Im Rahmen der Fashion Week in Berlin gibt es auch eine Ethical Fashion Show. Allerdings sei Nachhaltigkeit gerade in der Modebranche schwer zu erreichen, sagt die Wissenschaftlerin Dagmar Venohr.

Stuttgart - Die Modewissenschaftlerin Dagmar Venohr (46) lehrt und forscht seit 2017 am Institut für Ästhetisch-Kulturelle Bildung in der Abteilung Textil und Mode an der Europa-Universität Flensburg. Im Moment sei eine Übersättigung im Modebereich erreicht, sagt sie. Aber zugleich spielten grüne Mode und Ethical Fashion immer größere Rollen.

 
Frau Venohr, stimmt der Satz: Mode ist, wenn viele Menschen Ähnliches tragen?
Heute können kaum noch alle etwas Ähnliches tragen, wir haben so viele Kleinstkollektionen, und dauernd erscheint etwas Neues auf dem Markt.
Dennoch sehen Millionen Leute in Röhrenjeans und mit Duttfrisur einander zum Verwechseln ähnlich.
Das ist nur ein kleiner Ausschnitt. Mode ist global geworden, und bezogen auf die gesamte Weltbevölkerung sind das verschwindend kleine Szenen. Was Mode ausmacht, ist die ständige Suche nach etwas Neuem. Dass die Identifizierung mit einer bestimmten Gruppe oder einem Zeitgeist über die Frisur oder die Schuhe transportiert wird, das ist seit je so.
Welchen Einfluss haben Modeblogger, sogenannte Influencer, wirklich?
Einen großen. Aber es gab sie schon immer. In den 1920er Jahren sind in Berlin Hunderte von Modezeitschriften erschienen, auch sie waren Influencer. Heute haben wir es mit einem anderen Medium zu tun, das eine größere Virulenz besitzt.
Neue Trends verbreiten sich dadurch schneller.
Genau, durch das Medium wird der Markt weiter beschleunigt, wir haben eine Übersättigung und ersticken irgendwann in unserem Textilmüll. Unsere Ressourcen sind bald am Ende. Nur weil wir so gut verdrängen können, wie viel Müll wir produzieren.
Für dieses Problem gibt es jetzt aber ein gesteigertes Bewusstsein auch innerhalb der Szene.
Ja, neben den beschriebenen psychologischen Mechanismen der Mode richtet sich der Blick auf das Individuum und das Material. Grüne Mode und Ethical Fashion spielen immer größere Rollen. Auf den Modeblogs und bei den Unternehmen entsteht das Bestreben, sich nachhaltiger zu verhalten. Das ist schwierig, denn Nachhaltigkeit ist antagonistisch zur Mode. Deshalb werden diese Prozesse der Entschleunigung auch nur sehr langsam voranschreiten.
Kleidungsstücke erschienen in den vergangenen Jahren selbst von teuren Marken weniger qualitätvoll und nicht lange haltbar.
Ja, selbst innerhalb des High-Class-Sektors hat sich ein Qualitätsabfall ergeben. Die Kleidungsstücke sind nicht mehr so hochwertig, die Kaschmirfasern werden beispielsweise kürzer, die Pullover fusseln dann. Auch andere Wollfasern sind mittlerweile oft wahnsinnig kurz. Das sind alles Folgen der beschleunigten industriellen Herstellung.
Heute ziehen Chefs Turnschuhe an, Jugendliche tragen Designertaschen. Es ist schwierig, jemanden rein vom Äußeren einer Gesellschaftsschicht zuzuordnen.
Man hat das Gefühl, es sei durchlässiger geworden, aber das stimmt nicht. Wenn Sie sich einen reichen Hanseaten anschauen, merken Sie, die definieren sich immer noch über eine Kleidung wie beim Landadel. Auch Mode bei Menschen im fortgeschrittenen Alter ist oft sehr homogen, da fehlt der Mut, etwas Außergewöhnliches oder Auffälliges zu tragen.
Welche Rolle spielen Metropolen in Zeiten von Internetblogs für die Entstehung von Modetrends überhaupt noch?
Sie sind weiter entscheidend. Bei einer Gesellschaftsschicht in den Metropolen sitzt das Geld: bei den sogenannten Lohas (Anm. d. Red.: nach Englisch: Lifestyles of Health and Sustainability), also den gesundheitsbewussten jungen Familien in Los Angeles, New York, London oder auch in Berlin. Sie lesen Blogs, teilen ihre Erlebnisse im Netz, sie kriegen alles mit. Deren Lifestyle ist für viele tonangebend, auch für die Industrie.