Zuhause bleiben, selbstständig lernen, genug zu Essen haben – das alles fällt derzeit leichter, wenn man über genug Geld verfügt. Heiner Heizmann vom Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart erklärt, warum Menschen am Rande der Gesellschaft jetzt besonders leiden und wie jeder einzelne helfen kann.

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Stuttgart - Zuhause bleiben, selbstständig lernen, genug zu Essen haben – das alles fällt derzeit leichter, wenn man über genug Geld verfügt. Heiner Heizmann vom Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart erklärt, warum Menschen am Rande der Gesellschaft in der Corona-Krise besonders leiden, und wie jeder einzelne helfen kann. Von der Politik fordert sein Verband eine Aufstockung von Sozialleistungen für Hartz-IV-Bezieher.

 

Herr Heizmann, die Caritas berät unter anderem Suchtkranke, bietet Obdachlosen Schlafplätze und Begegnungsräume an und besucht hilfebedürftige Familien zuhause. Wie funktionieren solche Dienste derzeit?

Tatsächlich stehen wir gerade vor der Herausforderung, unsere Mitarbeiter ebenso wie Hilfesuchende ausreichend vor dem Virus zu schützen, aber gleichzeitig die Angebote aufrechtzuerhalten, die unbedingt notwendig, also systemrelevant sind. Wobei sich der rechtliche Rahmen dazu ja täglich ändern kann.

Welche Angebote müssen Sie schließen?

Ein Teil der Tafelläden hat zum Beispiel geschlossen. In unseren Tagesstätten bieten wir normalerweise Cafés an, in denen Menschen, die einsam oder in Not sind, Ansprache finden und einen Platz, an dem sie willkommen sind. Das können wir momentan so nicht mehr anbieten. Wir arbeiten aber an Alternativen, prüfen, ob es zum Beispiel eine Möglichkeit sein könnte, solche Angebote nur für eine bestimmte Anzahl an Menschen zu öffnen. Denn gerade für die Nutzer dieser Angebote sind sie sehr wichtig, sie bedeuten soziale Teilhabe. Bei unseren Beratungsangeboten stocken wir gerade die Möglichkeit für Online- und Telefonberatung auf.

Wie läuft die Hilfe für Obdachlose derzeit?

An Orten, an denen die Caritas Notübernachtungsplätze anbietet, hängt es von den jeweiligen Kommunen ab, ob wir diese weiterhin anbieten können. Aber wir betreuen auch Wohngemeinschaften und Sammelunterkünfte. Dort gilt jetzt, was für jeden gilt, also anderen möglichst fern zu bleiben und öffentliche Räume zu meiden. Wobei das natürlich unter den Bedingungen dort sehr viel schwerer umsetzbar ist. Manche sind gar nicht darauf ausgelegt, dass sich die Bewohner den ganzen Tag dort aufhalten. Generell gilt: Die derzeitigen Einschränkungen treffen uns alle. Aber Menschen mit beschränkten finanziellen Mitteln treffen sie noch härter. 

Weil Sie zum Beispiel nur ein Zimmer oder eine kleine Wohnung haben?

Das ist ein wichtiger Grund. Wenn ich als Familie jetzt auf engstem Raum zusammensitze, birgt das natürlich ein größeres Konfliktpotenzial, als wenn ich mir in einem großen Haus aus dem Weg gehen kann. Gerade Kinder aus einkommensschwachen Elternhäusern sind es gewohnt, viel draußen zu sein, weil es zuhause eng ist und vielleicht wenige Spielsachen zur Verfügung stehen. Für diese Kinder ist das jetzige Homeschooling, also das selbstständige Erarbeiten von Schulstoff, übrigens auch ein großes Problem. 

Warum?

Teilweise verfügen sie gar nicht über die technischen Möglichkeiten, haben zum Beispiel keinen Drucker. Außerdem sind die Eltern vielleicht gar nicht in der Lage, ihnen zu helfen, was jetzt wichtig wäre. Diese Kinder haben ohnehin schon einen Nachteil, weil Bildungserfolg in Baden-Württemberg stark vom Elternhaus abhängig ist. Diese Kinder werden jetzt noch mehr abgehängt. Je nachdem, wie lange die Schulschließungen dauern werden, können große Bildungslücken entstehen.

Wie wirken sich die Einschränkungen noch aus?

Stichwort Mobilität: Wer ein Auto hat, kann momentan damit zur Arbeit, in den nächsten Wald oder zum Einkaufen fahren und muss nicht Bus oder Bahn benutzen. Aber gerade Menschen mit wenig Geld legen lange Strecken zurück, um zum Beispiel zu einem Supermarkt zu gelangen, wo es günstige Angebote hat. Derzeit müssen sie entscheiden, ob sie sich dem Risiko aussetzen, mit dem Bus zu fahren – oder eben im teureren Supermarkt um die Ecke einkaufen, den sie sich gar nicht leisten können.

Sonderangebote zu finden, ist derzeit wahrscheinlich ohnehin schwierig.

Tatsächlich ist das ein Problem. Bei Hamsterkäufen greifen die Leute wohl eher zu günstigen Artikeln. Die fehlen dann denjenigen, die darauf angewiesen wären. Ich selbst habe kürzlich erlebt, dass es zwar noch Spülmaschinentabs zu kaufen gab, aber eben nicht die für zwei Euro, sondern nur noch die für acht Euro. Dazu kommt, dass Angebote wie Tafelläden oder Suppenküchen jetzt nicht, oder nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Aber wer von Hartz-IV lebt, für den sind diese Angebote existenziell. Die Menschen wenden unter normalen Umständen sehr viel Zeit dafür auf, Lebensmittel dort zu besorgen, wo sie eben gerade günstig sind.

Was kann diesen Menschen jetzt helfen?

Es ist klar, dass die derzeitigen Einschränkungen notwendig sind. Daran ist nicht zu rütteln. Es geht auch nicht darum, verschiedene soziale Gruppen gegeneinander auszuspielen. Aber es wäre wichtig, dass Sozialleistungsbezieher jetzt kurzfristig mehr Geld vom Staat erhalten. Ob über eine Erhöhung der Leistungen oder Einmalzahlungen. Es muss sichergestellt werden, dass sich diese Menschen den ganz normalen Supermarkteinkauf derzeit leisten können. Unter welchem Label das stattfindet, ist letztendlich egal.

Und was kann jeder Einzelne tun?

Es gibt ja bereits erfreulich viele Initiativen, in denen zum Beispiel Jüngere für Ältere einkaufen. Aber es wäre ja zum Beispiel auch möglich, dass man für die alleinerziehende Nachbarin miteinkauft. Oder jemandem etwas vor die Tür stellt, von dem man das Gefühl hat, er könnte es brauchen. Wir können diese Herausforderungen nur gemeinsam als Gesellschaft meistern.

Heiner Heizmann (31) stammt aus Konstanz und hat Soziale Arbeit studiert. Er leitet das Kompetenzzentrum Sozialpolitik beim Caritas-Verband der Diözese Rottenburg-Stuttgart.