Nahles’ Rückzug bedeutet nicht das Aus der großen Koalition, meint Nils Schmid, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Berlin - Der Personalwechsel alleine wird nicht reichen, um die SPD wieder nach vorne zu bringen, meint der SPD-Bundestagsabgeordnete Nils Schmid nach dem Rücktritt der Parteivorsitzenden Andrea Nahles. Die Bundespartei brauche mehr denn je ein Führungsteam, das sich gegenseitig vertraut und auch Durststrecken gemeinsam durchsteht.

 

Herr Schmid, hat es Sie überrascht, dass Ihre Fraktionsvorsitzende von allen Ämtern zurückgetreten ist?

Nicht wirklich. Schon auf der Fraktionssitzung am Mittwoch hat sich eine sehr kritische Stimmung gegenüber ihrer Person abgezeichnet. Trotzdem bedauere ich die Entscheidung von Andrea Nahles, weil sie als Parteivorsitzende die notwendige inhaltliche Erneuerung der SPD begonnen hat.

An ihrem Kurs liegt es also nicht, dass die Sozialdemokraten bei der Europawahl wie auch in Bremen große Verluste eingefahren haben?

Nahles hat mit dem Sozialstaatskonzept die lange an uns zehrende Auseinandersetzung um Hartz IV beendet. Das ist ihr hoch anzurechnen. Profitieren konnten wir davon aber nicht, weil wir diese Profilierung nicht auf Bereiche wie Wirtschaft und Ökologie ausgedehnt haben. Und speziell bei der Europawahl hat sich gerächt, dass wir zu wenig aus dem ambitionierten Koalitionsvertrag gemacht haben. Dazu haben wir in der heißen Phase zu wenig darüber gesprochen, welches Europa wir wollen, und zu viele unnötige Phantomdebatten geführt.

Erklärt das, was über Nahles hereingebrochen ist?

Ausschlaggebend waren sicher ihre schlechten Beliebtheitswerte. Ihre Außendarstellung wurde von vielen in der Partei wie auch von vielen Bürgern als problematisch wahrgenommen. Ihre Führungsstärke in der innerparteilichen Debatte um die große Koalition wie auch im Regierungshandeln haben dann nicht mehr gezählt.

Wie bitter sind diese Tage für die Sozialdemokratie?

Das ist sicherlich ein Tiefpunkt. Es ist gleichzeitig ein Beleg dafür, dass Personalwechsel allein nicht reichen werden, um die SPD wieder nach vorne zu bringen. Die Bundespartei braucht mehr denn je ein Führungsteam, das sich gegenseitig vertraut und auch Durststrecken gemeinsam durchsteht. Denn es war doch von vornherein klar, dass die notwendige Wiederaufbauarbeit langwierig wird und Zeit bis zur nächsten regulären Bundestagswahl braucht.

Nahles’ Rückzug bringt die Koalition ins Wanken.

Für mich sind das zwei verschiedene Paar Schuhe. Auch ein neuer Parteichef wird zu den Beschlüssen stehen. Schließlich haben zwei Drittel der Mitglieder nach dem Platzen von Jamaika der großen Koalition zugestimmt. Entscheidend für ihren Fortbestand wird die inhaltliche Arbeit in der Regierung sein – etwa, ob wir möglichst bald die Grundrente und ein Klimaschutzgesetz verabschieden.

Neuwahlen zum jetzigen Zeitpunkt wären sicher auch nicht in Ihrem Interesse?

Neuwahlen würden jetzt nur die schlechten Umfragewerte der SPD bestätigen und damit die notwendige Erneuerungsarbeit noch schwerer machen.