Aber Skrupel wären eine schlechte Entschuldigung?
Sicher gibt es den einen oder anderen, der beispielsweise bei der Jugendschutzkammer anfängt, aber merkt, er hat große Probleme damit, über sexuellen Missbrauch von Kindern zu verhandeln. Aber wenn man Strafrichter wird, weiß man spätestens nach einer gewissen Zeit, da kann Verschiedenstes auf einen zukommen. Sonst hat man einfach den Job verfehlt.

Ohnehin darf eine Kammer bei der Auswahl der Fälle nicht mitsprechen. Jeder hat das Recht auf einen gesetzlichen Richter, um Befangenheit vorzubeugen.
Genau. Es muss von vornherein anhand abstrakter Merkmale festgelegt sein, wie die Fälle verteilt werden. Das häufigste Prinzip ist der Turnus, nach Eingang also. Früher wurde auch mal gelost. Dabei ist auch innerhalb der Strafjustiz vieles schon speziellen Kammern zugeordnet: Tötungsdelikte kommen zum Schwurgericht, dann gibt es Wirtschaftsstrafkammern, Jugendkammer und so weiter.

So kam der Zementmord damals zu Ihrer Jugendkammer. Haben Sie eigentlich in einer Zwickmühle gesteckt, weil Sie die Heranwachsenden, die man auch wie Erwachsene behandeln kann, nach Jugendstrafrecht verurteilt haben?
Für jeden Angeklagten saß ein psychiatrischer Sachverständiger im Verfahren. Wenn die sagen, da sind Reifeverzögerungen vorhanden, kann man darüber nicht hinwegsehen. Allerdings wurde der Haupttäter in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht, und das ist zeitlich unbefristet. Ob man es jetzt für gerecht hält, dass Jugendstrafrecht angewandt wurde, ist eine politische Frage. Die Abschaffung wird ja schon seit Jahr und Tag diskutiert. Ob das für Extremfälle das richtige Ergebnis ist, darüber mag man streiten.

Hat man als Richter im Rahmen des Gesetzes überhaupt die Möglichkeit, Gerechtigkeit herzustellen?
Ganz flapsig gesagt: bei uns gibt es Recht, Gerechtigkeit nur höheren Ortes. Aber, Spaß beiseite, so ist es natürlich nicht. Manchmal sind die Betroffenen oder auch der Richter nicht zufrieden mit dem Endergebnis. Beispielsweise wenn er den Eindruck hat, der Angeklagte war der Täter, aber man kann es ihm nicht nachweisen. Aber so ist unser Rechtssystem ausgelegt: dass man lieber viele ungerechtfertigte Freisprüche in Kauf nimmt als eine falsche Verurteilung.