Der Schauspieler Sebastian Koch gibt in dem Historiendrama „Werk ohne Autor“ einen skrupellosen Nazi-Arzt. Im Interview spricht er über Teamwork, Kritik, schwierige Rollen und die Versuchung Hollywood.

Stuttgart - Mit dem Regisseur Florian Henkel von Donnersmarck hat Sebastian Koch einen Auslands-Oscar-gewonnen – 2007 für das DDR-Drama „Das Leben der Anderen“. Nun sind beide erneut nominiert mit einem großen historischen Bilderbogen, der durch drei deutsche Dekaden führt.

 

Herr Koch, wieder sind Sie mit Donnersmarck auf Oscar-Kurs – was verbindet Sie beide?

Wir sind ein gutes Team und eingespielt. Ich war von Anfang an in den gesamten Prozess eingebunden. Florian weiß, wie wichtig die Schauspieler sind und behandelt sie entsprechend. Er schafft einen sehr kreativen Raum, in dem großes Vertrauen herrscht und in dem man viel ausprobieren kann.

Beim Festival in Venedig war das erste Screening – wie geht man da hinein, vor internationaler Kulisse?

Es ist unglaublich spannend zu sehen, ob und wie sich unsere Arbeit übersetzt, ob die Spannung hält. Dort ist ein Publikum aus Cineasten, und wenn man merkt, dass es bei denen funktioniert, ist das ein unglaublich tolles Gefühl. Die haben über zehn Minuten lang im Stehen applaudiert. In Toronto war es dann genauso. Das hat uns gutgetan.

In Deutschland dagegen hagelt es Kritik…

Florian polarisiert, und das mag ich gerne. Es gibt nur wenige Regisseure, die den Mut haben, so emotional zu erzählen. In der Kritik wird das dann manchmal als amerikanischer Hollywood-Kitsch abgetan, und das finde ich ärgerlich, denn die Geschichte ist sehr gut recherchiert und ganz fein und klug erdacht.

Dieser Professor Seeband, den Sie spielen, ist ein Arzt ohne Moral, ein gefährlicher, mörderischer Typ. Was hat Sie daran gereizt?

Ich habe viele biografische Filme gemacht über Speer und Stauffenberg, bei denen ich in eine Vorlage eingebunden war. Ich konnte das interpretieren, aber nicht frei erfinden. In „Werk ohne Autor“ konnte ich die Figur selbst entwickeln. Seeband ist für mich wie eine Essenz all dieser Figuren, ein machtorientierter Ideologe, der eine unglaublich deutsche Disziplin mit sich trägt. Die Aufgabe war, ihn so scharf zu meißeln, ohne dass er zur Karikatur wird.

Wie ist das gelungen?

Wir haben ihm eine vielschichtige Hintergrundgeschichte gegeben, die wichtig war, um ihn ganz zu durchdringen. Alles steht zwischen den Zeilen, der Erste Weltkrieg wird nur beiläufig erwähnt, die protestanisch-calvinistische Herkunft mit den Händen auf der Bettdecke, den kalten Duschen bei moralischen Verstößen. In Seebands Heranwachsen gab es wenig Zärtlichkeit. Und er hat entschieden, nie wieder Opfer zu sein nach den Schützengräben des ersten Weltkriegs. Er hat sich gesagt: Nie wieder wird jemand Macht über mich haben, ich übe Macht aus. Der glaubt an etwas, das ist ein Überzeugungstäter. Der fühlt sich nicht als böser Mensch, er glaubt, das Richtige zu tun, das macht ihn so gefährlich. Trotz allem Monster versteckt sich dahinter ein Mensch und den gilt es für mich als Schauspieler zu erforschen und zu entdecken.

Seeband macht sich problemlos überall heimisch, zuerst in der DDR, später in Westdeutschland…

Ich sehe ihn schon als tief durchdrungenen Nazi-Ideologen, der hört nicht auf, das zu glauben. Ihm kommt entgegen, dass die Machtstrukturen sich ähneln, in jeder Diktatur herrschen ähnliche Regeln. Weil er so intelligent ist, kann er das übersetzen. Ich glaube, Seeband war nie dem Sozialismus zugetan, er hat als kleinsten gemeinsamen Nenner diese Regeln erkannt. Er ist hochintelligent, fordert viel von anderen, aber von sich selbst am allermeisten. Er setzt sich permanent unter Druck.

Was war die größte Herausforderung?

Die absolut perfekte Körperbeherrschung. Oder die Sprache. Seeband benutzt Sprache als Waffe, ist in der Lage damit seinen Gegenüber zu vernichten. Wie ein Schachspieler ist er immer drei Züge voraus, und das spiegelt sich in seiner Haltung. Ich dagegen bin ein emotionaler Mensch, der sich viel bewegt, diese strenge Form war für mich eine echte Herausforderung.

Wie haben Sie es letztlich geschafft?

Ich suche mir Anknüpfungspunkte, in diesem Fall war das die Perfektion. Was heißt denn ideologisch? Wie gefährlich ist Ideologie? Sie schließt oft das andere aus, also muss ich als Schauspieler danach suchen, wo das bei mir ein bisschen so ist. Da muss man ehrlich mit sich sein. Man denkt ja, man weiß, was gut für Kinder ist, aber weiß man es wirklich? Man muss den anderen auch lassen, das verstehen Ideologen nicht unbedingt. Gut und Böse liegt da manchmal gar nicht weit auseinander. Letztlich gibt es nicht die Wahrheit, sondern Wahrheiten.

