Wenn der Shopping-Riese ECE auftaucht, kriegen es viele mit der Angst zu tun – auch in Ludwigsburg, wo das Breuningerland wachsen will. Wie die Einkaufstempel aussehen, ist die Sache von Valentin Hadelich. Der Architekt hat eine besondere Sicht auf das Einkaufen in der Zukunft.

Ludwigsburg - Früher hat sich Valentin Hadelich an der Bauhaus-Universität in Weimar mit Städtebau beschäftigt – dann wechselte er die Fronten. Nun gibt der Architekt den Shopping-Malls von ECE ihr Gesicht. Als Wanderer zwischen Theorie und Praxis weiß er nur zu gut um die Ängste von Innenstadthändlern. Aber Valentin Hadelich – ein offener, aber zurückhaltender Mann – weiß auch, dass die wahren Angstmacher nicht Shopping-Center sind. Ein Gespräch über alte Klischees, gute Innenstädte und Zoos in Einkaufszentren.

 
Herr Hadelich, wo Sie auftauchen, bekommen es viele mit der Angst zu tun. Was ist das für ein Gefühl?
Meinen Sie mich persönlich?
Natürlich nicht. Wir meinen Sie als Vertreter von ECE, dem führenden Entwickler und Betreiber von Shopping-Centern.
Das gab es vielleicht vor zehn Jahren. Heute werden in Deutschland kaum noch neue Shopping-Center gebaut und die Händler wissen, dass der wahre Wettbewerb aus dem Internet kommt. Dort, wo noch Projekte realisiert werden, gibt es aber natürlich dennoch intensive Diskussionen – wie bei vielen anderen Großprojekten auch.
Die Einzelhändler sind meistens besonders aktive Gegner, weil sie um ihre Existenz fürchten. Verstehen Sie die Sorgen des Buchhändlers, des Krawattenverkäufers, des Schuhladenbesitzers?
Natürlich! Aber es ist nicht so, dass jeder Einzelhändler automatisch gegen ein neues Einkaufszentrum ist. Es gibt zwei Typen: Den, der das, was er hat, so lassen will und dafür kämpft, dass sich nichts ändert. Und es gibt den, der aktiv schaut, wie er sein Geschäft in die Zukunft bringen kann. Letztere sehen die Anziehungskraft eines Centers, das mehr Leute an den Ort bringt, was dann auch ihren Geschäften zugute kommt.
Das klingt so, als wären manche Kaufleute ziemlich dumm?
Nein! Auch bei den Gegnern muss man genauer hinschauen. Da gibt es die, denen es sehr gut geht. Die sehen keinen Grund, etwas zu ändern. Und dann gibt es die, die jetzt schon Schwierigkeiten haben und die denken: Wenn ein Einkaufszentrum kommt, ist es ganz vorbei. In diesen Fällen ist es dann oft tatsächlich so – allerdings nicht wegen des neuen Centers. Sondern weil sich diese Händler generell nicht in der Lage sehen, zu reagieren oder ihr Geschäft weiterzuentwickeln. Der Verdrängungskampf, den der Onlinehandel initiiert hat, macht das ja jetzt schon sichtbar. Das sind zum Beispiel ältere Unternehmer, die fast am Ende ihrer beruflichen Laufbahn angelangt sind und die keine Kinder haben, die das Geschäft fortführen würden. Was soll so jemand noch mobilisieren, um sich gegen Amazon durchsetzen?
Ich war noch nicht in Bietigheim-Bissingen, aber soweit ich weiß, unterstützt Herr Kessing die Weiterentwicklung des Breuningerlandes nach Kräften. Ganz allgemein kann ich ansonsten sagen: Wer versucht, den Ausbau eines Shopping-Centers zu verhindern, um den bestehenden Einzelhandel seiner Innenstadt zu schützen, wird sein Problem mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht lösen. Die Leute, die sich auf den Weg ins Breuningerland oder ins Marstall-Center machen, die fahren auch nach Stuttgart, wenn ihre Bedürfnisse in ihrer Stadt nicht befriedigt werden.
Das Breuningerland wird um rund 2500 Quadratmeter zulegen. Auf dem größten Teil der Fläche sind Gastronomie und Dienstleistungen vorgesehen. War Shopping gestern?
Das Thema Gastronomie bringt die Menschen tatsächlich dazu, sich in Bewegung zu setzen. In China zum Beispiel gibt es ganze Etagen mit Restaurants. Von der High-End-Gastronomie mit Sternekoch bis zur Food-Ecke, wo man sich eine Nudelsuppe holt, ist alles dabei. Ich habe sogar schon einen Zoo im Shopping-Center gesehen. In diesem Bereich ist momentan sehr viel Bewegung drin. Heute kommt es darauf an, den Kunden besonderen Service, eine gute Atmosphäre und ein Einkaufserlebnis zu bieten.
Gibt es in absehbarer Zukunft überhaupt noch Läden, wenn Amazon eh alles bringt?
Den Laden wird es immer geben – aber er wird sich verändern. In der Fläche, im Angebot, in der Nutzung: Womöglich gehe ich nicht mehr hin, um Schuhe zu kaufen, sondern um die fünf Paare anzuprobieren, die ich mir dort habe zurücklegen lassen. Und von wo sie mir dann nach Haus geliefert werden, ist eigentlich egal, zukünftig vielleicht auch direkt aus dem Center in meiner Nähe. Natürlich wird es auch Läden mit einem speziellen Serviceangebot weiterhin geben. So wie heute auch ein Fashionladen in absolut abgeschiedener Lage super erfolgreich sein kann. Weil er ein gefragtes Angebot hat und nah an seinen Kunden ist. Das Bild im Einzelhandel heute ist sehr differenziert. Man kann nicht mehr sagen: Wenn du dieses oder jenes machst, läuft’s.
Einkaufszentren und Einzelhändler stehen also vor derselben Herausforderung: Beide wollen Kunden anlocken. Höchste Zeit, gemeinsame Sache zu machen, oder?
