Sie ist Jüdin, geboren in Israel, seit 26 Jahren in Deutschland zuhause: Hadassi Grobshtein, die in einer Modenschau ein mutiges Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt hat, das auch der Bundeskanzlerin nicht verborgen blieb.

Stuttgart - Den Zuschauern stockt der Atem, jeder Laut erstirbt, angespannte Stille erfüllt die Festhalle in Feuerbach: Gerade noch bejubelte das begeisterte Publikum das Defilée der Modeschüler der Kerschensteinerschule in ihren eigenen Entwürfen, da holt der Scheinwerfer aus dem Dunkel eine einzelne Gestalt auf dem Laufsteg: Es ist Hadassi Grobshtein, die, halb im blau gestreiften Sträflingsanzug der KZ-Häftlinge und halb im Khakigrün einer Militäruniform, mit einem Koffer und den Aufschriften „Never Forget“ und „Never Again“ mahnend an den Holocaust erinnert. Weil in der Modenschau, die unter dem Motto „Zeitgeist“ eine Zeitreise durch die Welt der Mode von 1900 bis in unsere Tage vorführt, das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte nicht fehlen sollte.

 

„Wir haben lange diskutiert und überlegt, wie wir das Thema NS-Staat und Zweiter Weltkrieg darstellen“, erzählt sie. „Es gab viele Bedenken und Fragen: Wie würden ältere Zuschauer reagieren, wie die vielen Muslime und Angehörige anderer Nationen, denn die Schüler kommen aus 50 Nationen?“

Für die Zustimmung ist sie unendlich dankbar: Den Mitschülern und vor allem der Schulleiterin, Martina Schiller: „Sie hat die Verantwortung dafür übernommen, denn das Thema ist ihr wichtig.“

Emotionale Bindung zum Kostüm

Zum Kostüm gehörte nicht nur eine Sträflingsnummer, die einst den Auschwitz-Überlebenden Josef Gedak gebrandmarkt hatte, sondern auch das Grundgesetz der Bundesrepublik: „Ich wollte damit ausdrücken, dass dieses Deutschland heute ein ganz anderes ist als der NS-Staat“, erklärt die Designerin. Das antworte sie auch immer auf die vorwurfsvolle Frage in Israel, wie sie in Deutschland leben könne. Auch viele Mitglieder ihrer Familie, die im Gegensatz zu ihren Großeltern nicht rechtzeitig aus Polen und Rumänien emigriert waren, wurden Opfer des Holocaust. Mit deren Fotos ist die 48-Jährige in Haifa aufgewachsen. „Der Holocaust eint alle Israelis“, begründet sie die emotionale Bindung zu diesem Auftritt und diesem Kostüm, das mit dem Patchwork von Sträflingsgewand und Uniform ihre beiden Identitäten verkörpert. Denn sie hat in Israel den drei Jahre dauernden Militärdienst geleistet.

„Der Liebe wegen“ ist Hadassi Grobshtein vor 26 Jahren nach Deutschland gekommen, wo sie in Bielefeld Jura studierte und dann in die freie Wirtschaft ging. Ein Job in der Modebranche ließ den Entschluss reifen, das Metier von Grund auf zu lernen: „Ich wollte eine praktische Ausbildung mit Zeichnen, Schnittentwurf und Nähen.“ Obwohl sie mittlerweile in Bamberg lebt, fiel die Wahl auf das Berufskolleg für Mode und Design an der Kerschensteinerschule. Es war die richtige Entscheidung, wie ihr zweiter Auftritt bei der Modenschau in einem glamourösen Jeans-Ensemble mit gerafftem Rüschenrock, sexy Mieder und Hut bewies.

Nie Diffamierungen erlebt

Was fängt sie jetzt an mit so viel Talent und Können? „Eine eigene Modeschule eröffnen“, ist die eine Option. „Aber ich würde gern noch promovieren.“ Das Thema der Dissertation steht für sie fest: Ist das deutsche Strafrecht ein geeignetes Instrument gegen den Antisemitismus? „Ist es nicht, trotz entsprechender Paragraphen, zum Beispiel zum Vergehen Volksverhetzung“, weiß sie längst die Antwort: „Viel wichtiger ist die Erziehung zu Toleranz und Menschlichkeit.“ Sie selbst, versichert sie, habe in all den Jahren in Deutschland nie antisemitische Diffamierungen erleben müssen. Aber dieser Rassismus nehme offenbar erschreckend zu, auch in den Schulen, wie ihr die Kinder von Freunden berichteten.

Das Zeichen, das sie dagegen gesetzt hat, zog weite Kreise: „Wir haben sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einem Brief von diesem Auftritt unterrichtetet und sie hat auch geantwortet.“ Obendrein reiste das israelische Fernsehen an, um darüber zu berichten. „Das haben Millionen gesehen.“ Die Frage, wie sie in Deutschland leben könne, braucht Hadassi Grobshtein wohl künftig in Israel nicht mehr zu befürchten.