Hoffenheims Trainer Markus Gisdol spricht im StZ-Interview über seine Fußballphilosophie, aussortierte Stars und über den VfB Stuttgart, gegen den seine Mannschaft am Sonntag spielt.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart/Hoffenheim - Als Markus Gisdol am 2. April das Traineramt bei der TSG Hoffenheim übernahm, da fand er eine Ansammlung überdurchschnittlicher Fußballer vor, die aber keine Mannschaft war. Der 44-Jährige hat bei dem letzte Saison in Richtung zweite Liga taumelnden Club frischen Wind reingebracht. Der Abstieg wurde verhindert, die Ziele, die Gisdol verfolgt, sind aber die gleichen geblieben. „Wir wollen ein Verein zum Anfassen sein“, sagt er vor dem Spiel am Sonntag beim VfB Stuttgart.

 
Hallo Herr Gisdol, stellen Sie sich einmal vor, wir würden ein Porträt über Sie schreiben mit dem Titel „Der neue Ralf Rangnick“, oder „Rangnick 2.0“. Fühlten Sie sich dadurch geschmeichelt?
Der Ralf und ich haben sehr viele Parallelen, was unsere Idee vom Fußball angeht. Wir wollen beide den Fußball weiterentwickeln, beobachten die neuesten Trends, etwa bei den internationalen Turnieren. Wir sind experimentierfreudig, analysieren den Stil der großen Mannschaften und stellen dann auch mal Altbewährtes infrage, um unsere Spieler zu verbessern. Aber grundsätzlich gilt, dass jeder eine eigene Persönlichkeit ist. Da kann man nichts kopieren. Deshalb wäre ich auch für eine andere Überschrift.
Ralf Rangnick hat Sie 2009 als Trainer zu Hoffenheim II geholt. Zwei Jahre später waren Sie dann bei Schalke 04 sein Assistent in der Bundesliga. Damit ist er schon so etwas wie Ihr Mentor, oder?
Ich habe 1997 als Trainer angefangen, bei der TSG Salach in der Kreisliga B. Mein Mentor ist eher Helmut Groß (Groß trainierte unter anderem den SC Geislingen, arbeitete im Trainerstab des Württembergischen Fußballverbandes und ließ 1981 als einer der Ersten in Deutschland mit der Viererkette spielen, Anm. d. Red.). Er war von Beginn an ständig an meiner Seite. Über Helmut Groß entstand der Kontakt zu Ralf, der heute ein Trainerkollege und ein Freund von mir ist.
Ralf Rangnick hatte seinen Hoffenheimer Weg, der führte ihn von der Regionalliga in die Bundesliga. Als er 2011 ging, wurde es turbulent. Dann kamen Sie als Retter. Wie geht Ihr Hoffenheimer Weg weiter?
Ich habe die TSG schon in meiner Zeit bei der Zweiten als einen Club kennengelernt, der sehr gute Leute beschäftigt, der im Innenleben sehr familiär und freundlich geführt wird. Es muss aber noch mehr nach außen getragen werden, dass wir ein Verein zum Anfassen sind. In erster Linie wird das natürlich am Auftreten der ersten Mannschaft gemessen. Wie benehmen sich die Spieler, und wie handeln die Leute drum herum? Die Bundesligamannschaft ist das Spiegelbild des Vereins.
Sagen Sie das auch Ihren Profis?
Ich sage ihnen, dass wir alle Vorbilder sein müssen. Für die Jugend, für unsere Fans. Das ist mir sehr wichtig.
Sie haben im Frühjahr stets betont, der Klassenverbleib sei nicht das oberste Ziel. Wichtiger sei, dass in Hoffenheim wieder ansehnlicher Fußball gespielt werde. Wer aber Ihren Gefühlsausbruch auf dem Betzenberg miterlebte, als die Liga gehalten war, der bekam seine Zweifel. Haben Sie geflunkert?
Vielleicht war meine Herangehensweise an die Aufgabe in der Bundesliga ein wenig artfremd. Ich denke nicht in Problemen, sondern in Lösungen. Wenn ich die ganze Zeit an den Klassenverbleib gedacht hätte, dann wäre ich blockiert gewesen. Da habe ich lieber die Aufgaben definiert, die es zu erledigen gilt, um der Mannschaft zu helfen, um sie voranzubringen. Werden die Aufgaben erfüllt, dann würden wir auch die nötigen Resultate liefern – das war die logische Konsequenz. Natürlich ist das Ergebnis sehr wichtig. Aber es stellt sich nicht ein, indem man nur davon spricht. Man muss auch etwas dafür tun.
Nach der Saison haben Sie dann durchgegriffen und einige Spieler, etwa Tim Wiese und Matthieu Delpierre, in die sogenannte Trainingsgruppe 2 beordert, also aussortiert, um wieder Ruhe reinzubekommen.
Ich glaube, wir sind in dieser Frage sehr professionell vorgegangen, auch wenn das menschlich natürlich sehr schwierig war. Da müssen wir uns ja nichts vormachen. Als Trainer wünscht man sich auch lieber andere Situationen, als den Spielern so etwas mitzuteilen. Aber es gab einfach keine Alternative zu dieser Entscheidung.
Warum nicht?
Weil wir sonst hier mit 40 Spielern in die Saison gestartet wären. Es wäre ja fatal gewesen, wenn wir alles so gemacht hätten wie bisher. Dann wäre es letztlich noch viel teurer geworden für den Verein, und ein normales Training auf dem Platz wäre unmöglich gewesen. Es war ein harter Schnitt. Aber es war die einzige Möglichkeit, eine Mannschaft zu formen und einen neuen Spielstil zu prägen. Wir haben uns für die Spieler entschieden, die jetzt da sind. Die passen sehr gut zusammen – und es macht riesig Spaß, mit ihnen zu arbeiten.