Exklusiv Der frühere Skisprung-Olympiasieger Jens Weißflog (49) spricht im StZ-Interview über die deutschen Probleme bei der am Montag beendeten Vierschanzentournee – und über die Österreicher.

Stuttgart – - Jens Weißflog (49) ist der erfolgreichste deutsche Skispringer aller Zeiten. Alleine viermal hat er die Vierschanzentournee gewonnen. Nach dem Ende der diesjährigen Veranstaltung macht er sich Sorgen um seine Nachfolger.
Herr Weißflog, die deutschen Springer hatten bei der Vierschanzentournee wieder einmal Probleme. Dafür sorgte der Japaner Noriaki Kasai für Aufsehen – mit 41 Jahren. Sind Sie zum Comeback bereit?
Kasai ist eine Ausnahme. Außerdem liegen zwischen ihm und mir noch ein paar Jahre. Ich bin 49, nicht 41. Insofern war es richtig, dass ich aufgehört habe – auch wenn das Durchschnittsalter im Skispringen tatsächlich steigt. Sieht man ja bei Simon Amann oder Janne Ahonen. Bis 35 ist man da inzwischen noch recht leistungsfähig.
Deutlich jünger ist der 21-jährige Österreicher Thomas Diethart, der die Tournee als Außenseiter gewonnen hat. Was hat Sie mehr überrascht – sein Sieg oder das enttäuschende Abschneiden der Deutschen?
Beides gleich. Diethart hatte sicher keiner auf der Rechnung – und ich dachte auch nicht, dass in Andreas Wellinger der beste Deutsche in der Gesamtwertung nur den zehnten Platz belegen wird.
Wo sehen Sie die Gründe für den Absturz?
Im mentalen Bereich. Die Tournee bringt viel Druck mit sich. Dem waren die Deutschen offensichtlich nicht gewachsen – wieder einmal nicht übrigens. Anderen Mitfavoriten wie Gregor Schlierenzauer, Kamil Stoch oder Anders Bardal ist es zwar ähnlich ergangen, aber das macht das Ergebnis aus unserer Sicht jetzt nicht besser.
Druck gehört nun mal zwangsläufig zum Spitzensport dazu.
Stimmt, hinter diesem Argument können sie sich nicht verstecken. Zumal die Tournee ja immer auch eine positive Stimmung auf allen Ebenen mit sich bringt. Was bei uns fehlt, ist, dass wir diese Stimmung in Energie umsetzen. Die Österreicher sagen, jawohl, wir freuen uns auf die Heimspiele in Innsbruck und Bischofshofen. Bei uns geht es in Oberstdorf und Garmisch dagegen anders herum. Wir verkrampfen.
Wie wichtig ist die Psyche im Skispringen überhaupt?
Ich denke, sie macht ein Drittel aus. Die beiden anderen Drittel sind das Material und die Sprungtechnik.
Könnte da vielleicht ein Psychologe helfen, um dieses eine Drittel auszuschöpfen?
Ja, vielleicht. Die Österreicher machen es ja vor. Sie arbeiten in diesem Bereich professionell und stellen ihre Springer optimal ein. So schaffen sie es seit Jahren bei der Tournee, ihren Spitzenmann durchzubringen. Sie haben anscheinend ein Mittel gefunden, wie sie mit dieser Situation umgehen müssen. Wir haben dieses Rezept bisher nicht entdeckt.
War es womöglich auch ein Fehler, dass die deutschen Athleten wie Severin Freund im Vorfeld hohe Erwartungen geweckt und offen vom Tourneesieg gesprochen haben? Und so ähnlich hat sich ja auch der Bundestrainer Werner Schuster geäußert.
Man darf den Athleten doch keinen Schaukelstuhl hinstellen, damit sie schön schaukeln und sich wohlfühlen können. Wir befinden uns in einer Leistungsgesellschaft und können nicht sagen: Rang sieben reicht auch. Hohe Zielvorgaben müssen formuliert werden, sonst erreicht man ohnehin nichts. Das war bei mir früher nicht anders. Es wurde einfach erwartet, dass ich gut springe. Punkt. Und so ist das auch heute.