Annegret Kramp-Karrenbauer, Mesale Tolu oder Matteo Salvini – all diese Personen haben das Jahr 2018 geprägt, ob zum Guten oder zum Schlechten. Wir blicken zurück auf die Menschen des Jahres.

Stuttgart - Auch in diesem Jahr sorgten unterschiedliche Menschen für Aufsehen, im positiven, wie auch im negativen Sinne. In unserem Jahresrückblick 2018 stellen wir sie vor.

 

Der Spider-Man von Paris

Mamoudou Gassama wurde durch sein selbstloses Handeln zum Helden. Der aus Mali stammende Mann kletterte an der Fassade eines Pariser Wohnhauses vier Stockwerke in die Höhe, um ein Kind zu retten. Ein vierjähriger Junge befand sich allein auf einem Balkon, überwand das Geländer und drohte in die Tiefe zu stürzen. Nachdem Gassama den Jungen erreichte, zog er ihn über das Geländer in Sicherheit.

Die Rettung brachte dem Malier den Spitznamen „Spider-Man von Paris“ ein. Das Video seiner ungesicherten Kletteraktion, bei der er sich selbst in Gefahr brachte, verbreitete sich rasch im Internet. Der französische Präsident Emmanuel Macron empfing den illegalen Zuwanderer im Élysée-Palast, dankte ihm für seine Heldentat und versprach Gassama, er würde französischer Staatsbürger werden. Heute ist der Franzose Gassama Teil der Pariser Feuerwehr.

Der Angstgegner der Autoindustrie

Mit 15 hat er bereits für die Abdichtung einer Mülldeponie am Bodensee gekämpft, heute, mit 58, ist er der Angstgegner der deutschen Autoindustrie: Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe (DUH), hat schon in etlichen Städten Fahrverbote erkämpft. Er setze das Recht dort durch, wo der Staat versagt, erklärt Resch.

Doch es gibt auch Zweifel, ob er wirklich uneigennützig handelt oder ob der Großspender Toyota ihn benutzt, um der deutschen Industrie eins auszuwischen. Nun, nach über 20 Jahren, hat Toyota die Unterstützung eingestellt. Die Fahrverbote kommen trotzdem.

Der Klangmagier aus Perm

Im sibirischen Perm residiert der 46-jährige Grieche als Opernchef, dort hat er ein eigenes Ensemble. Seit Beginn dieser Saison leitet Teodor Currentzis das SWR-Symphonieorchester. Dass dieses aus zwei Orchestern zusammengesetzt ist, nimmt man, wenn er mit seinen langen Armen am Pult steht, kaum mehr wahr, denn dann ist Magie im Saal und packende Energie.

Currentzis krempelt vieles um: die Musikvermittlung, auch sich selbst. Neulich hat er nachts im Club eine Radiosendung mit abgefahrener Musik moderiert. In Konzerten lauschen ihm 2000 Menschen selbst dann mit angehaltenem Atem, wenn er Extreme riskiert. Man muss Currentzis nicht immer schätzen. Aber man muss ihn lieben.

Der Capitano von Italien

Ballast abwerfen wirkt oft Wunder. 2018 streicht Matteo Salvini das „Nord“ aus dem Parteinamen und regiert als Chef der „Lega“ nun de facto ganz Italien. Und das, obwohl seine stramm rechte Partei bei den Wahlen am 4. März nur 17,4 Prozent erringen konnte. Als eigentlicher Juniorpartner trat Salvini nach wochenlangem Hin und Her in eine Regierungskoalition mit der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung ein – und spielt seinen Konterpart, Jungstar Luigi Di Maio, seitdem locker an die Wand.

Salvini, Innenminister und Vizepremier, setzt bei seiner Arbeit ganz auf seine beiden Steckenpferde: eine harte Migrationspolitik und die Macht der sozialen Medien. Der 45-Jährige, der mehr als drei Millionen Facebook-Fans hinter sich schart, wird bereits als der Donald Trump Europas bezeichnet. Bei seinen Anhängern heißt Salvini schlicht „Capitano“ – Kapitän. Kurzfristiges Ziel: die Europawahlen im Mai. Wohin Salvini Italien langfristig navigieren will, weiß wohl – wenn überhaupt – nur er selbst.

Der Kicker mit dem Foto-Finish

Mesut Özil will eigentlich nur kicken. Also das tun, was er schon als kleiner Junge im Gelsenkirchener Stadtteil Bismarck im Affenkäfig tat. Kicken, einfach nur Kicken – das Leichte zeichnete Özil auch später als Fußballprofi aus. Bis ihn das harte Leben einholte. Die Fotos an der Seite des hochumstrittenen türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan nahmen der Spielmacher und die Nationalelf als Ballast mit in den völlig verkorksten WM-Sommer in Russland.

