Der Torhüter Gianluigi Buffon hält die italienische Mannschaft zusammen und kann 2018 ältester Fußballweltmeister werden. Jetzt spielt der 38-Jährige aber erst einmal gegen Deutschland.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Mailand - Der italienische Fan hat kurz vor Spielende nur ein Ziel, als er auf das Spielfeld rennt: Gianluigi Buffon. Mit einer kleinen unaufgeregten Handbewegung gibt der italienische Fußball-Nationaltorwart wiederum zu verstehen, dass es gerade ungeschickt ist und beordert den mit einem Filzstift bewaffneten Kurzstreckenflitzer neben den Pfosten. Die Liechtensteiner Mannschaft startet nämlich gerade einen ihrer seltenen Angriffe. Als sich das Spiel schnell wieder in die andere Richtung verlagert, unterschreibt Buffon das Trikot des Anhängers – mitten im Spiel, mitten im Fünfmeterraum. Auch die Ordner verfolgen das Schauspiel gebannt, bis sie sich daran erinnern, dass es ja ihre Aufgabe ist, den glücklich winkenden Fan aus dem Innenraum zu führen.

 

Es ist besonders diese Szene, die vom italienischen 4:0-Siegin der WM-Qualifikatio am Samstag in Erinnerung bleibt. Weil sie zum einem die Zuneigung der Tifosi gegenüber ihrem „Portierone“ (dem großen Torwart) und zum anderen die charmante Souveränität Buffons perfekt illustriert.

Gianluigi Buffon, Gigi genannt und 38 Jahre alt, ist die größte Persönlichkeit, die es zurzeit im internationalen Fußball gibt. Das wird gerade auf einer kleinen Bühne wie dem nicht einmal 6000 Zuschauer fassenden Rheinpark-Stadion in Vaduz deutlich. Hier fiele es nicht besonders auf, wenn er sich einmal unnahbar zeigen würde. Doch auch in Liechtenstein gibt Buffon unermüdlich Autogramme, steht für Fotos bereit und beantwortet freundlich lächelnd Journalistenfragen. „Das alles hat für mich etwas mit Respekt zu tun“, sagt Gianluigi Buffon. Respekt, dieser Begriff scheint eine ganz zentrale Bedeutung für den charismatischen Torhüter zu haben. Der spricht nach dem Spiel nicht über die Ungefährlichkeit der Liechtensteiner, sondern hebt deren große Leidenschaft hervor. Und zum Testspiel gegen Deutschland an diesem Dienstag (20.45 Uhr/ARD) in Mailand meint er: „Es ist immer etwas ganz Besonderes, auf diese großartige Mannschaft zu treffen.“

Fairplay der Marke Buffon gab es auch Anfang September beim Freundschaftsspiel gegen Frankreich in Bari zu erleben. Als dort die italienischen Fans mit den ersten Tönen der Marseillaise zu pfeifen begannen, hob Buffon demonstrative die Arme und begann dann zu applaudieren: Erst taten es ihm die Mitspieler gleich – und dann auch die meisten Zuschauer. Die französische Hymne wurde dank Buffon gefeiert, von den Pfiffen war nichts mehr zu hören.

Neben den besonderen Reaktionen sind es natürlich auch die sportlichen Leistungen, die Gianluigi Buffon zu einem italienischen Fußball-Denkmal werden ließen. Weltmeister 2006 ist er, siebenmal mit Juventus Turin italienischer Meister, 166 Länderspiele und 600 Partien in der Serie A stehen auf seinem Konto. Es könnten noch mehr Erstligaspiele sein, wenn er wie viele andere seiner Mitspieler Juventus nach der Verwicklung in den Bestechungsskandal und dem Zwangsabstieg 2006 verlassen hätte. Buffon aber blieb.

Ein Mann mit Biografie, nicht nur mit Statistik

Es steckt aber noch mehr dahinter als besondere Gesten, sportliche Erfolge und herausragende Leistungen, weshalb die Fans Buffon verehren. „Dieser Mann hat eine Biografie, nicht nur eine Statistik“, so die Italien-Korrespondentin der „Zeit“ und Fußball-Expertin Birgit Schönau.

Brüche in seinem Leben, Probleme und Schwächen machen den Eigenwilligen aus der toskanischen Marmorstadt Carrara erst zur Identifikationsfigur. Das bewegte Leben ist ja geradezu an Buffons markanten Gesichtszügen abzulesen. An ihm ist so gar nichts Ronaldo-haft glatt oder Neymar-mäßig hochtoupiert. In seiner Biografie „Numero 1“ hat der Sohn sportlicher Eltern – die Mutter Diskuswerferin, der Vater Kugelstoßer – offen über seine Depression geschrieben, die fast zum Ende seiner Karriere geführt hätte und darüber, wie sehr ihn der Suizid seines deutschen Kollegen Robert Enke mitgenommen hat. „Es hat mich so getroffen, dass ich keinen Zeitungsartikel darüber lesen konnte.“ Hinzu kam Buffons ausgeprägte Leidenschaft für das Glücksspiel und die Trennung von seiner Frau, einem tschechischen Model, mit der er zwei Kinder hat. Mittlerweile ist er mit der TV-Sportreporterin Ilaria D’Amico zusammen. Im Januar wurde sein dritter Sohn geboren.

Ein bewegtes Leben voller eigenwilliger Ideen

Zu seinem aufregenden Leben gehört auch, dass Buffon 2014 für rund 20 Millionen Euro die Mehrheitsanteile am italienischen Textilunternehmen Zucchi erwarb, um die Firma vor der Insolvenz zu retten. Dieses Engagement wollte er als Weckruf an die italienische Wirtschaft verstanden wissen und ausländischen Investoren zuvorkommen. Diese Idee wurde zum großen Verlustgeschäft für ihn, am Unternehmen hält er aber immer noch 15 Prozent. Zuvor hatte er schon aus alter Verbundenheit seinen Heimatverein Carrarese Calcio im großen Stil finanziell unterstützt.

Gianluigi Buffon habe aber auch eine enge Beziehung zum Faschismus, wurde behauptet– auch in deutschen Medien. Immer wieder beteuerte er danach, dass dies kompletter Blödsinn sei. Anlass für die Berichte war sein Trikot mit der Nummer 88, dass er einst beim FC Parma trug. In der Nazi-Szene steht die doppelte Acht für „Heil Hitler“. Das habe er nicht gewusst, wiederholte Buffon oft, und erzählte wie es zu dieser Zahl kam. Als Jungprofi und Jungmacho wollte er die Trikotnummer 00, um damit Eier zu zeigen. Mit dem Toilettenverweis wurde ihm dies aber verwehrt. Dann sollte eben die 88 gleich vier Eier symbolisieren.

Dennoch hielt sich das Nazi-Gerücht recht hartnäckig, obwohl Buffon doch Kameruns Torhüterdenkmal Thomas N’Kono sein großes Vorbild nennt und dessen Vorname einem seiner Söhne gab. Außerdem unterstützte er vor vier Jahren den liberalen Regierungschef Mario Monti.

Manchmal vermisst Buffon den Respekt, den er anderen entgegenbringt. So auch als nach zwei Fehlern im Oktober gefragt wurde, ob die mit seinem Alter zu tun haben könnten. Erst antworte Buffon mit „nein“ und zeigte danach wieder Topleistungen. Schließlich hat er ein Ziel, 2018 mit 40 ältester Weltmeister zu werden. Er wäre dann in Russland einen Monat älter als die italienische Vorgängerlegende Dino Zoff beim Titelgewinn 1982 – nach dem Finale gegen Deutschland.