Leiharbeiter sollten nach der Einarbeitung Anspruch auf gleichen Lohn haben, findet Arbeitsrechtsexperte Johannes Peter Francken – einer der Gründe, warum er das neue Arbeinehmerüberlassungsgesetz kritisiert.

Stuttgart - Leiharbeit, Werkverträge, befristete Anstellungen – die neuen Beschäftigungsformen gelten teilweise als prekär. Deshalb geht die Bundesregierung dagegen vor und hat zum Beispiel das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zum 1. April reformiert. Johannes Peter Francken, der frühere Präsident des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg , findet nicht alles gelungen, weder im neuen Gesetz noch bei den weiter gehenden Plänen der SPD.

 
Herr Francken, die SPD ist vorerst mit ihrem Vorhaben gescheitert, noch in dieser Legislaturperiode bei Teilzeit das Recht auf Rückkehr in Vollzeit einzuführen. Ist das gut oder schlecht?
Die Beseitigung der Teilzeitfalle, in der ganz überwiegend Frauen stecken, ist nicht problemlos zu bekommen. Zehn Millionen Menschen arbeiten in Teilzeit, davon sind 81 Prozent Frauen. Letztlich ist es eine politische Entscheidung, ob Teilzeitbeschäftigten die Rückkehr in die Vollzeit ermöglicht werden soll. Die Koalition ist in dieser Frage zerstritten.
Unterstellt, der SPD-Vorschlag wird irgendwann doch noch Gesetz: Könnten die Unternehmen das Recht auf Rückkehr in Vollzeit managen, oder überfordert es sie?
Die Personalplanung des Arbeitgebers wird dadurch erschwert. Andererseits muss er die Wünsche des Beschäftigten nicht einfach so akzeptieren. Er hat vier Möglichkeiten, sie abzulehnen: wenn kein entsprechender freier Arbeitsplatz vorhanden ist, der teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter nicht mindestens gleich geeignet ist wie ein anderer Bewerber oder dringende betriebliche Gründe oder Arbeitszeitwünsche anderer teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer entgegenstehen. All das muss der Arbeitgeber, der aber die entsprechenden Fakten kennt, darlegen und beweisen. Mit dieser gesetzlichen Regelung kann man also leben.
Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will die Möglichkeit abschaffen, Arbeitsverträge ohne Begründung auf zwei Jahre zu befristen. Neueinstellungen erfolgen häufig befristet, was vor allem junge Menschen trifft. Welche Folgen hätte die Abschaffung?
Aus meiner langjährigen Erfahrung als Richter kann ich sagen, dass sich die sachgrundlose Befristung als ein flexibles Instrument bewährt hat. Insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wurden Menschen eingestellt, weil es durch die Befristung möglich war, das Arbeitsverhältnis ohne das Risiko eines Kündigungsschutzverfahrens wieder zu beenden. Wenn wir dieses Rad jetzt zurückdrehen, dann wird Leistung von Dritten eingekauft, ob in Form von Leiharbeit oder als Dienst- beziehungsweise Werkvertrag. Wer zunächst einmal befristet auf zwei Jahre in einen Betrieb kommt, der hat auch gute Möglichkeiten, einen unbefristeten Vertrag zu bekommen. Die Tarifparteien können diese zweijährige Frist im Übrigen noch verlängern. Das Bundesarbeitsgericht hat 2016 entschieden, dass sie sogar auf sechs Jahre gehen dürfen. Das halte ich für zu lang. Nach der Gesamtsystematik des Teilzeit- und Befristungsgesetzes sind höchstens vier Jahre sachgrundlose Befristung gerechtfertigt.
Am 1. April tritt das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in Kraft. Das Ziel ist, die Leiharbeit auf ihren Kern als Instrument zur zeitlich begrenzten Deckung von Personalbedarf zurückzuführen. Wird der vermutete Missbrauch künftig verhindert?
Nein. Der Gesetzgeber hat zwar prinzipiell eine Frist von maximal 18 Monaten für die Überlassung eines Leiharbeitnehmers an einen Entleiher eingeführt, aber das verhindert nicht, dass dieser Arbeitsplatz durch Rotationsmodelle anschließend mit weiteren Leiharbeitnehmern besetzt wird, denn die 18-Monats-Frist im Gesetz ist personenbezogen. Hinzu kommt die Möglichkeit, dass ein Unternehmen denselben Leiharbeitnehmer nach einer Unterbrechungsfrist von drei Monaten und einem Tag wieder auf genau demselben Arbeitsplatz beschäftigen kann. Ich befürchte, dass weiterhin viele Unternehmen von diesen Rotationsmodellen Gebrauch machen werden.
Hätte die Bundesregierung also auf den Arbeitsplatz und nicht auf den Leiharbeitnehmer abstellen sollen?
