Klar, im Bodensee gibt es Felchen, Barsche, Zander, Hechte. Aber wie viele gibt es eigentlich von welcher Art? Wie groß werden sie? Und wo halten sie sich vorwiegend auf? Das wollen Wissenschaftler der Fischereiforschungsstelle herausfinden, indem sie die Tiere zählen.

Langenargen - Frühmorgens, noch vor sieben Uhr auf dem Bodensee. Das kleine Fischerboot von Barbara Scholz und Andreas Revermann liegt in der Morgensonne vor dem österreichischen Ufer. Während Revermann Netze aus dem Wasser zieht, macht Scholz sich Notizen.

 

Ein Fisch nach dem anderen wird vermerkt. Anschließend packen die beiden Mitarbeiter der Fischereiforschungsstelle in Langenargen (Bodenseekreis) die Netze in Kisten - sortiert nach der Wassertiefe und dem Standort, an dem sie eingeholt wurden. An Land warten bereits ihre Kollegen, um den Fang zu vermessen und zu wiegen. Denn die Wissenschaftler machen eine Art Bestandsaufnahme der Fische im Bodensee.

Echolot untersucht das Wasser

Vorstellen kann man sich das wie eine Inventur im Supermarkt - nur dass statt Joghurt- und Nudelpackungen eben die Fischmenge bestimmt wird. Dazu haben die Forscher Netze an verschiedenen Standorten ausgelegt, wie der Leiter der Forschungsstelle, Alexander Brinker, sagt. Zudem betreiben sie Elektrobefischung und untersuchen das Wasser mithilfe eines Echolots. Und da man natürlich nicht jeden Fisch im Bodensee einzeln zählen kann, müssen die Wissenschaftler anschließend hochrechnen, um einen möglichst guten Überblick über den Bestand, das Wachstum der Tiere und die Zusammensetzung und Verteilung ihrer Arten zu bekommen.

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Vor fünf Jahren habe es zusammen mit der Schweizer Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz schon einmal ein solches Monitoring gegeben, sagt Scholz. Bei dieser ersten standardisierten Fischbestandsaufnahme des kompletten Sees wurden Barsche, Rotaugen, Felchen, Brachse, Hechte, Karpfen und viele andere Arten gezählt und vermessen.

Ergebnis soll mit Bestand 2014 verglichen werden

Und es gab eine Überraschung: Ins Netz ging auch der Tiefseesaibling, der bis dahin als ausgestorben galt. Weniger positiv war dagegen die Entdeckung, dass der Stichling inzwischen auch im Freiwasser ungewöhnlich stark vertreten ist - und dort unter anderem dem Felchen zu schaffen macht.

Die jetzige Fischzählung habe zum einen das Ziel, die Daten mit den Ergebnissen von 2014 zu vergleichen, sagt Scholz. „Wir müssen wissen, wie sich der Fischbestand mit der Zeit entwickelt, ob sich die Artenzusammensetzung verschiebt, welche Arten profitieren und welchen Arten es weniger gut geht. Erst dann kann man potenzielle Gründe und daraufhin Schutzmaßnahmen etablieren.“ Zugleich wollen die Wissenschaftler herausfinden, wie man den Aufwand für eine solche Bestandsaufnahme reduzieren kann. Das Monitoring ist personal- und kostenintensiv - aber eben auch notwendig.

Daten sind Teil eines EU-Projekts

Denn auf den See wirken inzwischen zahlreiche Stressfaktoren ein, wie Brinker sagt. Dazu gehören neben dem Klimawandel auch invasive Arten, ein Rückgang der Nährstoffe im Wasser und die Nutzung des Sees durch die Menschen. Der Wissenschaftler erklärt die Situation mit dem Bild eines Spinnennetzes: „Normalerweise ist das Ökosystem im Gleichgewicht, das Netz hängt entspannt.

Wenn man aber an nur einem einzigen Faden zieht, hat das Auswirkung auf das ganze System.“ Die Befischungskampagne und die anschließende Auswertung der Daten sind daher auch Teil des EU-geförderten Projekts „SeeWandel“, das den Einfluss solcher Stressfaktoren auf den Bodensee untersucht und in dem Brinker die Themengruppe Fische leitet.

Fischer leiden unter sinkenden Fangerträgen

Auf die Ergebnisse der Bestandsaufnahme warten neben den Forschern auch die Berufsfischer. Sie leiden seit Jahren unter sinkenden Fangerträgen. Nach Zahlen des Umweltministeriums in Baden-Württemberg ging der Ertrag der Fischer von 1219 Tonnen im Jahr 1997 auf 298 Tonnen im Jahr 2017 zurück. Als Ursache spielen gleich mehrere Faktoren eine Rolle, wie die Vorsitzende des Verbands Badischer Berufsfischer, Elke Dilger, sagt.

Zum einen der Stichling, der nicht nur Nahrungskonkurrenz für den Felchen ist, sondern sich zudem von Eiern und Larven anderer Fischarten ernährt. Zum anderen steigt die Zahl der Kormorane, die viel Fisch aus dem See entnehmen.

Phosphatgehalt im Wasser ist kritisch

„Keiner hat etwas gegen den Vogel, er gehört hierher“, sagt Dilger. „Aber die Menge ist inzwischen ein Problem.“ In Österreich gebe es ein Kormoran-Management, das den Bestand reguliere. „Das sollte am ganzen See umgesetzt werden.“

Ein weiteres wichtiges Thema für die Berufsfischer: Der Phosphatgehalt im Wasser. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass ein See mit einem Gehalt von unter 10 Milligramm pro Liter unwirtschaftlich sei, sagt Dilger. Am Bodensee liege er derzeit bei rund 7 Milligramm. „Es wäre schön, wenn man die 10 Milligramm wieder erreichen könnte - natürlich nur in Begleitung mit der Wissenschaft.“