Wozu diesen Sommer in den Süden fahren? Carmen Binnewies, Professorin für Arbeitspsychologie, erklärt, warum Urlaub auch zu Hause erholsam ist und welche Tätigkeiten nachweislich einen Erholungseffekt haben.

Stuttgart - Carmen Binnewies ist Professorin für Arbeitspsychologie an der Universität Münster. Im Interview mit unserer Zeitung erklärt sie, warum man nicht weit weg fahren muss, um sich zu erholen. Frei nach dem Motto: Balkon statt Ballermann.

 

Frau Binnewies, kann man sich auch zu Hause erholen?

Für den Erholungseffekt spielt es keine Rolle, ob wir weit weg fahren oder zu Hause bleiben. Es kommt darauf an, wie man die Zeit erlebt. Egal, wo man ist.

Ich brauche also gar kein Wellenrauschen, um zu entspannen?

Ja. Erholung tritt dann ein, wenn ich abschalten kann. Auf andere Gedanken komme. Bei einer Reise gewinnt man natürlich schon durch die Entfernung und die neue Umgebung Abstand. Wenn man zu Hause bleibt, sollte man deshalb seine freie Zeit so gestalten, dass sie sich möglichst stark vom sonstigen Alltag unterscheidet. Das erleichtert das Abschalten.

Zu Hause tendiert man aber doch dazu, Dinge zu erledigen, die man sonst nicht schafft.

Das muss gar kein Problem sein, solange ich mich dabei wohlfühle. Wenn es mir zum Beispiel Spaß macht, die Wohnung zu renovieren und am Ende des Urlaubs ein schönes neues Wohnzimmer zu haben, kann das auch sehr erholsam sein. Wichtig ist nur: Das, was ich tue, sollte sich nicht nach Verpflichtung anfühlen.

Lieber ins volle Freibad oder an einen ruhigen See in der Natur?

Natur hat nachweislich einen starken Erholungseffekt. Mehrere Studien haben gezeigt, dass ein Ausflug ins Grüne Stress abbaut. Forscher aus Norwegen haben sogar herausgefunden, dass alleine schon das Betrachten von Naturbildern einen Erholungseffekt hat. In einer anderen Studie hat das auch mit Fotos von antiken Stätten funktioniert.

Ich könnte also auch einfach gleich auf dem Sofa liegen bleiben?

Zur Entspannung führen viele Wege. Es ist aber nicht immer erholsam, nur herumzuliegen und sich möglichst wenig zu bewegen. Unsere Untersuchungen zeigen, dass es sich zum Beispiel positiv auswirkt, wenn man sich im Urlaub eine kleine Herausforderung sucht – etwas Neues macht, das man sonst nicht tut. Das erscheint zunächst vielleicht anstrengend. Eine kleine Herausforderung zu meistern, gibt aber ein gutes Gefühl und trägt so zur Erholung bei.

Sie meinen, beim Yoga einen Kopfstand wagen? Selbst etwas nähen, statt shoppen zu gehen?

Oder eben das Wohnzimmer renovieren, wenn man das noch nie gemacht hat.

Und trägt es zur Erholung bei, wenn ich mich mal richtig ausschlafe?

Schlaf ist eine ganz wichtige Facette von Erholung. Wichtiger als die Länge ist allerdings die Qualität des Schlafes. Viele Menschen vertragen es nicht, wenn sie im Urlaub mehr schlafen als gewohnt. Veränderungen im Schlafrhythmus können sogar Beschwerden wie Kopfschmerzen hervorrufen. Das ist so ähnlich wie bei einem Jetlag.

Was kann die Erholung noch beeinträchtigen?

Je mehr man E-Mails schreibt und telefoniert, desto weniger kann man im Urlaub abschalten. Das konnten wir gerade in einer Studie zeigen. Interessanterweise zeigte sich dabei, dass dies sowohl für berufliche als auch für private Kontakte gilt. Da gibt es keinen Unterschied. Wer es schafft, seine Kommunikationsmedien möglichst oft beiseitezulegen, erholt sich besser.

Es gibt den Begriff der Liegestuhl-Depression. Man liegt am Strand, schaut aufs Meer, alles ist perfekt, aber man kann sich einfach nicht entspannen. Was ist da los?