Unsere Rede! Seit Jahren! Unsere Projekte funktionieren dort am besten, wo das Verhältnis zum Einzelhandel gut ist. Dann kann man gemeinsame Aktionen organisieren und Öffnungszeiten abstimmen. Ein Center profitiert von einer guten Innenstadt, von ihrer Atmosphäre, ihrer Aufenthaltsqualität. Wenn es gut läuft, ergänzen sich Center und City und befruchten sich gegenseitig.
Die Erweiterung des Breuningerlandes in Ludwigsburg ist möglich, weil die ECE zuvor das Marstall-Center in der Innenstadt gerettet hat. Wie hätten Sie diesen Konnex am Uni-Lehrstuhl in Weimar bewertet?
Die Investition in das Marstall-Center zeigt doch vor allem, dass wir an die Innenstadt von Ludwigsburg glauben – auch langfristig. Das Projekt hat mit der Erweiterung des Breuningerlandes nichts zu tun und ist ein Beleg dafür, dass wir in Zusammenarbeit mit der Stadt einen städtebaulichen Missstand beseitigen können und etwas für die Entwicklung der Innenstadt tun.
Was passiert, wenn das Breuningerland eines Tages nicht mehr wachsen darf: Kann es dann nicht mehr mithalten und bleibt als „weißer Elefant“ zurück?
Es geht ja weniger um Wachstum als um eine flexible Anpassung an die sich verändernden Wünsche der Kunden und um die Integration anderer Nutzungsarten. Einkaufszentren sind in ihrer Struktur extrem flexibel, das ist eine ihrer großen Stärken.
Wäre ein Logistikzentrum eine solche flexible Anpassung?
Wir bieten schon heute im Milaneo an, den Kunden die Ware nach Hause zu liefern. Shopping und Logistik werden in Zukunft weiter verschmelzen. Aber Projekte wie das Milaneo haben ja auch gezeigt, dass Wohnungen und Büros Nutzungen sind, die sich gut mit einem Shopping-Center verbinden lassen.
Neuere Einkaufszentren versuchen, sich optisch in die Stadt zu integrieren: Ortsübliches Materialien werden verbaut, historische Fassaden wieder aufgebaut – aber innen sehen doch alle gleich aus. Oder?
Dieses Klischee steht auf der Shopping-Center-Klischeeliste ganz oben. Auch wenn es mal eine Zeit gab, in der viele Center im Inneren ähnlich aussahen, mittlerweile unterscheiden sich die Architektur und das Innen-Design von Center zu Center deutlich. Natürlich sind funktional immer dieselben Bausteine drin: Es gibt immer Parken, es gibt immer Gastronomie, immer Fashion und natürlich immer Filialisten. Aber – auch das haben wir schon untersucht – wenn man eine Einkaufsstraße anschaut, stellt man fest: Dort gibt es zum Teil mehr Filialisten als in den Einkaufszentren. Auch in Stuttgart.
Wie sieht für Sie eine gute Innenstadt in zehn, fünfzehn Jahren aus?
Beim Urban Index Institut in Darmstadt haben wir Indikatoren entwickelt, anhand derer man Stadtqualität messen kann. Zu einer guten Innenstadt gehört für mich also, dass sie fußläufig ist, dass die Erdgeschosse attraktiv gestaltet sind, dass die Eingänge zur Straße hingehen. Eine gute Innenstadt bietet eine räumliche Vielfalt, hat Straßen und Plätze, es gibt besondere Gebäude. Daraus spinnt sich ein Netz, das zum Flanieren anregt. Und eine gute Innenstadt ist funktional gemischt. Dafür muss man Wohnen und Arbeiten in die Stadt zurückholen. In den meisten Innenstädten wohnt ja keiner mehr. Das halte ich für ein viel gravierenderes Problem als ein paar tausend Quadratmeter mehr Fläche für Einzelhandel.
Weil die Städte dann einschlafen?
Ja. Wenn ich abends wo bin und nichts mehr essen kann, weil kein Restaurant mehr offen hat, dann ist das doch schlimm.
Sie sind vor fünf Jahren von der Uni zu ECE gewechselt. Die meisten Ihrer damaligen Kollegen haben das nicht nachvollziehen können. Hat Sie das erstaunt?
Ich wurde schon während meiner Zeit an der Uni misstrauisch beobachtet, weil ich mich mit Shopping-Centern befasst habe. Bei vielen Architekten herrscht leider auch die Meinung vor, dass die Center die Städte kaputt machten.
Vielleicht nicht ohne Grund?
Selbst wenn das so wäre: Gerade dann wäre es ja umso wichtiger zu fragen, was man tun kann, damit das nicht der Fall ist. Tatsächlich handelt es sich bei solchen Reaktionen um einen Reflex, der zwei Ursprünge hat. Zum einen hat der einflussreiche Architekt Le Corbusier, als er in den 1930er Jahren die wichtigen Funktionen der Stadt definiert hat, den Handel außen vor gelassen. Zum anderen fiel auf die einst überaus erfolgreichen Warenhäuser ein negatives Licht, als während des Dritten Reiches Gesetze zum Schutz des deutschen Einzelhandels erlassen wurden. Die Warenhäuser waren ja weitgehend in jüdischer Hand gewesen. Beide Punkte haben dazu geführt, dass das Thema aus dem Repertoire des Architekten verschwunden ist.
Sie klingen sehr betrübt.
Das ist ja auch traurig. Es ist allerdings auch tragisch, wenn man überlegt, wie viele Millionen Quadratmeter in den vergangenen fünf Jahrzehnten umbaut wurden und was für eine herrausragende architektonische Aufgabe ein Einzelhandelsgebäude darstellt. An den Architekturfakultäten sollte das Thema unterrichtet und in Entwürfen und Seminaren gelehrt werden. Nur wenn Architekten das Thema Einzelhandel wirklich verstehen lernen, können sie Einfluss auf das Produkt nehmen und Urbanität schaffen. So wie man es bei den herausragenden Architekturen der Warenhäuser sehen konnte.

