Der Iran und der Westen stehen bei den Atomverhandlungen vor einer Entscheidung. Das sind die Streitpunkte und mögliche Folgen.

Gibt es eine Annäherung zwischen dem Iran und den USA, kann Europa auf mehr Öl und Gas hoffen, oder droht ein neuer Krieg im Nahen Osten? Antworten auf diese Fragen könnte es in den kommenden Tagen in Wien geben. Bei den Atomverhandlungen mit dem Iran steht eine Entscheidung bevor. Teheran schickte in der Nacht zum Dienstag seine Antwort auf einen EU-Vertragsentwurf nach Brüssel. Nun müssen Europa und die USA reagieren. Ein Überblick über die wichtigsten Streitpunkte und die möglichen Konsequenzen von Erfolg oder Misserfolg der Gespräche.

 

Die Verhandlungen Der Iran einigte sich 2015 mit China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und den USA auf einen Vertrag, der den Bau einer iranischen Atombombe verhindern sollte. Teheran stimmte Kontrollen durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) und einer Begrenzung der Urananreicherung zu. Im Gegenzug wurden Wirtschaftssanktionen abgebaut. Drei Jahre später stiegen die USA unter Präsident Donald Trump aus dem Abkommen aus und verhängten neue Sanktionen. Der Iran reagierte mit einer beschleunigten Urananreicherung, die inzwischen fast das nötige Niveau für eine Atombombe erreicht hat. Trumps Nachfolger Joe Biden will den Vertrag neu beleben. Deshalb wird seit April 2021 in Wien verhandelt, wo die IAEA ihren Sitz hat. Weil der Iran nicht direkt mit den USA reden will, vermittelt die EU.

Die Streitpunkte Im Juli schickte die EU einen „endgültigen“ Einigungsentwurf an die Verhandlungsparteien. Danach soll Teheran strikte Kontrollen akzeptieren und mit einem Sanktionsabbau belohnt werden. Der Iran will aber bei drei Themenfeldern nachbessern. Erstens verlangt Teheran, die IAEA solle aufhören, nach dem Ursprung von atomarem Material zu suchen, das im Iran an Orten gefunden wurde, die nicht als Nukleareinrichtungen deklariert waren. Zweitens will der Iran von den USA eine Garantie, dass eine Einigung nicht wieder von Washington kassiert wird, wie das unter Trump geschah. Die dritte Forderung bezieht sich auf Wirtschaftsunternehmen der iranischen Revolutionsgarde. Der Iran verlangt, dass ein Sanktionsabbau auch für Firmen der Garde gelten soll, obwohl die Truppe von den USA als Terrorgruppe eingestuft wird.

Die EU erklärte am Dienstag, sie prüfe die iranischen Forderungen. US-Außenamtssprecher Ned Price sagte, Washington werde die Sanktionen abbauen, wenn der Iran „nachprüfbare und dauerhafte Grenzen“ für sein Atomprogramm akzeptiere. Forderungen außerhalb des Atomvertrags seien aber nicht hinnehmbar, sagte Price mit Blick auf die Revolutionsgarde.

Folgen einer Einigung Sollten die Verhandlungspartner die letzten Hindernisse überwinden, könnte ein neuer Vertrag schon in den nächsten Wochen unterzeichnet werden. In Erwartung eines Erfolgs fällt schon jetzt der Ölpreis: Wenn Sanktionen gegen die Ölindustrie des Iran wegfielen, käme viel mehr Öl auf den Markt als bisher. Vor Trumps Sanktionen produzierte das Land fast vier Millionen Barrel (rund 640 Millionen Liter) täglich, etwa vier Prozent des weltweiten Bedarfs. Das Land besitzt zudem die zweitgrößten Gasvorräte der Welt. Theoretisch könnten iranisches Öl und Gas die europäische Abhängigkeit von Russland senken. Die krisengeplagte iranische Wirtschaft würde einen Aufschwung erleben. Unklar ist aber, wie schnell Sanktionen gegen die iranische Öl- und Gasindustrie nach einer Einigung fallen würden.

Politisch würde ein neuer Atomvertrag den Dauerkonflikt zwischen dem Iran und den USA entschärfen. Allerdings könnten die Spannungen zwischen den USA und einigen ihrer wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten wachsen: Israel, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate befürchten, dass der Iran neue Milliardeneinnahmen dazu nutzen würde, seinen Einfluss in Syrien, im Libanon, im Irak und im Jemen auszubauen. Zudem fürchten sie, dass Teheran trotz eines neuen Vertrags weiter nach der Atombombe streben würde.

Folgen eines Scheiterns Die iranische Regierung hat bereits angekündigt, dass sie weiter verhandeln will, wenn die Einigung misslingt. Ohne Sanktionsabbau würde die iranische Wirtschaft jedoch weiter in die Krise rutschen. Auch würde ein Scheitern der Wiener Gespräche wahrscheinlich nicht einfach im nächsten Einigungsversuch münden. Israel hat angekündigt, eine iranische Atombombe notfalls mit militärischen Mitteln zu verhindern. Im Nahen Osten könnte ein atomares Wettrüsten beginnen. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman will sein Land „so schnell wie möglich“ nuklear aufrüsten, wenn der Iran eine Atombombe bauen sollte.