Betrug bei den Soforthilfen, Corona-Meldungen per Fax, Verspätung beim Onlinezugang für die Bürger oder der fehlende Gesetzes-Tüv – der Normenkontrollrat fällt ein wenig schmeichelhaftes Urteil über die digitalen Bemühungen der Bundesregierung, aber auch der Länder.

Berlin - Johannes Ludewig vergibt „eine 3-“, als er die Digitalisierung von Staat und Verwaltung benoten soll. Wer den Vorsitzenden des nationalen Normenkontrollrats über den neuen Jahresbericht des Beratergremiums der Bundesregierung zum Bürokratieabbau reden hört und das 108-seitige Werk studiert, muss aber zum Schluss kommen, dass die Bewertung eigentlich schlechter ausfällt. „Die strategische Bedeutung des Digitalen ist lange Jahre unterschätzt worden“, urteilt der frühere Bahnchef, der die Runde seit der Gründung 2006 leitet, „inzwischen haben das alle verstanden, aber ein Aufholprozess dauert seine Zeit.“ Leider gebe es auch noch „kein Gesamtkonzept“ dafür.

 

Die Corona-Krise hat aus Sicht des Rates schonungslos offengelegt, dass viele Ratschläge früherer Jahre ignoriert wurden – auch jenseits des Schulsystems. „Die Covid-19-Pandemie zeigt den dramatischen Rückstand an Verwaltungsmodernisierung auf allen staatlichen Ebenen“, heißt es im Bericht, der am Mittwoch traditionell Kanzlerin Angela Merkel (CDU) übergeben wurde: „Von faxbasierten Meldeverfahren zwischen Gesundheitsbehörden über fehlende Unternehmenskonten bis hin zu der Unmöglichkeit von Registerabgleichen – all das wäre vermeidbar gewesen.“ Umso dringender sei es nun, als Lehre aus der Krise die Behörden zu modernisieren, da sonst die Akzeptanz des politischen Systems insgesamt leide: „Erst war es die Flüchtlingskrise, jetzt unterzieht Corona die Verwaltung einem erneuten Stresstest – anstatt sich wiederholt von Krisen überraschen zu lassen, muss die Leistungsfähigkeit von Behörden systematisch überprüft werden.“

Lange in Arbeit, dann noch Verspätung

Einzelne Beispiele lesen sich wie die Geschichte eines Versagens. Viele Schritte hin zum digitaleren Staat wurden demnach „schon vor Jahren angestoßen, haben sich aber – nicht zuletzt durch föderale Abstimmungsschwierigkeiten – immer wieder verzögert“. Typisch dafür ist, dass das Meldesystem für den Infektionsschutz, kurz: Demis, eigentlich Ende diesen Jahres flächendeckend einsatzfähig sein sollte, damit aber nun erst 2022 zu rechnen ist. Im selben Jahr, so das Regierungsversprechen beim Online-Zugangsgesetz, sollen die rund 600 öffentlichen Dienstleistungen alle vom heimischen Rechner oder mobilen Geräten aus erledigt werden können – auch hier kommen die Wächter der staatlichen Bürokratie zum Schluss, dass der Termin „nicht mehr realistisch“ ist.

Wir reden seit Jahren über digitale Verwaltungsdienstleistungen, intelligent vernetzte Behörden-Register und digitaltaugliche Gesetze“, kritisiert Ludewig: „Dass Bund und Länder diese Hausaufgaben nicht gemacht haben, zeigt sich bei der wirtschaftlichen Krisenbewältigung.“ So hätten etwa die Corona-Soforthilfen schneller und mit viel geringeren Verlusten durch betrügerische Anträge ausbezahlt werden können, wenn sich die Empfänger bereits über ein verifiziertes digitales Unternehmenskonto ausgewiesen hätten: „Dadurch stand die Verwaltung jetzt vor dem Dilemma, entweder langsame Verfahren mit erheblicher Prüftiefe oder schnellere Verfahren anzubieten und dafür Fehler und Missbrauch in Kauf zu nehmen.“

Spareffekte und weniger Verwaltungsaufwand hatte sich der Rat auch vom sogenannten „Digital-Tüv“ versprochen, den der Digital-Rat der Bundesregierung vergangenes Jahr vorgeschlagen hatte. Schon vor der Verabschiedung von Gesetzen im Kabinett sollten diese nicht nur mit IT-Experten auf ihre Digitaltauglichkeit, sondern auch mit Landes- und Kommunalbeamten auf ihre spätere Praxistauglichkeit hin untersucht werden. „Die Ankündigung eines Digital-Tüvs für neue Gesetze durch die Bundesregierung blieb bisher folgenlos“, heißt es im Jahresbericht. Im Gespräch mit Mitgliedern des Rates ist zu erfahren, dass das Kanzleramt zwar versucht habe, einzelne Ministerien dafür zu gewinnen, damit aber nicht habe durchdringen können – der Ausbruch des Corona-Virus habe das Vorhaben in den Ressorts dann vollends zum Erliegen gebracht.

Weder digital noch ausreichend geprüft – die Grundrente

Als Entschuldigung lässt Ludewig das nicht gelten: „Schon vor der Corona-Krise hat die Bundesregierung ihre eigenen Verfahrensregeln zu oft missachtet.“ Er macht das an häufig zu kurzen Beteiligungsfristen für die Bundesländer oder andere Betroffene fest, die die Gesetze des Bundes später umsetzen müssen. So sei bei der Grundrente „unter Missachtung nahezu aller Grundsätze besserer Rechtsetzung“ schlussendlich „ein außerordentlich bürokratisches Verfahren mit hohen Folgekosten geschaffen“ worden, ohne dass Alternativen ausreichend geprüft worden wären.

Dass keine 5 oder gar eine glatte 6 unter dem Zeugnis steht, liegt dem Gremium zufolge am spürbaren Bemühen und an einigen Positivbeispielen für unbürokratische Initiativen wie die Corona-Warn-App, den Online-Antrag auf Kurzarbeitergeld, die Überbrückungshilfen oder die Gesetze, die Hauptversammlungen, Betriebsratssitzungen oder Gerichtsverhandlungen trotz Pandemie auf die Schnelle auch per Videozuschaltung möglich machten.

Für den traditionellen Untersuchungsgegenstand des Rates, die bürokratischen Kosten für Bürger und Unternehmen, vergibt Ludewig gar „eine 2+“. Die laufenden Kosten, die sich aus neuen Gesetzen ergeben, fallen 13 Prozent geringer aus als im Vorjahr – hier hat sich das dritte Bürokratieentlastungsgesetz bemerkbar gemacht, das etwa digitale Krankmeldungen beim Arbeitgeber ermöglichte. Allerdings waren die einmaligen Umstellungskosten dieses Jahr mit 4,2 Milliarden Euro besonders hoch – 1,1 Milliarden Euro entfallen darauf, dass Bauern für mehr Tierwohl die Kastenstände ihrer Schweine umbauen müssen. Die Umstellung auf den vorübergehend reduzierten Mehrwertsteuersatz hat die Unternehmen 247 Millionen Euro gekostet.