Der irische Botschafter Nicholas O´Brien beklagt den Schaden, den der Brexit in Europa anrichtet. Aber er sieht auch neue Chancen für sein Land, das wohl am stärksten vom EU-Austritt der Briten betroffen ist.

Stuttgart - Die Frage, wie nach einem EU-Austritt der Briten die Grenze zwischen Irland und Nordirland aussehen soll, ist eine der wichtigsten im Brexit-Prozess. Ein Gespräch mit dem irischen Botschafter in Berlin, Nicholas O`Brien, über die neueste Brexit-Verschiebung und die politischen Risiken von Volksabstimmungen.

 

Herr Botschafter, an diesem Donnerstag sollte eigentlich der Brexit stattfinden. Nun ist er zum dritten Mal verschoben worden. Wie genervt sind die Iren von dem Hin und Her?

(Lächelt) So stark wie wohl alle in Europa…

Sorgt die lange Hängepartie bereits für wirtschaftliche Schäden in Irland?

Unser Handel fällt in diesem Jahr geringer aus als er sonst ausgefallen wäre. Unsere Wirtschaft wächst langsamer als eigentlich möglich. Der Brexit schadet uns, er schadet der EU. Aber am meisten schadet er Großbritannien.

Die Briten werden im Dezember ein neues Parlament wählen. Ist der nächste Austrittstermin, der 31. Januar 2020, dann noch zu erreichen?

Entscheidend ist der politische Wille. Wenn das britische Parlament den Brexit-Deal akzeptiert, kann der Austritt aus der EU wenig später stattfinden. Wenn es wieder scheitert, gibt es vermutlich nicht noch einen weiteren Austrittsvertrag. Die Bereitschaft der EU zu neuen Zugeständnissen ist erschöpft, wir haben genug Kompromissbereitschaft gezeigt.

Wünschen auch Sie sich eine neue Volksabstimmung der Briten über den Brexit, um endlich Klarheit zu haben?

Wir Iren haben unsere eigenen Erfahrungen mit Volksabstimmungen. Zwei große Vorhaben der Europäischen Union, die Verträge von Nizza und Lissabon, fanden bei Referenden in Irland keine Mehrheit – obwohl wir ein sehr, sehr europafreundliches Volk sind. Referenden sind immer eine komplizierte Sache: man weiß nie, was am Ende das Votum beeinflusst. Von außen betrachtet wirken die Briten tief gespalten. Es wird lange Zeit brauchen, um das zu heilen. Da hilft vielleicht im Moment auch kein neues Referendum.

In den Warnungen vor einem ungeregelten Brexit hieß es immer: Eine harte Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland würde wieder den Terror anlocken. Ist das Risiko wirklich so hoch?

Wenn man eine harte Grenze hat, muss die bewacht werden. Dann gibt es wieder Zollbeamte, Polizisten und Soldaten auf beiden Seiten. Es hat uns viele Jahre in einem sehr komplizierten Friedensprozess gekostet, eine solche Grenze los zu werden. Dahin werden wir nicht zurückkehren.

Der Brexit-Deal, den Boris Johnson und die EU geschlossen haben, sieht für Irland vor: keine harte Grenze, Zollkontrollen in der Irischen See, EU-Regularien in Nordirland für eine befristete Zeit. Ist das eine praktikable Regelung?

Wenn Sie damit fragen, ob es zu keinen Problemen kommt, kann ich mit einem klaren Nein antworten. Egal, wie gut man sich auf so etwas vorbereitet, es gibt immer Überraschungen. Aber ich halte das für eine tragfähige Lösung. Wir müssen jetzt die Scheidung ordentlich hinkriegen. Und dann müssen wir vereinbaren, wie die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien aussehen sollen. Das wird die eigentlich große Herausforderung, weil wir auch da noch nicht erkennen können, was die Briten wollen.

Vielleicht hat der Brexit auch positive Seiten. Eröffnen sich für die Iren neue Chancen, wenn der Nachbar Großbritannien nicht mehr mit in der EU ist?

Wir sind sehr traurig über den Brexit. Er wird für Irland am Ende des Tages mehr Nachteile als Vorteile bringen. Aber schon jetzt schauen wir stärker als vorher in Richtung europäisches Festland. Wir eröffnen zum Beispiel ein neues Handelsbüro in München und ein neues Generalkonsulat in Frankfurt. Warum? Wir wollen unsere traditionellen Märkte wieder stärker pflegen. Das zeigt: Es gibt ein Leben nach dem Brexit!