Auch wenn Barack Obama ausdrücklich nicht von Krieg spricht: Seine Rede an die Nation, die der US-Präsident am späten Mittwochabend in Washington hält, klingt trotzdem wie eine Kriegserklärung.

Washington - Auch wenn Barack Obama ausdrücklich nicht von Krieg spricht: Seine Rede an die Nation, die der US-Präsident am späten Mittwochabend in Washington hält, klingt trotzdem wie eine Kriegserklärung. Obama sagt in scharfem Ton: „Zusammen mit unseren Freunden und Verbündeten werden wir die Terrorgruppe, die sich ISIL nennt, schwächen und letztlich vernichten.“ Dazu will Obama die US-Luftangriffe auf Stellungen der sunnitischen Terrormiliz im Irak verstärken und erstmals auch deren Stützpunkte in Syrien angreifen. US-Bodentruppen will der Präsident allerdings nicht in den Einsatz schicken. Diesen Kampf sollen die Iraker und die Syrer führen - unterstützt von demnächst knapp 1500 US-Militärberatern in der Region.

 

Es ist die Ankündigung eines dramatischen Kurswechsels ihres Präsidenten, den Millionen von Amerikanern zur besten Sendezeit im Fernsehen verfolgen. Drei Jahre lang hat sich Obama aus dem syrischen Bürgerkrieg herausgehalten, dem inzwischen 200 000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Noch Anfang des Jahres verglich er die Terrorgruppe, die in den USA wahlweise ISIS (Islamischer Staat im Irak und Syrien) oder ISIL (Islamischer Staat im Irak und der Levante) genannt wird, mit einer zweitklassigen Basketballmannschaft, die auch nicht besser spiele, wenn sie die Trikots eines NBA-Teams trage.

Morde an US-Journalisten Foley und Sotloff

Erst die Videobilder von der Enthauptung der US-Journalisten James Foley und Steven Sotloff durch ISIS-Terroristen brachten den Sinneswandel. Erstmals seit Jahren findet Umfragen zufolge nun auch eine deutliche Mehrheit der Amerikaner, dass Schluss sein solle mit der Zurückhaltung im Nahen Osten.

So steht jetzt Barack Obama, der die Kriege in Afghanistan und im Irak beenden wollte, im Weißen Haus vor einem Rednerpult. Er unterstreicht seine scharfen Worte mit umfassenden Handbewegungen - und klingt ein wenig wie sein Amtsvorgänger George W. Bush, der vor ziemlich genau 13 Jahren die USA schon einmal in den weltweiten Anti-Terror-Krieg geschickt hat.

Obama spricht zwar ausdrücklich nicht vom Krieg, aber seine Wortwahl weckt Erinnerungen an die Zeit nach dem 11. September 2001. Obama sagt, er werde die Terroristen jagen und stellen, „wo immer sie sich aufhalten mögen“. Er werde nicht zögern, ISIL in Syrien und im Irak anzugreifen. Es sei ein Kernprinzip seiner Amtsführung: „Wer Amerika bedroht, wird keinen sicheren Zufluchtsort finden:“

Luftangriffe auf ISIL-Ziele in Syrien

Was seit einigen Tagen als eine Möglichkeit in Washington debattiert wird, scheint nun fester Plan Obamas zu sein: Luftangriffe auf ISIL-Ziele in Syrien. Wann die ersten Kampfjets in dem Nachbarland des Iraks in den Einsatz geschickt werden, sagt der US-Präsident allerdings nicht. Obama will vermeiden, dass sich der syrische Diktator Assad von den USA indirekt unterstützt sieht. Wörtlich erklärt der Präsident: „Im Kampf gegen ISIL dürfen wir uns nicht auf das Assad-Regime bauen, das sein eigenes Volk terrorisiert; ein Regime, das niemals die Legitimität wieder erhalten wird, die es verloren hat.“ Stattdessen soll nun offenbar die gemäßigte syrische Opposition mit Waffen versorgt werden, um im Kampf gegen Assad und ISIL bestehen zu können.

Obama setzt zudem auf eine internationale „Koalition der Willigen und Fähigen“, um die terroristische Bedrohung zurückzudrängen. Einen Zeitraum nennt der US-Präsident in seiner Rede allerdings nicht: „Es wird Zeit brauchen, ein Krebsgeschwür wie ISIL zu beseitigen.“ In Washingtoner Regierungskreisen wird mit einer Kampagne gerechnet, die mindestens drei Jahre in Anspruch nehmen wird. Sollte sich das bewahrheiten, wird noch Obamas Nachfolger mit dem Problem ISIL beschäftigt sein.

Anti-Terror-Strategie

Obama, der zuletzt wegen seiner vorsichtigen Außenpolitik scharf kritisiert worden ist, nennt seinen Plan eine „umfassende und ausdauernde Anti-Terror-Strategie“. Sein Vorgehen gegen die Terrormiliz im Irak und in Syrien grenzt der US-Präsident scharf gegen die Invasionskriege seines Vorgängers in Afghanistan und im Irak ab. „Ich möchte, dass die Amerikaner verstehen, wie sehr sich unsere Anstrengungen von den Kriegen im Irak und in Afghanistan unterscheiden“, sagt Obama und erhebt dabei den Zeigefinger. Seine Strategie gegen ISIL sei wie das Vorgehen der USA gegen Al-Kaida-Ableger im Jemen und in Somalia: Die US-Streitkräfte übernehmen die Angriffe aus der Luft, die einheimischen Soldaten stehen an der Front. Seit Jahren sei diese Methode erfolgreich, sagt Obama.

Kritiker des Präsidenten haben bereits kurz nach der Rede ein vorläufiges Urteil zur Hand. Obama missachte, dass die Gefahr, die ISIL für die Region darstelle, viel größer sei als jene, die von den Al-Kaida-Grüppchen auf der arabischen Halbinsel und in Ostafrika ausgehe. Der republikanische Senator John McCain, ein außenpolitischer Hardliner, wirft Obama zudem vor, mit dem völligen Abzug der US-Truppen aus dem Irak Ende des Jahres 2011 die Terrorgruppe ISIL stark gemacht zu haben.

13. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001

14 Minuten dauert die Rede Obamas an die Nation. In seine Abschiedsformel schließt Obama bemerkenswerterweise das Militär mit ein. „Möge Gott unsere Soldaten segnen“, sagt er und dreht sich um. Dann geht Obama, der sich fast sechs Jahre lang als Anti-Kriegs-Präsident geriert hat, bedächtigen Schrittes zurück ins Innere des Weißen Hauses.

Ein paar Stunden später hat der Präsident einen wichtigen Termin. Zusammen mit seiner Frau und der gesamten Belegschaft der US-Regierungszentrale muss er am Donnerstagmorgen an einer Schweigeminute zum 13. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 teilnehmen. Das war der Tag, an dem Amerikas erster Krieg gegen den Terror begann. Obama hat nun gewissermaßen Teil 2 eines Krieges angeordnet, den er lieber eine „umfassende Anti-Terror-Strategie“ nennt.