Im WM-Finale erlitt Christoph Kramer nach einem Zusammenprall eine Gehirnerschütterung: Aber der Nationalspieler will nicht mit dieser Anekdote in Erinnerung bleiben. Im StZ-Interview spricht er über seine Karriere.

Stuttgart - Im legendären Maracanã von Rio erlitt Christoph Kramer nach einem Zusammenprall mit dem Argentinier Garay eine Gehirnerschütterung – im WM-Finale. Doch der Leverkusener will den Fans nicht nur durch diese Anekdote in Erinnerung bleiben. Vor dem EM-Qualifikationsspiel an diesem Freitag gegen Polen (20.45 Uhr/RTL) weiß der 24-Jährige aber um die interne Konkurrenz: „Gerade auf meiner Position tummelt sich die geballte Weltklasse.“
Herr Kramer, Sie haben erst Mitte Mai 2014 gegen Polen in der Nationalelf debütiert, sind danach in letzter Minute auf den WM-Zug aufgesprungen und wurden später zum populären Finalspieler ohne Gedächtnis. Wo stehen Sie jetzt in der Team-Hierarchie?
Ich freue mich erst einmal, dass ich weiter mit dabei bin. Und das sage ich nicht, weil ich es muss, sondern weil es ein ehrliches Gefühl ist. Dementsprechend sehe ich auch meine Stellung im Team, denn ich weiß, dass sich gerade auf meiner Position mit Bastian Schweinsteiger, Sami Khedira, Ilkay Gündogan oder Toni Kroos die geballte Weltklasse tummelt. Bei dieser Konkurrenz freue ich mich über jeden Einsatz, den ich bekomme.
Khedira ist derzeit verletzt. Aber die Konkurrenz ist in der Tat beachtlich.
Wäre ich ein Außenverteidiger, könnte ich vielleicht Ansprüche anmelden. Aber auf meiner Position im defensiven Mittelfeld ist es so, dass ich mich hinter diesen vier anstellen muss.
Im Hinspiel standen Sie auch aufgrund von Verletzungen gegen die Polen in der Startelf. Welche Erinnerungen haben Sie an die Partie vom vergangenen Oktober?
Wir haben damals in Warschau stark angefangen. Dann haben wir es verpasst, ein Tor zu erzielen – und hinten raus leider 0:2 verloren. Die Polen sind ein defensivstarker, unangenehm zu spielender Gegner. Außerdem haben sie mit Robert Lewandowski einen echten Weltklassespieler vorne drin zu bieten.
Sie sind aktuell Tabellenzweiter. Gibt es innerhalb der Mannschaft irgendwelche Sorgen, dass es mit dem Sprung zur EM 2016 in Frankreich nicht klappen könnte?
Wir wussten, dass es nach dem WM-Erfolg von Rio nicht einfach wird. Viele haben Verletzungen mit sich geschleppt, waren nicht bei hundert Prozent. Zudem haben in Philipp Lahm, Per Mertesacker und Miro Klose drei Spieler aufgehört, die die Nationalelf lange geprägt haben. Da ist es nicht einfach, mal eben durch eine Qualifikation zu marschieren. Das Tabellenbild ist aber noch nicht aussagekräftig. Es wird auf die Spiele gegen Polen sowie am Montag in Schottland ankommen. Wir sind da sehr zuversichtlich.
Sie gingen 2011 mit einem Marktwert von 100 000 Euro zum VfL Bochum und kehrten jetzt nach einem weiteren Leihgeschäft als Zwölf-Millionen-Mann aus Gladbach zu Ihrem Stammverein Bayer Leverkusen zurück. Ein gutes Gefühl?
Ich habe mich reibungslos eingelebt und fühle mich, als würde ich schon länger als zwei Monate wieder bei Bayer spielen. Nach Bochum bin ich ja als ehemaliger Regionalligaspieler ausgeliehen worden, nach Gladbach als Zweitligaspieler. Nun bin ich schon mit einem gewissen Standing zurückgekehrt. Da ist das Interesse des Umfeldes etwas anders gelagert. Ich versuche mich positiv einzubringen – und freue mich, dass ich auf der Sechser-Position eine wichtige Rolle besetze.
Was macht ein Profi mit Dreifachbelastung Bundesliga, Champions League und Nationalelf eigentlich in seiner Freizeit?
In erster Linie viel schlafen. Es ist wichtig, den Körper so oft wie möglich runterzufahren. Peter Neururer hat in Bochum gerne gesagt: „Als Fußballer wird man sogar fürs Mittagsschläfchen bezahlt.“ Den Rat meines Ex-Trainers befolge ich gerne. Ansonsten hat man hier viel freie Zeit, aber wenig Freizeit. Also ist man viel auf dem Zimmer – oder macht was mit den Mitspielern.
