Ein Inder aus Bangalore wirbt auf Twitter für die Dschihadisten und verteidigt ihre Gräuel. Seine Identität wurde jetzt bekannt. Er ist geflüchtet. Ihm droht eine Haftstrafe.

Bangalore - Sie twittern in sechs Sprachen und rühmen sich ihrer Gräueltaten. Mit Mordvideos und Koransprüchen inszenieren sie sich im Cyberspace als der Zorn Allahs, vor dem es kein Entrinnen gibt. Auf dem gesamten Globus radikalisieren die Online-Propagandisten des „Islamischen Staates“ junge Leute und werben Rekruten an. Nie zuvor hat sich eine Terrorgruppe so gekonnt und effizient der sozialen Medien im Internet bedient wie die Anhänger des selbst ernannten „Kalifen Ibrahim“ alias Abu Bakr al-Baghdadi.

 

Als dessen aktivster und einflussreichster Cyberhetzer erwies sich schon bald ein Twitterer namens „@ShamiWitness“, zumal er über alle Untaten und Kämpfe in Syrien stets bestens informiert war – offenbar weil er Kontakte zur IS-Führungsebene hat. Ein Großteil der ausländischen Dschihadisten gehörte bald zu seinen 17 700 Followern. Sie applaudierten stets, wenn ihr Idol in einem seiner 130 000 Tweets (Kurznachrichten) die Enthauptung ausländischer Geiseln oder syrischer Soldaten pries, getötete Extremisten als Märtyrer feierte oder die IS-Terroristen anstachelte, gefangene kurdische Kämpferinnen zu vergewaltigen.

„Möge Allah den Islamischen Staat führen, schützen, geleiten und ausdehnen. Der Islamische Staat brachte Frieden, Unabhängigkeit, Null-Korruption, niedrige Kriminalitätsraten“, twitterte der Netzideologe zum Beispiel Anfang November. Als Logo nutzte er den libyschen Freiheitshelden Omar al-Mukhtar, der gegen die italienische Kolonisierung seiner Heimat kämpfte und 1931 von den Besatzern gehenkt wurde. Zuletzt am Mittwoch wetterte „@ShamiWitness“ noch über den CIA-Folterbericht. Geköpft zu werden sei hundertmal humaner als das, was diese Dreckskerle Muslimen angetan hätten. „Möge Allah diese stinkenden Bastarde vernichten – und möge ich diesen Tag noch erleben.“

Hinter einem libyschen Freiheitshelden versteckt

Was „@ShamiWitness“ allerdings tatsächlich erlebte, hätte sich der IS-Chefpropagandist wohl nicht träumen lassen. Plötzlich hatte er den britischen Sender Channel 4 am Smartphone, der seiner Identität auf die Spur gekommen war. Hinter dem IS-Twitter-Account verbirgt sich nämlich kein Führungsmitglied des „Islamischen Staates“, sondern ein junger Inder, der in der Millionenstadt Bangalore lebt und bei einem Lebensmittelkonzern arbeitet. „Wenn es machbar gewesen wäre, ich hätte alles zurückgelassen und wäre selbst in den Irak gegangen. Aber meine Eltern brauchen mich hier“, erklärte der Enttarnte den Journalisten, der jetzt in Indien um sein Leben fürchtet. Aus diesem Grund gab Channel 4 nur den Vornamen Mehdi preis und verpixelte dessen Gesicht, das der Sender auf Facebook gefunden hatte. Stunden später jedoch kursierten im Internet bereits der volle Name plus Porträts in blauem T-Shirt. Der britische Nachrichtensender war Mehdi auf die Schliche gekommen, als seine Rechercheure eine Verbindung zwischen dessen IS-Twitter-Account und seiner Facebook-Seite ermitteln konnten, die inzwischen beide abgeschaltet sind. Auf Facebook tummelte sich der blutrünstige Dschihad-Propagandist als lebenslustiger Biedermann, der Partys und Pizza liebt sowie von Ferien auf Hawaii träumt.

Ein britischer Sender kommt dem Hetzer auf die Schliche

Doch aus so ungezwungenem Freizeitvergnügen wird wohl nichts mehr werden. Die indische Polizei hat eine Großfahndung nach dem Untergetauchten eingeleitet, der sein Studium an der technischen Hochschule von West Bengal absolvierte und erst vor einem Jahr nach Bangalore umzog. Sollte er gefasst werden und vor Gericht kommen, dürfte er wohl für einige Jahre hinter Gittern verschwinden.