Von Montag an geht ein Großteil der Daimler-Belegschaft in Kurzarbeit. Michael Brecht, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des Konzerns sagt, welche Mitarbeiter weiter arbeiten und dass auch er auf Gehalt verzichtet, weil sich Daimler in einer schwierigen finanziellen Situation befindet.

Stuttgart - Das Coronavirus zwingt den Daimler-Konzern in eine Ruhepause. Michael Brecht, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des Unternehmens, hat dennoch alle Hände voll zu tun. Nun wurden die Beschäftigten, bei denen das Unternehmen keine Kurzarbeit vorsieht, informiert.

 

Herr Brecht, Daimler steht unmittelbar vor der Kurzarbeit. Können Sie schon sagen, wie viele der rund 170 000 Beschäftigten in Deutschland betroffen sind?

Das variiert von Standort zu Standort zwischen 70 und 95 Prozent. In Gaggenau haben wir einen Notdienst von 180 Personen, die das Werk rund um die Uhr in Schuss halten. In Sindelfingen und Untertürkheim sind es im Schnitt gut 80 Prozent, die ab nächster Woche bis vorerst 17. April, in Kurzarbeit gehen. Nicht betroffen ist ein Teil der Kollegen in der Entwicklung. Wir wollen nicht nach der Corona-Krise in eine hausgemachte Krise fallen. Von daher werden dort auch die Kollegen in den Zukunftsprojekten weiterarbeiten. Es gibt ein Leben nach Corona.

Welche Zukunftsprojekte sind das?

Die neue S-Klasse ist ein Beispiel. Sie soll im Ende des Jahres anlaufen. Es muss alles dafür getan werden, dass das klappt, wir brauchen schließlich auch das Geld, das wir damit verdienen. In China, wo ein Großteil der S-Klasse verkauft wird, läuft ja das Leben schon langsam wieder an. In anderen Bereichen, in denen wir weiterarbeiten, geht es um Software oder die Batterieproduktion.

Vereinzelt läuft also die Fertigung noch?

Für jeden Standort lautet der Grundsatz: Wir machen alles zu bis auf den Notdienst und nicht verschiebbare Zukunftsprojekte. Wir arbeiten auch dort weiter, wo Komponenten für China produziert werden. Internationale Lieferketten dürfen wir nicht abreißen lassen – ansonsten gibt es uns bald nicht mehr. Auch Ersatzteile müssen weiter verfügbar sein um zum Beispiel die Einsatzfahrzeuge von Polizei, Krankenwagen und Feuerwehr zu warten.

Fürchten sich die Mitarbeiter vor Ansteckung, wenn sie von Montag an wieder arbeiten gehen?

Es gibt nirgends eine hundertprozentige Sicherheit, sich nicht zu infizieren. Wir tun aber unser Bestes, die Vorgaben und die nötige Distanz in unserem Arbeitsalltag zu verankern. So soll es im Betrieb kein größeres Risiko einer Infektion geben als außerhalb. Diejenigen, die sich im Betrieb nicht sicher fühlen, können aber zu Hause bleiben. Das gilt auch, wenn zum Beispiel Kinder versorgt werden müssen. Die Mehrheit möchte aber lieber arbeiten.

Gelten für die Leute, die wieder reinkommen, spezielle Schutzmaßnahmen wie eine Maskenpflicht?

Wir erwarten, dass die Politik Standards vorgibt, unter denen man künftig in der Industrie wieder arbeiten kann. Das föderale System führt im Moment dazu, dass kaum jemand noch weiß, was eigentlich erlaubt ist und was nicht. Die Distanz zwischen den Personen können wir, mit Ausnahme der Menschen an den Bändern, schon jetzt deutlich besser sicherstellen als etwa bei Kassierern im Supermarkt. Darüber hinaus diskutieren wir eigene Maßnahmen. Ein Beispiel ist der Arbeitsweg: Können die Leute noch in Fahrgemeinschaften kommen? Wie viele Leute dürfen in einem Bus mitfahren? Wenn es wieder losgeht wollen wir unseren Leuten sagen können: Ihr seid bei uns sicherer als anderswo.

Sie hatten gefordert, dass auch die Führungskräfte in Zeiten der Kurzarbeit einen Beitrag leisten sollten. Sind sie diesbezüglich gehört worden?

Daimler ist in einer schwierigen finanziellen Situation. Da ist es ein gutes Signal, wenn die Führungsmannschaft einen Beitrag leistet. Vorstand und Aufsichtsrat verzichten bis Ende des Jahres auf 20 Prozent der Vergütung. Bei Führungskräften der oberen drei Ebenen wird die Grundvergütung um zehn Prozent für die nächsten drei Monate gekürzt. Auch ich leiste als Führungskraft und Aufsichtsratsmitglied einen entsprechenden Gehaltsverzicht und gebe weiterhin alles im Job. Denn die angesprochenen Gruppen gehen ja nicht in Kurzarbeit. Ihr Beitrag ist eine Art Solidaritätsbeitrag, um die finanzielle Situation zu verbessern. Ob das nachher entscheidend ist, ist die Frage, aber es ist ein kleiner Beitrag. Übrigens ist die variable Vergütung der Führungskräfte durch die angespannte Ergebnissituation im Vorjahr bereits gesunken.

