dass ich ihn kenne. Aber ich glaube, es ist eine Illusion.
Und umgekehrt. Was weiß er über Sie?
Man könnte sagen, er kennt mich in- und auswendig, sowohl physisch als auch psychisch . . . (lacht). Es hat mich berührt, als er mir erzählte, dass er für seinen Film zwei Schauspieler wollte, „die ich wirklich liebe“. Das war seine Art, mir zu sagen, was ich ihm bedeute. Ganz ehrlich: ich weiß gar nicht, warum er mich für die Rolle besetzt hat. Er hat es mir nie gesagt. Ich glaube auch nicht, dass er auch nur einen meiner Filme gesehen hat. Zwischen uns gibt es Dinge, über die wir nicht sprechen.
Sie sind nicht nur Schauspielerin, sondern auch Sängerin. War es Ihre Idee, dass Sie am Ende von „Nymphomaniac“ den Folksong „Hey Joe“ von Jimi Hendrix singen?
Lars wollte eigentlich den Originalsong von Hendrix verwenden, aber das klappte nicht. Deswegen war er enttäuscht und fragte mich, ob ich es mal mit dem Lied versuchen könnte. Ich war zunächst eingeschüchtert, weil schon viele große Künstler vor mir den Song gesungen hatten.
Fühlen Sie sich mehr als Schauspielerin oder mehr als Musikerin?
Ich fühle mich beim Film inzwischen sehr zu Hause, das ist meine Welt. Aber wenn ich keine Musik mache, fehlt mir etwas. Ich möchte deshalb gern ein weiteres Album aufnehmen und werde alles tun, dass es zustande kommt. Ich möchte sowohl meine Film- als auch meine Musikkarriere weiterverfolgen. Beides ist mir wichtig.