Der Landwirt, der bei der Maisernte von einem Jäger angeschossen wurde, liegt noch im Krankenhaus. Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art.

Politik: Lisa Kutteruf (lis)

Gündelbach - Maisernte in Gündelbach bei Vaihingen/Enz: Ein 25-Jähriger sitzt in seinem Traktor auf einem Feldweg, zusammen mit einer 18-jährigen Erntehelferin. Das Feld neben ihnen ist fast abgeerntet. Plötzlich rennt ein Wildschwein vom Feld auf den Weg, mehrere Schüsse fallen. Ein Geschoss durchdringt die Scheibe des Traktors – und dann den Unterschenkel des jungen Landwirts. Scherben fliegen durch die Luft, die Wunde beginnt sofort heftig zu bluten. Die Beifahrerin wird von den herumwirbelnden Glassplittern getroffen, wie später im Polizeibericht festgehalten wird. Sie schreit hysterisch.

 

Herbeieilende Erntehelfer legen dem Landwirt einen Druckverband an. Ein Rettungshubschrauber bringt ihn schließlich in eine Klinik, die 18-Jährige kommt mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus. Der Schütze: einer von mehreren Jägern, die gemeinsam Schwarzwild auf dem Feld gejagt haben. Ein 59- und ein 71-jähriger Jäger schossen dabei mehrfach auf ein flüchtendes Wildschwein.

Landwirte bestellten Jäger auf das Feld

Wegen des Jagdunfalls, bei dem der 25-jährige Landwirt schwer verletzt wurde, ermitteln Landeskriminalamt und Staatsanwaltschaft. Ob die Sicht der Jäger durch noch nicht abgeerntete Maispflanzen behindert war, ist unklar. Dass sich die Schützen auf dem Feld positionierten, sei durchaus so gewollt gewesen, erzählt der angeschossene Landwirt auf Nachfrage. Teile des Maisfeldes in Gündelbach seien durch Wild beschädigt worden, die Tiere hätten Pflanzen niedergetrampelt und Kolben angefressen. Deshalb habe man die Jäger für die Erntezeit bestellt.

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Nach Angaben des Deutschen Jagdverbands (DJV) leben Wildschweine inzwischen für bis zu fünf Monate im Jahr ausschließlich in Feldern, da sie dort ausreichend Nahrung fänden und gut geschützt seien. Die Jagd auf die Paarhufer ist nach Angaben des Verbands angesichts der drohenden Afrikanischen Schweinepest notwendig. 78 000 Wildschweine erlegten Jäger im Zeitraum vom 1. April 2017 bis zum 31. März 2018 allein in Baden-Württemberg, wie aus einer Meldung des Landesjagdverbands (LJV) hervorgeht. Das entspreche einer Steigerung um 71 Prozent.

Erntejagd: Risiko für fehlgeleitete Schüsse ist hoch

Die Jäger müssen sich an das Bundesjagdgesetz und an das in Baden-Württemberg gültige Jagd- und Wildtiermanagementgesetz halten, das 2015 mit neuen Regelungen in Kraft getreten ist. „An Orten, an denen die Jagd nach den Umständen des einzelnen Falles die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit stören oder das Leben von Menschen gefährden würde, darf nicht gejagt werden“, heißt es im Bundesjagdgesetz. Die Entscheidung, auf welche Orte das zutrifft, müssen die Jäger jedoch selbst treffen.

„Jeder Schütze ist für seinen Schuss verantwortlich“, sagt der Kreisjägermeister der Jägervereinigung Ludwigsburg, Peter Ulmer. Bei der sogenannten Erntejagd ist das Risiko für fehlgeleitete Schüsse offensichtlich hoch, denn „das ist eine ganz spontane und gefährliche Sache“, betont Ulmer. „Das Schießen auf dem Boden, wie es auf dem Maisfeld praktiziert wird, bringt ein hohes Risiko mit sich; das ist allgemein bekannt.“

Deutscher Jagdverband empfiehlt Hochsitze

Der DJV empfiehlt deshalb, von erhöhten Einrichtungen wie Hochsitzen aus zu schießen, so dass der Schuss in Richtung des Bodens geht, der die Kugel dann aufhalten kann. Jäger bezeichnen dies als Kugelfang. Nach DJV-Empfehlung sollen die Schützen überdies Signalfarben tragen und Mindestabstände zu Erntefahrzeugen und anderen Schützen einhalten. Ulmer zufolge ist die Hochsitzempfehlung während der Erntejagd jedoch nicht besonders praktikabel, da sich die Schützen im Verlauf solcher Aktionen viel bewegen müssten.

Unfälle während der Wildschweinjagd gibt es immer wieder. Im August des vergangenen Jahres kam es zu einem tödlichen Vorfall im oberpfälzischen Nittenau, der sich ebenfalls während einer Erntejagd zutrug. Auch damals trieben Jäger Wildschweine aus einem Maisfeld. Ein fehlgeleiteter Schuss traf den Beifahrer eines Autos auf einer nahen Bundesstraße. Er starb sofort. Bei der Urteilsverkündung in Amberg ein Jahr später warf die Staatsanwaltschaft dem Jäger vor, für keinen ausreichenden Kugelfang entlang der Straße gesorgt zu haben.

Landwirt hat Intensivstation verlassen

Im rheinland-pfälzischen Dalberg wurde im vergangenen November eine 86-jährige Frau von einer Kugel tödlich getroffen – offenbar, als ein Mann ein Wildschwein und einen Frischling jagte. Und im Juli desselben Jahres schossen Jäger während einer Erntejagd ein sechsjähriges Mädchen in einer Kleingartenanlage in Großsaara, Thüringen, an, und verletzten es schwer.

Dem 25-jährigen Landwirt, der auf dem Gündelbacher Maisfeld angeschossen wurde, geht es wieder besser. Sein Bein wurde operiert, die Intensivstation hat er inzwischen verlassen. Auf den Einsatz von Jägern wollen der Landwirt und seine Kollegen künftig verzichten.