Aktive Akteure

Person
Valentin Hadelich, Jahrgang 1976, ist in Tansania geboren und in der Toskana aufgewachsen. Heute lebt er mit Frau und vier Kindern in Weimar. An der dortigen Bauhaus-Universität hat Hadelich Architektur mit Schwerpunkt Städtebau studiert und sich dabei viel mit Einzelhandel beschäftigt. Für eine Arbeit mit Studenten lud Hadelich einen Vertreter von ECE als externen Consultant ein, so kam später sein Wechsel zustande.

Unternehmen
ECE steht für Einkaufs-Center-Entwicklungsgesellschaft. Das Unternehmen wurde 1965 vom Versandhauspionier Werner Otto gegründet. Eigenen Angaben zufolge ist ECE europäische Marktführerin im Shopping-Center-Bereich. Rund 200 Einkaufszentren managt ECE, darunter das Breuningerland in Ludwigsburg.

Debatte
Im November genehmigte der Ludwigsburger Gemeinderat, dass das Breuningerland im Tammerfeld „maßvoll“ um 2500 Quadratmeter erweitern darf. Vorangegangen war eine hitzige Debatte, die Kommunalpolitiker sorgen sich um ihre Innenstadt. Dass sie mehrheitlich doch Ja sagten, lag auch daran, dass ECE zuvor das marode Marstall gerettet hatte.