Der Argentinier Demis Volpi ist erst 28 Jahre alt und seit einem Jahr Hauschoreograf beim Stuttgarter Ballett. Er will Geschichten erzählen – und das Publikum ist begeistert.

Kultur: Tim Schleider (schl)
Stuttgart. - Er ist in Argentinien geboren, kam als junger Tänzer nach Stuttgart, zählt gerade 28 Jahre und gilt inzwischen auch international als aufstrebender Jungchoreograf: Demis Volpi. Für sein neues Stück „Aftermath“ wirbt das Stuttgarter Ballett mit Plakaten in der ganzen Stadt – Zeit, nachzufragen, wie dieser junge Mann mit all dem Erfolg fertig wird.
Herr Volpi, die Arbeitssprache im Stuttgarter Ballett ist Englisch. Sie stammen aus Argentinien, sprechen aber auch noch fabelhaft Deutsch. Woher können Sie das?
Meine Eltern haben mich und meine beiden Geschwister auf die deutsche Schule in Buenos Aires geschickt.
Gab es eine besondere Beziehung zu Deutschland?
Erst mal nicht. Die öffentlichen Schulen in Argentinien sind nicht sehr gut, unsere Eltern wollten uns eine gute Ausbildung ermöglichen. Na ja, und an der Schule ging es eher streng zu, eben sehr deutsch, das hat sie beeindruckt.
So wurde schon in jungen Jahren Ihr Bild von Deutschland geprägt.
Ja, und als wir 1995 dann eine Reise nach Deutschland gemacht haben, wurde das Bild auch gleich bestätigt! Wir kamen mit dem Auto nach Rüdesheim, und meine kleine Schwester wollte an einem Straßenstand Süßigkeiten kaufen. Sie konnte noch nicht sehr viel Deutsch und sagte zu der Verkäuferin: „Ein Gummibär, bitte.“ Und dann hat die Frau mit einer großen Schaufel genau ein Gummibärchen in eine Plastiktüte getan, abgewogen und zu meiner Schwester gesagt: „Zwei Pfennige, bitte“. Da haben meine Eltern gesagt: „Seht ihr, wir sind in Deutschland.“

„Tanz ist meine eigentliche Muttersprache“

 
Ihr Vater ist Geschäftsmann. Ich glaube, Sie sind der einzige Künstler in der Familie.
Ja. Ich bin mit vier Jahren eines Morgens aus des Bett gesprungen und habe gerufen: „Ich will Tänzer werden!“ Keine Ahnung, was ich da in der Nacht zuvor geträumt hatte. Das Tanzen kam in unserer Familie gar nicht vor, aber meine Mutter hat mich immer sehr unterstützt. Auch mein älterer Bruder. Er hat zwar immer gesagt: „Du bist schon komisch.“ Aber dann hat er mich mit einem Freund zur Tanzschule in der Stadt begleitet. Ich hätte so jung ja gar nicht allein im Vorortzug fahren können.
Und in der Tanzschule ist Ihr Traum gleich wahr geworden?
Ja. Ich habe mich von der ersten Minute an einfach zu Hause gefühlt. Ich habe gespürt: Tanz ist meine eigentliche Muttersprache. Tanz ist ja die gemeinsame Muttersprache aller Menschen. Die gesprochenen Sprachen sind viel indirekter und viel leichter zu manipulieren.
Aber gerade das Ballett in klassischer Tradition lebt ja eigentlich von stark stilisierten Formen. Sehr natürlich sind die Sprünge und Drehungen jedenfalls nicht.
Ich sehe das ganz anders. Alle Stücke auf der Bühne funktionieren nur, wenn bei den Tänzern Emotionen und Aufrichtigkeit mit im Spiel sind. Sonst bewegen sie sich einfach nur nach diesen oder jenen Schritten. Aber erst mit der Emotion wird all das zum Tanz. Und den Unterschied bemerkt das Publikum sofort.