In Noah Gordons Verfilmung des Medicus’ spielt Olivier Martinez den eitlen und skrupellosen Schah von Persien. Im Interview erklärt der Schauspieler, wieso er seine Figur trotzdem bewundert.

Ouarzazate - Am Nachmittag zieht Olivier Martinez kaum Blicke auf sich. Mit Adiletten, hochgekrempelter Jeanshose und Sonnenbrille sitzt er alleine am Hotelpool in der marokkanischen Wüstenstadt Ouarzazate und bestellt einen doppelten Espresso. Die Kellnerin muss zwei Mal nachfragen, bis sie ihren Gast versteht. Er spricht sehr leise. Während er dann zwei gehäufte Löffel Zucker in den Kaffee rührt, beobachtet er fast schüchtern zwei junge Frauen, die im Bikini an ihm vorbei zum Wasser schlendern. Die beiden nehmen keine Notiz von dem Weltstar. Fünf Stunden später, am Set von „Der Medicus“ wäre ihnen das wohl nicht passiert. Zum Interview dort erscheint Olivier Martinez im historischen Kostüm. Er trägt einen mit Brokat besetzten Mantel, bei dem ein Dolch im Gürtel steckt, Langhaarperücke und – während er vorher noch glatt rasiert war – jetzt einen Vollbart. Seine Augen sind mit schwarzen Kohlestift umrandet. Betont breitbeinig macht er er sich in dem Klappstuhl, der vor seinem Wohnwagen im Wüstensand steht, bequem. Wegen der Hitze hat er ein paar Knöpfe am Hemd geöffnet, gerade so weit, dass es gerade noch den Blick auf sein Tiger-Tattoo zulässt.
Herr Martinez, Sie haben familiäre Wurzeln in Marokko, wie fühlt es sich an, in diesem Land zu drehen?
Ich bin umgeben von Kindheitserinnerungen. Meine Großeltern, die in Spanien lebten, sind während der Franco-Diktatur hierher immigriert. Mein Vater wurde in Marokko geboren und ging später als Profi-Boxer nach Paris, wo er meine Mutter kennen lernte. In den Sommerferien haben wir regelmäßig meine Großeltern besucht. Hier habe ich als kleiner Junge meine ersten Schritte gemacht – wir kamen aus dem Urlaub zurück und ich konnte laufen. Aber das ist schon alles so lange her! Ich bin nicht mehr so jung wie ich aussehe.
Von der Pariser Vorstadt in die Wüste von Nord-Afrika, das war bestimmt ein großes Abenteuer?
Und wie! Die anderen Kinder in der Schule fuhren in den Ferien aufs Land, irgendwo in Frankreich. Wir reisten in eine andere Welt. Hier hatte alles seine ganz eigenen Magie. Es war heiß und staubig, auf den Märkten gab es die exotischsten Dinge, die ich noch nie gesehen hatte. Die Menschen redeten in einer fremden Sprache mit mir. Wir sind angeln gegangen, haben den Fisch, den wir gefangen haben, am Abend gegessen. Für einen Stadtjungen ist das das Größte. Den würzigen Duft der traditionelle Tajine mit Oliven und Hühnchen, die meine Oma im Ofen zubereitet hat, werde ich nie vergessen. Genau wie einige Bilder. Zum Beispiel wie unser Nachbar auf dem Rücken eines Esels Wasser vom Brunnen nach Hause transportierte. In Marokko war mir alles fremd und doch war es irgendwie vertraut, schließlich war dieses Leben ein Teil meiner Familie. Wir wurden immer sehr freundlich und mit großer Offenheit empfangen – wohl auch weil mein Vater ein bekannter Boxer war.