Es gibt einen Moment, in dem Seeband sich ertappt fühlt – wie macht man das sichtbar ohne Worte und ohne zu überziehen?

Er bricht in sich zusammen, er implodiert. Seeband hat seinen Schwiegersohn, diesen erfolglosen Künstler, völlig unterschätzt. Er hat bei sich selbst ja diese Werte, die diesen Künstler ausmachen, abgeschnitten: Empathie, Sensibiliät, Intuition, alles was er für schwach hält. Und Kurt kämpft nicht gegen ihn, er nimmt die negative Energie auf und transformiert sie, er nutzt sie als Kraftquelle, und das macht ihn stark. Seeband hat alles getan, um Kurt zu zerstören, aber der reagiert wie ein Aikido-Kämpfer: Er arbeitet nicht dagegen, er entzieht sich nicht, sondern schaut sich das an und wächst dadurch.

Was gibt für Sie den Ausschlag, ob Sie eine Rolle annehmen?

Das Buch ist schon das wichtigste. Wenn ich das zum ersten Mal lese, merke ich sofort, ob ich Kontakt dazu habe, ob ich den Film sehen will. Dann schaue ich, ob die richtigen Leute dabei sind, denen es wirklich um die Sache geht, und ob es zu meiner Lebenssituation passt, weil ich mich dann ja doch meistens ein Jahr damit beschäftige.

Sie schienen ein gutes Händchen bei der Auswahl Ihrer Rollen zu haben. War das immer so?

Ich habe die ersten zehn Jahre nur Theater gespielt, das habe ich als meine eigentliche Berufung empfunden. Ich war also nie angewiesen auf Filmrollen und konnte immer nein sagen, wenn ich etwas nicht machen wollte. 1993 habe ich dann im Schillertheater gekündigt und den Film als neue berufliche Heimat für mich entdeckt..

Sie haben in der 5. Staffel der US-Serie „Homeland“ mitgespielt – wie empfinden Sie die neue Serienkultur?

Da hat sich viel verändert, so eine Serienproduktion ist eine große Maschine, die sehr perfekt funktioniert. Es sind kluge Köpfe, die das schreiben und zusammenhalten. Was das Narrative angeht, haben die Serien eine große Tiefe. Aber man arbeitet unter größerem Zeitdruck, es muss alles schneller gehen, weil nicht so viel Geld da ist. Ich bin mehr dem Kino zugetan, wo ich mehr Zeit habe, etwas zu entwickeln, mit dem Regisseur mehr in die Tiefe zu gehen, mitzubestimmen. Ich bin ein großer Fan der Leinwand, die sieht alles, was man denkt, jeden kleinen Fehler, aber auch jeden Geniestreich.

In Steven Spielbergs Kinofilm „Bridge of Spies“ waren Sie als DDR-Anwalt neben Tom Hanks zu sehen – gibt es da noch eine gewisse Ehrfurcht, oder stehen Sie da drüber?

Mit einem Weltstar wie ihm zu arbeiten, ist am Anfang doch ein bisschen aufregend. Die Frage ist dann, wie es funktioniert, wenn es um die Sache geht. Wenn der Star-Status aufrechterhalten wird, ist das schwierig, wenn man sich verständigt und sich gegenseitig in der gemeinsamen Arbeit wirklich erlebt, fällt das ganz schnell weg. Mit Tom Hanks hat das wunderbar geklappt.

Wie haben Sie Steven Spielberg erlebt?

Er ist immer neugierig, und er liebt seinen Beruf. Er muss das machen, das spürt man, das ist einfach sein Leben. Bei ihm gibt es wenig Eitelkeit, ihm geht es um die Sache. Er ist immer freundlich, und es ist ihm wichtig, was man einbringt. Natürlich hat er einen plan, aber er ist offen für alles, was gut und besser ist. Er setzt Arbeitslicht, lässt spielen, schaut zu und ist dann sehr empfänglich für Feedback der Schauspieler. Das ist nicht selbstverständlich in der Branche.

Waren Sie jemals in Versuchung, nach Hollywood zu gehen?

Hollywood kommt ja immer öfter nach Europa, „Die Hard“ wurde in Budapest gedreht, „Bridge of Spies“ in Polen und in Babelsberg. Ich bin sehr gerne hier, und die Sprache ist einfach das Hauptausdrucksmittel. Es ist wichtig, dass man sich sicher in ihr bewegt, sie muss ein Zuhause sein. Ich habe mir mühsam das Schwäbisch abgewöhnt. Hochdeutsch lernen war wie eine Fremdsprache lernen, der Schwabe nuschelt ja alles weg, besonders die Endungen. Am Anfang habe ich mich ziemlich geniert, aber nach so ca. einem Jahr, war dann auch Hochdeutsch meine Sprache. Mit meiner Mutter schwätz ich aber immer noch breitestes schwäbisch – kein Honoratiorenschwäbisch, das gibt’s bei mir nicht. Entweder oder.

Das Gespräch führte Bernd Haasis.