Das Urteil gegen den Blogger Nawalny zeigt, dass der Kreml verstärkt die unabhängige Meinungsbildung kriminalisiert, kritisiert Andreas Schockenhoff (CDU), Koordinator für die deutsch-russische Zusammenarbeit.

Stuttgart - Das Nawalny-Urteil zeigt, dass der Kreml verstärkt die unabhängige Meinungsbildung kriminalisiert, sagt der CDU-Politiker Andreas Schockenhoff.

 

Herr Schockenhoff, wie bewerten Sie die Verurteilung von Alexej Nawalny?

Der Fall Nawalny ist exemplarisch für eine Politik, die keine Formen von Opposition und von politischem Wettbewerb duldet. Der Richter hat sich vor der Urteilsverkündigung damit gebrüstet, dass er noch nie einen Angeklagten frei gesprochen hat. Der zuständige Ermittler hat zugegeben, dass Nawalnys politisches Engagement Grund für die Strafverfolgung gewesen sei. Das allein spricht schon Bände.

Mit einem fairen Verfahren hatte dies nichts zu tun?

Das ist ein Beleg für die mangelhafte Unabhängigkeit der Justiz in Russland. Russlands Präsident Wladimir Putin betrachtet jede Form von eigenständigem politischem Engagement als Gefährdung des Systems. Dieser Prozess dient der Repression und nicht der unabhängigen Rechtsfindung.Die Bürgerrechtlerin Ljudmila Alexejewa sieht Russland auf dem Weg in den Polizeistaat.

Ist das zu hart?

Das Urteil fügt sich in eine Serie von Repressionsmaßnahmen, die wir seit über einem Jahr mit großer Sorge beobachten. Unabhängige Meinungsbildung und aktives Bürgertum wird als Gefahr für die Stabilität der Machtvertikale gesehen und aus diesem Grund diskreditiert oder kriminalisiert.

Unangenehme Bürgerkontrolle

Weshalb war es Putin so wichtig, ein weiteres Exempel zu statuieren? War Nawalny so gefährlich?

Nawalny hat über seinen Blog im Internet kriminelle Machenschaften und systematische Korruption aufgedeckt. Viele andere sind seinem Beispiel gefolgt und haben vom Staat mehr Transparenz und Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit eingefordert. Diese Art von Bürgerkontrolle ist für den Kreml äußerst unangenehm. Deshalb geht er gegen Nawalny vor.

Was bedeutet das Urteil letztlich für die Bürgermeisterwahl in Moskau?

Das ist eine paradoxe Geschichte. Nawalny wurde zwar am Mittwoch als Kandidat zugelassen. Wenn aber am nächsten Tag eine Verurteilung den aussichtsreichsten Gegenkandidaten des Kreml-Kandidaten Sobjanin aus dem Rennen wirft, dann ist das eine Farce. Da soll einem vororganisierten Sieg demokratische Glaubwürdigkeit verliehen werden.

Wie wird sich die Opposition verhalten, überspannt der Kreml den Bogen, sind Unruhen zu befürchten?

Eine weitere Verhärtung ist zu befürchten. Es ist klar, dass der Kreml mit allen Mitteln Opposition und Pluralismus kleinhalten möchte. Auf der anderen Seite zeigt die öffentliche Anteilnahme an diesem Prozess, dass man die Paste nicht in die Tube zurückdrücken kann. Die Opposition ist zwar nicht organisatorisch geeint. Aber sie spricht im Namen von immer mehr russischen Bürgern. Es gibt eine wachsende Mittelschicht, die selbstbewusst politische Mitbestimmung einfordert. Aber auch innerhalb der russischen Wirtschaft, von Seiten der kleinen und mittleren Unternehmen, wächst die Kritik an der Machtfülle des Kremls, die alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche kontrolliert.

Repressionen lähmen das Land

Die Repressionen und Einschüchterungen lähmen das Land und die wirtschaftliche Entwicklung. Wie lange hält Putin das durch?

Wie die prominente Bürgerrechtlerin Alexejewa richtigerweise sagt, gibt es eine Gruppe von Figuren, die durch ihre Nähe zu Putin zu Milliardären geworden sind. Zugleich ist aber die Abhängigkeit Russlands von Öl und Gas größer als zum Ende der Sowjetunion, als der Ölpreis einem Bruchteil des heutigen entsprach. Russland hat die Phase stetig wachsender Energiepreise also nicht genutzt, um die Wirtschaft zu diversifizieren. Es gibt deshalb immer mehr Menschen, die offen sagen, dass ein hartes Vorgehen gegen Korruption und eine nachhaltige Stärkung der Rechts- und Investitionssicherheit entscheidend für die wirtschaftliche Zukunft des Landes ist. Russland muss sich modernisieren und dazu braucht das Land Partner. Deutschland und die EU haben eine solche Partnerschaft angeboten. Dieser Weg kann Russland aber nur mit und nicht gegen die eigenen Bürger gelingen. Deshalb ist es wichtig, dass der Westen und Deutschland einen offenen Dialog mit Russland führen. Es ist falsch, zu behaupten, dass Kritik an den oben beschriebenen Defiziten in Russland unseren wirtschaftlichen Interessen schadet. Im Gegenteil. Um später von einem Modernisierungsaufschwung profitieren zu können, müssen wir jetzt Missstände offen ansprechen.

Muss einem Russland Angst machen?

Wir sprechen von einem autoritären System, das von oben in alle Lebensbereiche hineinregieren will und jede Bürgerbeteiligung von unten ausmerzt . . .So beschreibt man gemeinhin Diktaturen.Jedenfalls sprechen wir über ein System, das das Potenzial Russlands im Keim erstickt. Das birgt für Russland, aber auch für unsere Partnerschaft eine große Gefahr.