Warum übernehmen Sie nicht den Stuttgarter „König Lear“ von Claus Peymann, der in Berlin ja kein Unbekannter ist. Gönnen Sie ihm die Heimkehr nicht?
Das hat nichts mit Gönnen und Heimkehr, sondern mit den Traditionen und Ästhetiken der Volksbühne zu tun.
Sind diese Traditionen denn unantastbar?
Berlin hat neben der Volksbühne noch vier weitere große Theater: das Deutsche Theater, das Maxim-Gorki-Theater, das Berliner Ensemble und die Schaubühne. Jedes dieser Häuser hat ein anderes Profil und steht für eine andere Ästhetik. Um nicht beliebig zu werden, sollte auch die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, die anders als das Stuttgarter Schauspiel nicht alle Bedürfnisse abdecken muss, ihre Wurzeln nicht kappen.
Wenn ich das recht sehen, machen Sie aus der Volksbühne wieder ein Ensemble- und Repertoiretheater.
Das ist der Wille aller Beteiligten, auch meiner. Wir bauen das Haus zurück, das von Anfang an strukturell und personell auf Ensemble und Repertoire angelegt war. Diese Strukturen wurden bei der Berufung von Dercon nicht beachtet. Aber der Rückbau bedeutet kein künstlerisches Rollback.
Also gibt es bei Ihnen auch kein geklontes Castorf-Theater mit Castorf himself, mit Pollesch, Martin Wuttke, Sophie Rois?
Kein Klon, nein. Abgesehen davon, dass die meisten Künstler mittlerweile in anderen Engagements sind, planen wir mit einer mindestens zwanzig Jahre jüngeren Regiegeneration. Sie kämpft nicht mit dem Schatten des Übervaters.
Spielt Armin Petras, der mit Ihnen Stuttgart verlässt, in Ihren Überlegungen eine Rolle?
Er spielt keine Rolle, da er als Regisseur und Autor für die nächsten drei Jahre andere Pläne hat.
Zurück zum Kongress am Wochenende: Daran nehmen auch die Aktivisten von Staub zu Glitzer teil, welche die Volksbühne im September besetzt haben, um gegen die Gentrifizierung in Berlin-Mitte zu protestieren.
Wir haben den Aktivisten gesagt, dass wir eine erneute Besetzung nicht tolerieren werden. Es wird keine Selbstermächtigungen geben. Ich sehe auch keine Möglichkeit, mit ihnen zu kooperieren. Im Übrigen: der Vorwurf, Chris Dercon habe die Gentrifizierung weiter vorantreiben wollen, ist absurd. Berlin-Mitte und der Prenzlauer Berg sind längst gentrifiziert. Mit den Künstlern kamen die Kneipen, die Attraktivität der Bezirke nahm zu: normale urbane Prozesse zur Aufwertung von Quartieren, weltweit. Im Grunde ist das erfreulich. Das Problem ist nur, dass damit auch der Wohnraum teurer wird. Aber das könnte die Politik verhindern.
Mit einer Mietpreisbremse?
Richtig.