Welche Rolle spielt dabei die „metaphysische Heiterkeit“?
Eine große. Wir machen keinen bunten Abend, das nicht, wir betonen vielmehr die Härte und Einsamkeit, in der die beiden Figuren zeitlebens aneinander gekettet sind. Aber wir verleugnen auch nicht den Humor des „Endspiels“. Beckett war ja nicht nur ein grauer, asketischer Grübler, vor dem man lammfromm wie in der Kirche niederzuknien hat. Nehmen Sie unsere letzte Vorstellung: Da wurde unten im Parkett herzhaft gelacht! Das freut uns oben auf der Bühne, denn es ist ein befreiendes Gelächter über die Komik unserer Existenz, über das Absurde, Groteske, Ulkige und Tiefernste, das sich in unserem Sein vermengt. – Soll ich Ihnen sagen, worauf mein Blick vor zwei Minuten gefallen ist?
Ich bitte drum.
Kaum hatten wir mit unserem Telefongespräch begonnen, setzten sich zwei Spatzen auf meine Balkonbrüstung und fingen an, gleichzeitig zu kacken.
Und wir beide machen mit unseren Schlauheiten auch nichts anderes als diese Spatzen, in verbaler Form halt?
Na, komisch ist es schon, dass unser Beckett-Gespräch derart kommentiert wird. Finden Sie nicht?
Ja, doch, der Anblick hätte auch mich belustigt. Aber jetzt von Berlin nach Stuttgart: Sie gastieren häufig in unserer Stadt.
Weil ich ein Fan des Stuttgarter Publikums bin! Die Zuhörer und Zuschauer verfolgen jeden Auftritt mit enormer Aufmerksamkeit und lassen sich auf das Geschehene vollkommen ein. Sie sind den Musen irre zugetan. Keine Ahnung, warum.
Es könnte an dem hier noch halbwegs intakten Bildungsbürgertum liegen, das sonst gerne verlacht wird . . .
Das ist ein großer Fehler, dieses Verlachen, auch von Theaterleuten wird er häufig gemacht. Wenn im Parkett ältere Menschen sitzen, sprechen sie verächtlich vom „Silbermeer“, für das sie spielen müssen. Worauf es ankommt, ist doch, dass die Zuschauer, ob jung oder alt, die Inszenierungen mit Leidenschaft wahrnehmen. Im Positiven wie im Negativen: Insofern finde ich es sogar schade, dass nicht mehr gebuht wird. Aufführungen, die man früher gnadenlos abgestraft hätte, werden heute mit freundlichem Beifall bedacht. Das Aussterben der Buhs ist ein trauriges Symptom für den Bedeutungsverlust des Theaters.
Kann die fehlende Leidenschaftlichkeit des Publikums auch mit einem Mangel an Empathie für die Bühnenfiguren zu tun haben?
Sie sprechen ein Lieblingsthema von mir an: die Empathiekrise. Freunde von mir machen sich schon lustig über mich, weil ich ständig davon rede . . .
. . . aber auch ich halte das für ein wichtiges Thema.
Das ist es auch! Ich glaube sogar, dass der Aufstieg der AFD mit dieser Empathiekrise zu tun hat. Menschen mit Einfühlungsvermögen können diese Immer-nur-dagegen-Haltung, diese Wut auf die Medien, diesen Hass auf Flüchtlinge gar nicht entwickeln. Sie können keine AFD wählen. Um auf Theater und Kino zurückzukommen: Für mich sind das per definitionem reine Empathieanstalten. Wer sich ein Ticket kauft, äußert schon allein damit das Bedürfnis, Empathie zu entwickeln und sich auf fremde Schicksale einzulassen. Man kann an seinem Mitgefühl ja arbeiten wie an seinen Muskeln, man kann sich immer wieder dazu aufrufen, so wie man immer wieder Liegestütze machen kann. Jeder Theaterbesuch bildet die Empathie weiter aus. Trotzdem: Sie steckt in einer Krise, und davon ist auch unser Publikum vermutlich nicht unberührt geblieben.