FDP-Politiker Michael Theurer wünscht sich Friedrich Merz als CDU-Chef – und verteidigt die Absage an Jamaika nach der Wahl.

Stuttgart - Angela Merkel habe nicht fair verhandelt, ärgert sich Michael Theurer, Vize-Chef der FPD-Fraktion im Bundestag, noch ein Jahr nach den Gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU und Grünen. Heute sagt er, dass nur mit einer personellen Erneuerung der Regierungsspitze die inhaltliche Modernisierung gelingen kann.

 

Herr Theurer, am 19. November 2017 um 23.48 Uhr war klar: Die FDP verlässt die Sondierungen über ein Jamaika-Bündnis. Ein Jahr danach keimen neue Hoffnungen der Liberalen. Woher plötzlich das Interesse für Verantwortung?

Die Verhandlungen vor einem Jahr sind vor allem deshalb nicht zum Erfolg gekommen, weil es Angela Merkel als Verhandlungsführerin nicht gelungen ist eine Linie zu ermöglichen, in der sich alle Partner wiederfinden. Eine Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft und eine Versöhnung von Ökologie und Ökonomie als Treibstoff für Innovation und Arbeitsplätze hätte eine solche Linie sein können. Wir haben für uns festgestellt, dass mit Frau Merkel als Verhandlungsleiterin diese Trendwenden nicht möglich sind.

Darf der permanente „Merkel muss weg“-Ruf der FDP als Versuch verstanden werden, die Schwierigkeiten von Jamaika der Kanzlerin in die Schuhe zu schieben?

Dass die Kanzlerin die Verhandlungen nicht fair geführt hat, ist ja inzwischen von Alexander Dobrindt öffentlich bestätigt. Die FDP hat erklärt, nur dann in eine Regierung einzutreten, wenn zumindest ein Teil ihrer beschlossenen Trendwenden auch in die Tat umgesetzt werden. Früher wurde der FDP vorgeworfen, Inhalte für Dienstwagen zu opfern – jetzt ist es umgekehrt.

Vielleicht hätte die FDP manches verhindern können, was sie jetzt kritisiert.

Genau das ist ja das Problem: Hätten wir nicht. Wir kamen zur Erkenntnis, dass unter Merkels Führung eine Jamaika-Konstellation nicht zu den notwendigen Veränderungen in Deutschland geführt hätten. Wir haben erlebt, wie CDU und CSU sich monatelang gestritten haben. Für „weiter so“ stehen wir nicht zur Verfügung.

Durch ihren Ausstieg fehlt doch aber ein Leistungsnachweis für Jamaika 2.0.

Die Situation in Deutschland zeigt ja, welch dringender Handlungsbedarf besteht, und nicht wie von Frau Merkel behauptet nur Diskussionsbedarf. Wir haben eine Wirtschaft, die nach langer Zeit erstmals geschrumpft ist. Wir haben einen Reformstau. Es kann so nicht weitergehen.

Nun wird die CDU Anfang Dezember über eine neue Parteispitze entscheiden – wer ist denn der Favorit der FDP?

Friedrich Merz ist uns in der Ordnungspolitik näher. Ein Beispiel hier ist das Thema bezahlbarer Wohnraum – hier brauchen wir einen Ordnungsrahmen, der das Angebot erhöht, keine dirigistischen Eingriffe. Ich nehme aber an, dass Annegret Kramp-Karrenbauer die größeren Chancen hat.

Ihre angestrebten politischen Projekte kann Herr Merz also besser umsetzen als Frau Kramp-Karrenbauer?

Ob sich die CDU für Merz, Kramp-Karrenbauer oder Jens Spahn entscheidet, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass es so nicht weiter geht, und Deutschland sich den Herausforderungen der Globalisierung und der Digitalisierung stellt. Die FDP fordert schon seit langer Zeit ein Digitalministerium.

So einfach ist ihr Wunsch nach einer zeitnahen Regierungsbeteiligung nicht: Sollte Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer CDU-Chefin werden, könnte Merkel als Kanzlerin bis 2021 gesetzt sein. Und auch Merz wird sich als CDU-Chef gut überlegen, ob er ohne Merkel in den Europawahlkampf im Mai kommenden Jahres ziehen will. Erstens hat Merkel in Europa nach wie vor viel Renommee und zweitens hätte Merz, sollte der Neuanfang mit ihm nicht ganz so schnell klappen, ein schlechtes Ergebnis in Europa allein zu verantworten. Ein neuer Jamaika-Anlauf ist ohne Neuwahl denkbar, aber unwahrscheinlich. Sind ihre Hoffnungen also nicht etwas voreilig?

Meine Einschätzung ist aktueller denn je. Es ist nicht nachvollziehbar, dass Frau Merkel als Bundes-CDU-Vorsitzende nicht mehr gut genug sein soll, aber als Kanzlerin für 80 Millionen Deutsche schon. Deswegen halte ich einen Wechsel im Kanzleramt aber auch im Bundesinnenministerium für notwendig. Nur mit einer personellen Erneuerung kann auch die inhaltliche Modernisierung gelingen.

Bis heute bekommen die Liberalen ihren Ausstieg aus den Jamaika-Sondierungen um die Ohren gehauen, zuletzt von Hubertus Heil. Als der FDP-Sozialpolitiker Johannes Vogel die Finanzierbarkeit des Rentenpakets des Sozialministers anzweifelt, holte der SPD-Mann aus: „Herr Vogel, mal ganz grundsätzlich: Wer sich hier wie die FDP aus der Regierungsverantwortung stiehlt und so redet, der disqualifiziert sich selbst für diese Debatte.“ Hat die FDP sich verkalkuliert?

Nein, es war richtig, nicht in die Jamaika-Koalition unter Merkel einzutreten. Die personelle Veränderung in der Union ist also weiterhin die Grundbedingung dafür, dass die FDP in die Regierung eintreten kann. Sie ist die Grundlage für die inhaltliche Erneuerung der Parteien und des Landes.