Viele Unternehmen sind an die Öffentlichkeit gegangen und haben erklärt, wie sie der Gesellschaft helfen wollen. Daimler war da erst zurückhalten. Wünschen Sie sich da mehr Engagement?

Wir haben hier super Initiativen. Erst haben wir dem Land unsere Atemschutzmasken zur Verfügung gestellt. Inzwischen werden bei AMG und auch in der Formel-1-Werkstatt Komponenten für Beatmungsgeräte gebaut. In der Näherei in Sindelfingen werden Atemmasken gefertigt. In unserem großen 3-D-Druck-Bereich wird außerdem auch medizinisches Equipment gedruckt. Vielleicht ist diese Unterstützung in der Öffentlichkeit zu wenig bekannt.

Gibt es auch Überlegungen, Geld zu spenden?

Von Unternehmensseite her weiß ich das nicht. Ich versuche gerade ein Spendenprojekt auf die Beine zu stellen. Unser Motorsportchef Toto Wolff hat uns jede Menge Equipment zugesagt, das wir im Unternehmen versteigern oder verkaufen wollen. Da sind zum Beispiel Formel-1-Mützen dabei oder Rennoveralls. Das Geld soll für einen guten Zweck sein. Welcher das sein wird, müssen wir noch festlegen.

Wie geht es nach der Kurzarbeit weiter? Könnte die auch verlängert werden?

Theoretisch können wir über einen Zeitraum von zwei Jahren kurzarbeiten. Wir hoffen aber, dass der Shutdown sobald wie möglich wieder geöffnet wird. Wenn wir dann langsam wieder anfahren, wird die Phase der Kurzarbeit zwar nicht vorbei sein. Es wird dann aber niemand mehr ganz zu Hause bleiben. Das kann sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Wir werden nicht so einfach zur Normalität zurückkommen. Solange wir nicht wissen, ob die Menschen nun immun sind oder es einen Impfstoff gibt, wird es in Deutschland immer ein Stück unnormal bleiben.

Experten gehen davon aus, dass die Krise Tausende Arbeitsplätze in der durch die Transformation ohnehin gebeutelten Autoindustrie kosten könnte. Teilen Sie die Befürchtung?

Es bringt nichts, schon jetzt Panik zu verbreiten. Wir haben mit der Kurzarbeit ein Instrument, das eine Krise für die Unternehmen im Hinblick auf die Personalkosten ertragbar macht. Daraus leitet sich für die Unternehmen, die dieses Instrument nutzen, allerdings auch eine moralische Verpflichtung ab.

Wie beurteilen Sie ansonsten die politischen Hilfen, die nun auf den Weg gebracht worden sind?

Deutschland stellt hier eine Blaupause für jede Industrienation dar. Kaum eine Volkswirtschaft hat so schnell reagiert und solch umfangreiche Rettungsschirme aufgespannt wie Deutschland. Ich habe vor Kurzem mit dem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier telefoniert und mich für die gute Arbeit bedankt, die hier in der Bundesregierung geleistet wurde. Ich unterstreiche zwar die Worte von Ola Källenius, dass ein Unternehmen wie Daimler derzeit nicht auf staatliche Hilfen angewiesen ist. Ich kann allerdings nicht garantieren, dass sich an diesem Befund im Laufe der Krise nichts ändern wird. Ich hoffe, die Regierung weiß, dass die Wirtschaft diesen Zustand, den wir jetzt haben, nicht drei Monate lang durchhalten kann, ohne dass die zu zahlenden Hilfsgelder in unrealistische Höhen schnellen würden.

Wie lange hält das Land den Stand-by-Modus Ihrer Meinung nach aus?

Ich denke, dass wir diesen Zustand als Gesellschaft durchaus sechs Wochen lang aushalten. Der Blick nach China gibt mir etwas Hoffnung. Dort erlebt man in diesen Tagen ja, dass die Produktion langsam wieder hochgefahren wird.

Manche Industrievertreter fordern, dass die EU Ihre CO2-Vorgaben lockern sollte, um die Autoindustrie zu entlasten. Teilen Sie diese Einschätzung?

Wenn wir jetzt die CO2-Ziele verschieben würden, würden wir uns einen Bärendienst erweisen. Der Autoindustrie wird regelmäßig vorgeworfen, dass sie immer wieder versucht, unangenehme Zielvorgaben durch Lobbyarbeit zu verhindern. Diesen Fehler sollten wir nun nicht begehen. Auch Ola Källenius vertritt übrigens die Ansicht, dass man die Krise nicht nutzen sollte, um an den CO2-Ziele zu rütteln. Stattdessen sollte sich die Bundesregierung Gedanken darübermachen, welche Kaufstimulationen sie für die Zeit nach der Krise an den Start bringen könnte. Denkbar wäre hier, eine Art Abwrackprämie für Fahrzeuge mit Schadstoffklassen, die nicht mehr zeitgemäß sind.