In der Coronakrise fallen Drückjagden auf Wildschweine überwiegend flach. Experten sehen einen weiteren Anstieg der Tierbestände voraus. Dabei sollen sie wegen der Afrikanischen Schweinepest deutlich reduziert werden.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Stuttgart - Im November hat der Deutsche Jagdverband erstmals Alarm geschlagen. Bis zum Jahresende, so der Wortlaut einer Pressemitteilung, würden „etwa 60 Prozent der Bewegungsjagden“ ausfallen. Das war Ergebnis einer Online-Umfrage des Verbands unter bundesweit rund 1000 Jägerinnen und Jägern. Grund: die Corona-Pandemie und die Angst der Schützen vor einer Infektion. Weil Gaststätten schließen mussten, stocke zudem der Absatz von Wildfleisch. Dabei, schreibt der Verband, sei „insbesondere für die Eindämmung der Afrikanischen Schweinepest eine weitere Reduktion der Wildschweinbestände notwendig“.

 

Im neuen Jahr hat sich an dieser Situation nichts geändert, auch nicht im Südwesten. „Gerade private Drückjagden wurden teilweise abgesagt“, bestätigt Erhard Jauch, Hauptgeschäftsführer des Landesjagdverbands Baden-Württemberg. Nun müssten „die Jäger versuchen, in der Einzeljagd einiges zu erreichen“. Allerdings ist das Anfüttern und nächtliche Ansitzen auf die schlauen Tiere mühsam. Nach einem weiteren Mastjahr in den Wäldern sei das Nahrungsangebot für die Schweine bestens. Sie ließen häufig „den guten Mais der Jäger liegen“. Bei den Gemeinschaftsjagden mit Treibern werden hingegen meist besonders viele Tiere innerhalb von Stunden erlegt.

Erlaubt, aber nur noch wenig genutzt

Zwar gestattet das Land bei Vorlage eines Hygienekonzepts auch in der Coronazeit Drückjagden auf Schwarzwild. Doch Teile der Jägerschaft, innerhalb derer es viele über 60-Jährige gibt, scheuen aktuell größere Zusammentreffen. Dazu kommt, dass wegen der Schließung der Gaststätten Abnehmer für Wildschweinfleisch fehlen und damit die Motivation für Jäger, sich nachts auf die Lauer zu legen. Verbandschef Jauch schränkt ein, das betreffe nur einzelne Regionen. Auch das Landwirtschaftsministerium betont, Projekte zur Wildbretvermarktung an Privatpersonen liefen gut, „Absatzprobleme in größerem Umfang“ seien nicht bekannt. Überhaupt geht das Ministerium „nach derzeitigem Stand nicht davon aus, dass sich im kommenden Frühjahr landesweit eine kritische Situation bei den Schwarzwildbeständen ergeben wird“.

Diesen Optimismus teilt der Landesbauernverband Baden-Württemberg, wo die gute Eichelmast dieser Monate ebenfalls beobachtet wurde, nicht. „Wir gehen davon aus, dass wir mit einem hohen Schwarzwildbestand ins Frühjahr starten“, sagt eine Stuttgarter Sprecherin. Immer wenn Frischlinge zur Welt kämen, wachse der Nahrungsbedarf nach tierischem Eiweiß, nach Würmern und Engerlingen. „Dann wird wieder das Grünland umgepflügt. Das ist die Befürchtung, die wir haben.“ Statistische Zahlen zu solchen Schäden gibt es nicht.

Nachtsichttechnik soll Jägern helfen

Landwirtschaftliche Schäden durch Wild müssen die örtlichen Jagdpächter begleichen. Das ist laut dem Landesjagdverband ein Grund, weshalb es trotz einer kontinuierlich steigenden Zahl von Jagdprüfungen teilweise schwer geworden ist, überhaupt Pächter zu finden. Eine Sorge, die darüber hinausgeht, hat mit der Afrikanischen Schweinepest zu tun. Bricht sie aus, kann jedes Wildschwein zum potenziellen Überträger werden. Seit 2018 forciert das Land eine „verstärkte Bejagung des Schwarzwildbestandes“, unter anderem durch Beratungen und Fortbildungen. Auf eine Bundesinitiative hin ist es Jägern seit November außerdem erlaubt, bei der Wildschweinjagd an den Zielfernrohren ihrer Gewehre Vorsatz-Nachtsichtgeräte anzubringen.

Gerade im südwestdeutschen „Schweinegürtel“, also den Landkreisen im Osten, wo überdurchschnittlich viele Schweinemastbetriebe angesiedelt sind, fürchten die Schweinezüchter die Eintragung der Seuche in die Ställe. Schon nach dem Auftauchen der Schweinepest in Brandenburg hätten sich chinesische und südkoreanische Abnehmer zurückgezogen, heißt es beim Landwirtschaftsverband. Komme es bei Tierhaltern erst zu Keulungen, so die Sprecherin, „weiß keiner, wie die Marktpartner dann reagieren.“ Aus Jägerkreisen ist zu hören, die Maismonokulturen von Landwirten seien Teil des Vermehrungsproblems unter Schwarzkitteln. „Die Wildschweine kriegen da richtige Biotope hingestellt“, kritisiert etwa ein passionierter Jäger aus Tübingen.

Die Populationen wachsen seit Jahrzehnten

Einen weiteren Anstieg der Wildschweinpopulation erwartet auch der Naturschutzbund Baden-Württemberg. Der Bestand sei aktuell „gefühlt sehr hoch“, sagt Rolf Müller, Nabu-Fachbeauftragter für Jagd und Wildtiere. Nach Erhebung der Wildforschungsstelle des Landes sind landesweit zwar im Jahr 2019/2020 fast 75 000 Wildschweine erlegt worden – das ist die zweithöchste jemals registrierte Zahl. Doch Müller vermutet schon länger, dass „die steigenden Streckenzahlen vor allem mit der steigenden Zahl der Tiere zusammenhängen“. Darauf weise hin, dass auch die Zahl der Verkehrsunfälle mit Wildschweinen kontinuierlich steige.

Der Klimawandel, die immer häufigeren milden Winter begünstigten die Vermehrung der Tiere, und das seit den letzten Jahrzehnten. „Das einzige Regulativ für die Wildschweinpopulationen sind kalte, harte Winter.“ Längst laufe man „dem Problem hinterher“. Ein Bewusstseinswandel müsse kommen. Der Wille müsse sich durchsetzen, „die Bestände auch wirklich in der Fläche zu reduzieren“. Das gelte genauso für den immer größeren Bestand an Rehen. Laut dem Bundeslandwirtschaftsministerium sind rund 33 Prozent aller jungen Bäume verbissen.

Die Jägerschaft sieht den Druck wachsen

„Wir appellieren an die Jäger, verstärkt zu bejagen“, sagt auch die Sprecherin des Landesbauernverbandes. Jägerverbandschef Jauch sieht den Druck auf die gut 45 000 Jäger im Südwesten zum Frühjahr hin steigen. „Das wird kommen“, sagt er voraus. Die vorläufige Hoffnung: Ein frostiger Februar.