Das Ende ist bekannt. Vorrunden-Aus – mehrere Wochen später der Rücktritt Özils aus dem DFB-Team. Er kritisierte angeblichen „Rassismus und fehlenden Respekt“. Ein unrühmliches Ende einer großen Nationalmannschaftskarriere.

Die neue Chefin

„Ein Mann stünde uns gut zu Gesicht“ – diesen Satz hat Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer politischen Laufbahn nie gehört. Die auf Frauen gemünzte Variante dagegen oft. Ihr Leben lang hat die Saarländerin mit Männern zu tun, die ihr mit gönnerhaftem Gestus bedeuten, dass Politik eigentlich nichts für Frauen sei, aber um des Zierrats willen müsse man sie wohl doch zum Zuge kommen lassen. AKK – wie sie sich selbst abkürzt – hat sich davon nicht abschrecken lassen.

Mit Ende dreißig war sie die erste Innenministerin Deutschlands, damals übernahm sie das Ressort im Saarland. Vielleicht hätte dies eine Warnung sein sollen für Friedrich Merz, einen der alten weißen Männer der CDU. Er hatte wohl auch gedacht, gegen einen wie ihn habe die Frau aus Püttlingen beim Kampf um den CDU-Vorsitz keine Chance.

Ein Oberbürgermeister stellt sich in den Weg

Im Schlachten-Schlagen kennt der gebürtige Riedlinger Daniel Rapp sich aus. Mit 34 wurde er Bürgermeister in Sigmaringen, 2010 konnte er bei der OB-Wahl in Ravensburg Oswald Metzger auf Distanz halten. 2017 haben die Ravensburger ihren jetzt 46 Jahre alten OB mit großer Mehrheit wiedergewählt. Aber Heldenstatus bekam er erst am 28. September.

Rapp war zu Fuß unterwegs, als ein 21-jähriger, psychisch gestörter Mann mit dem Messer auf andere Passanten einstach. Der OB rannte los, stellte sich vor den Messerstecher. „Instinktiv sagte ich: Du legst jetzt das Messer weg. Und dann lag das Messer zwischen uns.“ So seine Erinnerung. Auf Talkshows hat Rapp dann gepfiffen. Und damit seinen guten Ruf noch stärker gefestigt.

Im Gefängnis des türkischen Despoten

Die Verhaftung von Mesale Tolu in der Türkei war ein Politikum. Die Journalistin aus Ulm war Ende April 2017 festgenommen worden. Ihr wurde die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen – gemeint ist die linksextreme MLKP. Nach einem langen diplomatischen Tauziehen kam die 35-Jährige frei und konnte Ende August 2018 die Türkei verlassen. Sie müsse das neue Gefühl erst einmal verarbeiten, sagt Mesale Tolu kurz nach ihrer Ankunft auf dem Stuttgarter Flughafen. Trotzdem gab sie sich kämpferisch. Sie wolle weiter für ihr Recht kämpfen. Aus diesem Grund schlug sie alle Warnungen in den Wind und reiste im Oktober zu ihrem Prozess nach Istanbul – im gleichen Verfahren ist auch ihr Mann Suat Corlu angeklagt.

„Ich bin der Meinung, dass ich im Recht bin“, erklärt die Journalistin. Sie ist überzeugt, dass sie die Vorwürfe gegen sich entkräften kann. Vorerst wird Tolu mit ihrem Mann und dem kleinen Sohn in Deutschland bleiben und hier arbeiten. Das sei für die Familie das Beste. Ganz abgeschlossen ist für sie das Kapitel Türkei allerdings nicht. Die Wohnung in Istanbul werde aufgelöst, aber sie schließe nicht aus, wieder in die Türkei zu fahren. Der nächste Verhandlungstermin gegen die Journalistin ist am 10. Januar 2019.

Das Jahr ohne Literaturnobelpreis

Einen Literaturnobelpreisträger gab es 2018 keinen. Stattdessen drängen sich Gestalten in den Vordergrund, die man für Ausgeburten einer beißenden Satire auf den Literaturbetrieb halten würde: ein schmieriger Vergewaltiger, seine Frau, Lyrikerin und Mitglied auf Lebenszeit in dem noblen Club, der über die wichtigste Literaturauszeichnung der Welt entscheidet, die die Namen der Preisträger vorab vertickt und Gelder für ein gemeinsames Kulturunternehmen ergaunert. Die besten Stoffe liefert das Nobelpreis-Komitee.

Vermutlich wird es eine Weile dauern, bis sich die ehrenwerte Gesellschaft neu sortiert hat. Ob es im Jahr 2019 einen Nobelpreis für Literatur geben wird? Wer weiß. Wir warten so lange auf den Roman über das Jahr ohne Literaturnobelpreis.