In der jüdischen Gemeinde Württembergs gibt es erneut Streit zwischen den religiösen Lagern. Ein Gruppe orthodox orientierter Mitglieder kritisiert den Vorstand massiv. Der Anlass: Das Schiedsgericht des Zentralsrats der Juden in Deutschland hat die Satzung der Gemeinde für nichtig erklärt.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Kommende Woche lädt die Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) zu einem symbolträchtigen Termin. Gemeinsam mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit soll die Sammelaktion für eine neue Thorarolle in der Stuttgarter Synagoge beginnen. Die handgeschriebene Pergamentrolle mit den fünf Büchern Mose der hebräischen Bibel ist das Zentrum des jüdischen Gottesdienstes. Die Anschaffung des heiligen Textes auch mit Mitteln aus der Bürgerschaft soll ein Zeichen des Miteinanders sein.

 

Ein Formfehler oder doch mehr?

Innerhalb der jüdischen Gemeinde stehen die Zeichen derzeit aber auf Gegeneinander. Eine vierköpfige Gruppe um den Unternehmer Martin Widerker, die alle schon der Gemeindeleitung angehört hatten, bei der Wahl vor drei Jahren aber abgewählt wurden, haben in einem Brief an die Gemeindemitglieder massive Kritik an der jetzigen Repräsentanz geübt. Anlass ist die Entscheidung des Schiedsgerichts des Zentralrats der Juden in Deutschland (ZdJ), das die Gemeindesatzung von 2015 für nichtig erklärt hat. Dagegen geklagt hatte eben diese Gruppe. Das Schiedsgericht moniert in seiner Entscheidung, dass die Mitgliederversammlung nicht beschlussfähig gewesen sei. Wie stets waren bei der Sitzung keine zehn Prozent der rund 2500 stimmberichtigten Gemeindemitglieder anwesend. In diesem Fall sieht die Satzung vor, dass die ordentliche Sitzung kurzfristig geschlossen und nach einer Wartezeit von einer halben Stunde einfach eine außerordentliche, dann beschlussfähige Versammlung einberufen wird. Doch die Gemeindeleitung saß einer Fehlinterpretation auf und berief einfach von Anfang an eine außerordentliche Sitzung ein. Zudem, so das Gericht, sei in der Einladung an die Mitglieder nicht deutlich genug auf die Beschlussfassung über die Vorschläge der Satzungsänderungskommission hingewiesen worden. „Inhaltlich ist die Satzung nicht kritisiert worden“, betont Barbara Traub, die Sprecherin des dreiköpfigen Vorstands innerhalb der Repräsentanz.

Der Angriff ist massiv

Das sehen ihre Kritiker ganz anders. Der Vorstand bagatellisiere das Urteil zu einem „Formfehler“, heißt es in dem Schreiben an die Mitglieder, tatsächlich gehe es um „eine eklatante Verletzung demokratischer Prinzipien“. Es ist die Rede von einer „kleinen Elite“, von der die Mitglieder sich „nicht entmündigen“ lassen sollten. Martin Widerker spricht von einer „Wende“ in der „immer jüdisch-orthodox geprägten Gemeinde“ durch die neue Leitung. Die Mitgliederversammlung sei nicht mehr oberstes Organ, der Landesrabbiner „völlig entmachtet“, der Vorstand wolle „absolut herrschen“. Im Fokus der Angriffe steht erneut das Vorstandsmitglied Susanne Jakubowski, der die Gruppe mit Landesrabbiner Netanel Wurmser vor Jahren das Jüdischsein absprechen wollten, allerdings vergeblich. Jakubowski wolle „Rache nehmen an den Orthodoxen“, ist Martin Widerker überzeugt.

Vorstandssprecherin Barbara Traub ist empört . „Das ist die Höhe“, sagt die Psychologin. Man habe zur neuen Satzung zwei Gemeindeversammlungen einberufen, die Anwesenden hätten dieser mehrheitlich zugestimmt, es gebe keinen Demokratiemangel. Traub sieht die Sache nicht als einen Konflikt zwischen orthodoxer und liberaler Richtung. Sie hält den Vorgang für den „Machtkampf“ einer kleinen Gruppe, die nicht mehr in den Gremien sei und nun „unsere Arbeit in den Schmutz ziehen will“. Diese Leute wollten „Unruhe in die Gemeinde bringen“ und benutzten „scheindemokratische“ Argumente. Traub betont, die neue Satzung biete „ein Dach“ für alle vom Zentralrat anerkannten jüdischen Strömungen.

Vorbereitung auf Neuwahl

Beim Vergleich der beiden Satzungen fällt auf, dass die neue deutlich differenzierter ist als die alte. Die Organe der Gemeinde stehen nebeneinander, die Mitgliederversammlung nicht mehr zuoberst, ihre Aufgaben sind klar voneinander abgegrenzt. Der Landesrabbiner hat „nur eine repräsentative Bedeutung. Im Innenverhältnis sind die Rabbiner gleichberechtigt“. Das begründet Barbara Traub damit, dass die IRGW heute anders als früher nicht nur einen, sondern drei Rabbiner habe. Es gelte deshalb das „Ortsrabbinerprinzip“, jeder Rabbiner entscheide für den Ort, an dem er zuständig ist. Alle drei Rabbiner gehörten im Übrigen der orthodoxen Richtung an. Die liberale Gruppe, die es in der Gemeinde gibt, die sich etwa für die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen am Gottesdienst einsetzt und von Susanne Jakubowski organisiert wird, ist sehr klein. Barbara Traub ist überzeugt, dass der Angriff bei der großen Mehrheit der Gemeinde keine Zustimmung findet. „Es gab keine Briefe, keinen Protest“, sagt sie.

Dennoch haben die Kritiker einiges erreicht. Zwar prüft der Vorstand, ob man Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Schiedsgerichts einlegt, zumal das Kultusministerium die neue Satzung abgesegnet hatte. Gleichzeitig stellt man sich „auf Wahlen im Herbst“ ein, so Barbara Traub. Nach der neuen Satzung würden die erst 2019 stattfinden, nach der alten aber dauert die Amtsperiode drei und nicht vier Jahre.