Sie haben aber nicht nur Fans, sondern Ihre Zuhörer bisweilen auch zur Weißglut getrieben.
Dazu erzähle ich Ihnen noch eine Geschichte. Aus Ihrer Ecke kommt eines meiner großen Idole: Rudi Michel, der mich geschätzt hat, worauf ich ein bisschen stolz bin. Er hat mir ganz am Anfang meiner Karriere gesagt: „Junger Freund, ich verrate dir ein Geheimnis. Du kannst bestenfalls 50 Prozent der Zuschauer hinter dir haben.“ Ich bin fast ausgeflippt und habe gesagt, ich will mindestens 110 Prozent haben. „Das weiß ich“, hat Rudi gesagt, „aber du kannst zirpen wie ein Zeisig, die Hälfte der Zuschauer erträgt dich nicht und geht schon in Deckung, wenn du nur den Mund aufmachst. 30 Prozent hingegen sind verliebt in dich und jubeln, wenn du dich nur räusperst. Dann gibt es noch die 20 Prozent Laufkundschaft, die mal eben reinhört – und wenn du die auch noch überzeugst, hast du dein Maximum erreicht.“ Wenn man das verinnerlicht hat, geht man mit den Dingen entspannter um.
Auch mit den Anfeindungen in den sozialen Netzwerken des Internets?
Ach, das hat mich noch nie interessiert, ich bekomme das gar nicht mit. Ich bin für Kritik empfänglich, aber sie muss fundiert formuliert sein. Nicht mit Daumen hoch oder Daumen runter wie bei den Schimpansen. Ich weiß, dass ich meinen Job kann. Ich habe mich nie als Fußballbeschreiber verstanden, sondern als Kommentator, der seine Meinung sagt. Dass das nicht jedem gefällt, ist doch selbstverständlich. Dieser Linie bin ich aber immer treu geblieben
Was sich im Laufe der Jahre grundlegend verändert hat, ist der Fußballbetrieb - er ist zum Milliardenspiel geworden und für viele Lebensmittelpunkt. Finden Sie das nicht irritierend?
Schauen Sie: Als ich 13 Jahre alt war, durfte ich als C-Jugendlicher beim ersten Bundesligaheimspiel des 1. FC Kaiserslautern ein Vorspiel machen. Ich bin danach mit der Bundesliga groß geworden, ich war die ganze Zeit über Teil der Bundesliga. Was ich damit sagen will: auch ich habe zur Überhöhung und der totalen gesellschaftlichen Durchdringung des Fußball beigetragen. Sie übrigens auch: Schauen Sie sich Ihre Zeitung an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass beispielsweise der Außenpolitik mehr Platz eingeräumt wird als dem Sport. Deshalb kann ich mich jetzt nicht darüber beschweren, dass der Fußball so eine riesige Bedeutung erlangt hat. Ich habe ja auch meinen Beitrag geleistet.
Aber dem Fußballromantiker in Ihnen müsste doch das Herz bluten, wenn Sie an früher denken, als allein das Spiel im Mittelpunkt stand.
Ich bin der größte Romantiker, aber ich keine Lust, mich über Unabänderliches aufzuregen. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass die Bayern auch nächstes Jahr Meister werden, und ich kann Ihnen auch sagen, wer Zweiter wird: Borussia Dortmund. Und wenn die Leute letzte Wochen über das Spiel des Jahres im Pokalfinale gejubelt haben, dann sage ich: das ist ein Skandal. Denn jetzt hat sich auch dieses Thema erledigt. Das war doch immer unser schöner DFB-Pokal, der seine eigenen Gesetze hatte. Wissen Sie, wer nächstes Jahr im Pokalfinale stehen wird, wenn die Auslosung nicht hilft?
Bayern gegen Dortmund.
Eben. Das nimmt der Sache den alten Herberger-Reiz: Fußball ist so toll, weil man nicht weiß, wie es ausgeht. Das ist vorbei. Ich kann Ihnen auch sagen, wie es nächstes Jahr in Spanien, Italien, Frankreich oder England ausgehen wird. Das ist leider die Wahrheit.
Aber beweist nicht der Meistertitel von Leicester, dass Geld nicht alles ist?
Da hat der Fußballgott sehr viel Zeit gehabt und sich einen großen Spaß erlaubt. Wir können uns gerne nächstes Jahr wieder über Leicester unterhalten – wenn wir sie in der Tabelle überhaupt finden. Der Laune des Fußballgotts war es auch zu verdanken, dass Dortmund in Liverpool verloren hat, in einem anarchischen, plebejischen Spiel, das mit dem modernen Fußball nichts zu tun hatte. Thomas Tuchel, dieser Guardiola 2.0, hat Dinge gesehen, die er wohl noch immer verarbeiten muss. Das war toll, so etwas sollten wir genießen. Denn das sind unwiederbringliche Momente.