Sie haben einen rasanten Aufstieg hinter sich. Fühlen Sie sich als Nationalspieler abgesehen von Ruhm und Geld wohler als einst zu Bochumer Zeiten? Oder kann man beim VfL auch sein Glück finden?
Das ist ein gute Frage, über die ich mal kurz nachdenken muss . . .
. . . lassen Sie sich Zeit.
Also: in Bochum war ich auch extrem glücklich mit dem, was ich hatte. Ich besaß damals noch sehr viel Zeit, denn es gab für mich keine englischen Wochen. Und Zeit ist ja ein hohes Gut. Ich hatte mir damals beim VfL eine Position erkämpft, in der ich in einer Zweitligamannschaft Stammspieler war. Das hat mich sehr stolz gemacht. Ich hätte zu diesem Zeitpunkt nie gedacht, dass ich mal Erstligaspieler werde. Als es dann passierte, war es für mich eine riesige Bestätigung und wirklich ein Glücksgefühl.
Nach Ihrem ersten Bundesligajahr in Gladbach folgte gleich die Nominierung für die WM in Brasilien.
Es ist natürlich schön, wenn man in der Bundesliga spielt – und in die Nationalmannschaft reinschnuppern darf. Das erfüllt einen schon mit Stolz. Immerhin habe ich bisher mein ganzes Leben dem Fußball gewidmet. Wenn es dann etwas unerwartet sogar auf die höchste Stufe geht, dann sorgt das für eine innere Zufriedenheit, denn man wird für das belohnt, was man investiert hat.
War Ihre Selbsteinschätzung zu Bochumer Zeiten so schlecht, dass Sie nicht dran glaubten, mal Nationalspieler zu werden?
Ich bin davon überzeugt, dass gerade im Fußball bei allem Willen und allem Talent auch eine ordentliche Portion Glück dazugehört. Meinen Weg konnte in Bochum keiner voraussehen. Meine Spiele dort waren ja nicht so, dass man gesagt hat: der wird mal zwangsläufig Nationalspieler. In Gladbach etwa hatte ich den Trainer Lucien Favre, der auf mich stand, der mich enorm gepusht hat, meine Schwächen erkannte und mich sehr verbessert hat. Lucien Favre hat mich sozusagen geschliffen. Hätte ich da einen anderen Trainer gehabt, dann wäre es wohl anders gelaufen. Ich könnte in meiner Karriere viele Situationen aufzählen, in denen ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.
Zum Beispiel im WM-Finale, als Sie den verletzten Khedira ersetzen durften. Durch Ihre schwere Gehirnerschütterung rückten Sie in den Fokus, mussten aber auch Kritik einstecken, etwa von Berti Vogts, der meinte, Ihr Anteil am WM-Erfolg sei minimal.
Ich habe das gesteigerte Interesse an mir nach der Weltmeisterschaft natürlich bemerkt. Also habe ich zu vielen Themen etwas gesagt – und dabei vielleicht, obwohl ich es gar nicht so gemeint habe, auch mal das falsche Wort gewählt.
Zum Beispiel?
Als ich vor meiner Rückkehr nach Leverkusen in Bezug auf die Leihgeschäfte im Profifußball von Menschenhandel sprach, da war das sicher der falsche Begriff.
Viele Fußballer ziehen daraus die Lehre, sich anzupassen, um damit weniger anzuecken. Ihr Ding scheint das allerdings überhaupt nicht zu sein.
Ich denke, dass man sich seine eigene Meinung nicht kaputt machen lassen sollte. Nur weil die unter Umständen einige Leute nicht hören wollen. Ich muss jetzt nicht zu jedem Thema meine Haltung in die Welt hinausposaunen. Aber wenn ich zu Dingen gefragt werde, dann möchte ich dazu auch ehrlich etwas sagen dürfen. Das werde ich deshalb auch weiterhin tun.
Es war für Sie sicherlich auch neu, dass Ihre Worte eine derart große Beachtung finden?
Natürlich. Das musste ich erst einmal lernen. Ich war schon immer einer, der seine Meinung gesagt hat – aber damals hat es halt keinen interessiert. Jetzt hat sich die Wahrnehmung verändert. Das Schöne am Profigeschäft ist ja die Anerkennung und das öffentliche Interesse. Mit Kritik muss man da klarkommen. So bleibt der Fußball ja lebendig.
Als Nationalspieler lässt sich neben der hohen Wertschätzung auch eine Menge Geld verdienen.
Geld ist etwas, was das Leben vereinfacht. Für uns Fußballer ist es natürlich schön, dass wir so viel verdienen. Man kann in der Bundesliga innerhalb von wenigen Jahren so viel Geld anhäufen, dass man sich für den Rest seines Lebens wirklich keine Sorgen mehr machen muss. Das ist positiv – und man darf sich auch etwas gönnen. Allerdings finde ich nichts unsympathischer, als dauernd zu zeigen, wie viel Geld man hat.