Dazu hieß es im Ministerium, es sei schwierig, den Arbeitsplatz exakt zu beschreiben. Selbst kleine Änderungen, so lautete die Begründung, würden die Stelle so verändern, dass es dann nicht mehr derselbe Arbeitsplatz wäre. Ich halte den Einwand allerdings nicht für stichhaltig.
Ist die Zeitarbeit ein eigenständiges Arbeitsverhältnis oder eine Tätigkeit, die möglichst schnell zu einem unbefristeten Job bei einem Entleiher führen soll?
Die Leiharbeit ist ein wichtiges personalwirtschaftliches Instrument zur Flexibilisierung. Dem trägt das Gesetz Rechnung, indem die 18-Monats-Frist durch Tarifverträge der Einsatzbranche sogar verlängert werden kann. Das zeigt den hohen Stellenwert der Leiharbeit. Dass sie auch am Arbeitsmarkt attraktiv ist, belegen die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Die Quote der Leiharbeitnehmer betrug im Vorjahr immerhin drei Prozent.
Bei mehr als der Hälfte der Fälle dauert das Leiharbeitsverhältnis keine drei Monate. Warum haben Sie sogar für eine Frist von 24 Monaten plädiert?
Nach einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sind nach 18 Monaten noch zwölf Prozent der Leiharbeitnehmer in der Arbeitnehmerüberlassung. Bei besonders qualifizierten Arbeitnehmern mit Hochschulabschluss – Ingenieure und IT-Leute zum Beispiel – sind es nach 18 Monaten aber noch 20 Prozent. Gerade in diesem Bereich ist das Interesse an einer Verlängerung groß. Ich halte es deshalb weiter für sinnvoll, die 18 Monate auf 24 Monate aufzustocken. Das würde auch die Zersplitterung zwischen Leiharbeit und sachgrundloser Befristung beseitigen. Arbeitsverträge mit sachgrundloser Befristung können ja für 24 Monate abgeschlossen werden.
Wird die stärkere Regulierung der Leiharbeit zu einer Verschiebung zugunsten der Werkverträge führen, die entgegen den ursprünglichen Plänen von Arbeitsministerin Andrea Nahles nicht eingeschränkt werden?
Das glaube ich nicht. Was jetzt als Gesetz in Kraft tritt, war ja schon 2016 in der Diskussion. Auch damals hieß es schon, dass die Leiharbeit für die Betriebe unattraktiver werde. Aber sie ist im vergangenen Jahr sogar gestiegen.
Ist klar, was nach dem Gesetz mit Equal Pay genau gemeint ist, also der gleichen Bezahlung von Leiharbeitern und Stammpersonal?
Das ist bedauerlicherweise im Gesetz selbst nicht definiert. Nähere Hinweise finden sich nur in der Gesetzesbegründung, wo es heißt: „Zum Arbeitsentgelt zählt jede Vergütung, die aus Anlass des Arbeitsverhältnisses gewährt wird beziehungsweise aufgrund gesetzlicher Entgeltfortzahlungstatbestände gewährt werden muss, insbesondere Urlaubsentgelt, Entgeltfortzahlung, Sonderzahlungen, Zulagen und Zuschläge sowie vermögenswirksame Leistungen.“ Davon findet sich im Gesetzeswortlaut aber nichts.
Ist das nun verbindlich oder nicht?
Es ist einklagbar. Aber Richter sind unabhängig, so dass es zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen kann. Diese Frage wird durch die Instanzen getrieben werden müssen bis zum Bundesarbeitsgericht. Das wäre zu vermeiden gewesen.
Warum gilt Equal Pay nicht vom ersten Tag an, so wie zum Beispiel in Frankreich? Dort gibt es sogar einen Zehn-Prozent-Aufschlag.
Davon sind wir ziemlich weit entfernt. Zwar gilt Equal Pay auch bei uns ab dem ersten Tag der Überlassung. Nach dem neuen Gesetz besteht aber die Möglichkeit, in einem Tarifvertrag für die ersten neun Monate von der gleichen Bezahlung abzuweichen. In bestimmten Ausnahmefällen sind es sogar 15 Monate, wobei das die Tarifvertragsparteien mit ihren Branchenzuschlagstarifverträgen in der Hand haben.
Eigentlich geht es in der Leiharbeit doch darum, die Betriebe flexibel zu machen und nicht darum, die Kosten zu senken.
Das sehe ich auch so. Bei geringer qualifizierten Berufen haben wir in der Regel eine Einarbeitungszeit von sechs bis acht Wochen. Bei qualifizierten Berufen kann sie bis zu sechs Monaten betragen. Spätestens mit Ablauf der jeweiligen Einarbeitungszeit müsste meiner Ansicht nach der Equal-Pay-Grundsatz greifen, ohne dass hiervon in Tarifverträgen abgewichen werden kann.