Das liegt häufig daran, dass noch zu viele Gedanken von der Arbeit im Kopf umhergehen, die einen beschäftigen. Es zeigt, dass das Abschalten noch nicht funktioniert hat. In dem Fall hilft Ablenkung. Man sollte sich einer anderen Tätigkeit zuwenden. Wenn man in etwas anderes vertieft ist, denkt man automatisch nicht mehr an die Arbeit. Es kann dann schon helfen, sich einfach mit jemandem zu unterhalten, statt schweigend aufs Meer zu schauen.

Manche planen ihren Urlaub von hinten bis vorn mit Aktivitäten durch.

Das muss nicht unbedingt schädlich sein. Zum Stress wird es erst, wenn ich das Gefühl habe, fremdbestimmt zu sein, nicht mehr frei wählen zu können, wann und was ich tue. Zum Beispiel, wenn mein Partner die Liste gemacht hat und mich von einem zum anderen Termin zerrt, obwohl ich das gar nicht will. Eine Frau hat mir mal erzählt, dass ihr Mann sie immer auf sein Boot schleppt, wo sie dann kochen und sauber machen muss, obwohl sie das gar nicht mag.

Wie lange sollte der Urlaub dauern, damit ich mich gut erhole?

Alle Forschung, die es bisher zu dieser Frage gibt, zeigt, dass die Länge des Urlaubs keine große Rolle spielt. Am Ende ist nicht die Dauer entscheidend, sondern wie ich die Zeit erlebe. Längere Urlaube sind nicht unbedingt erholsamer als kurze. Es gibt auch Studien, die zeigen, dass ein Kurztrip übers Wochenende schon Erholungswert hat. Deswegen kann es sogar besser sein, mehrmals kürzere Auszeiten zu nehmen, statt das ganze Jahr durchzupowern und nur einen großen Sommerurlaub zu machen.

Es gibt aber doch diesen alten Spruch: Die Erholung fängt erst nach zehn Tagen an. Oder so ähnlich.

Bis heute gibt es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, die das stützen. Wir haben dazu auch schon einmal eine Studie gemacht. Wir wollten zum Beispiel sehen, ob Menschen, die besonders erschöpft sind, länger brauchen, bis der Erholungseffekt eintritt. Das konnten wir aber nicht finden.

Wie sollte man sich denn am Ende des Urlaubs idealerweise fühlen? Viele wissen das vielleicht gar nicht mehr richtig.

Voller Energie. Gut gelaunt. Nicht gereizt, aggressiv oder angespannt. Dass man gut erholt ist, merkt man auch daran, dass man offener ist für all das, was um einen herum passiert.

Und wie lange hält dieser Zustand an, wenn ich wieder zur Arbeit gehe?

Der Erholungseffekt hält maximal drei Wochen an. Häufig auch nur eine Woche. Dann ist das Anspannungsniveau wieder auf dem Level wie vor dem Urlaub.

Manche behaupten, sie brauchen nur zwei Stunden, um wieder gestresst zu sein.

Wie schnell das geht, hängt vor allem davon ab, wie viel Arbeitsbelastung direkt nach dem Urlaub auf einen wartet. Bei vielen Menschen ist es so, dass alles liegen bleibt, während sie weg sind. Sie haben also direkt nach dem Urlaub sogar mehr zu tun als sonst. Da ist das Feriengefühl schnell verflogen. Man kann eben auch nicht immer beeinflussen, was auf einen zukommt. Wir wissen zum Beispiel, dass die Dauer des Urlaubseffektes bei Lehrern vom Verhalten der Schüler abhängt.

Kann man aktiv etwas tun, um sich das Urlaubsfeeling länger zu erhalten?

Man kann zum Beispiel seine Abwesenheitsnotiz für E-Mails zwei Tage länger angeschaltet lassen. Dann erwarten die Leute nicht, dass ich sie sofort am ersten Tag zurückrufe, und ich kann mein Postfach nach und nach abarbeiten. Eine andere Studie hat ergeben, dass der Erholungseffekt länger anhält, wenn man es schafft, im Alltag regelmäßig Entspannung zu finden – sich also täglich einen Mini-Urlaub gönnt.