Die Ärzteversorgung auf dem Land wird immer schwieriger. Der östliche Enzkreis erweist sich 2021 als erfreuliche Ausnahme mit gleich drei neuen Praxen.

Altkreis - Wie gravierend der Ärztemangel ist, das haben nicht zuletzt die Boosterimpfungen gegen Corona offenbart: Immer länger werdende Wartelisten für Impfwillige, Mitarbeiter in Arztpraxen sehen kein Land mehr, arbeiten vielfach sogar am Wochenende – und kommen mit dem Boostern trotzdem kaum hinterher. Das Nachsehen haben die Patienten mit anderen Anliegen, die wegen der vielen Impfanfragen telefonisch kaum noch durchkommen. Die Hausärzte haben schlicht keine Kapazitäten mehr.

 

„Der Personalstand war vor der Pandemie schon eng“, sagt zum Beispiel Friedbert Maier. Damit meint der Allgemeinmediziner aus Gerlingen nicht nur „massiv“ fehlende medizinische Fachangestellte. Fachärzte gebe es „wie Sand am Meer“, doch an Hausärzten mangele es. Als Gründe nennt der 66-Jährige eine sehr große Belastung, eine Bezahlung mit an der untersten Grenze sowie die Präsenzpflicht. Mit Blick auf Gerlingen sagt Friedbert Maier: „Die Situation ist eng“ – und werde noch enger, „wenn nichts Gravierendes passiert“. Das gelte vielerorts. Der Beruf des Hausarztes muss aus seiner Sicht attraktiver gemacht werden.

Die schwierige Suche nach einem Nachfolger

Wie schwierig es ist, einen Hausarzt zu finden, erlebte Friedbert Maier am eigenen Leib: Am 23. Dezember hatte der Mediziner nach fast 36 Jahren seine letzte Sprechstunde, nun ist er im Ruhestand. Ein Nachfolger? Fehlanzeige! „Das vergällt mir die Freude“, sagt Friedbert Maier, der seit Ende 2016 einen Nachfolger suchte. Jetzt muss er nicht nur bei sich daheim für Patientenakten der vergangenen zehn Jahre Platz schaffen, weil er sie aufbewahren muss – was älter ist, kann er vernichten –, sondern die meisten seiner knapp unter 1000 Patienten stehen auch erst mal ohne Hausarzt da.

Im November habe er sich mit den Kolleginnen und Kollegen zusammengesetzt, um eine Lösung wenigstens für schwer kranke Patienten zu finden, berichtet Friedbert Maier. Er habe volles Verständnis für alle Ärzte, die weder fähig noch bereit seien, neue Patienten zu nehmen. Nachdem bereits im Sommer ein Hausarzt aus persönlichen Gründen seine Praxis schloss, gibt es laut Maier in Gerlingen aktuell noch sechs Praxen mit hausärztlich tätigen Kolleginnen und Kollegen.

Auch die Renninger erreicht 2021 eine Hiobsbotschaft: Der Kinderarzt der Stadt wird im April 2022 seine Praxis schließen, noch hat sich kein Nachfolger gefunden. Denn die Anreize für junge Mediziner, eine eigene Praxis zu eröffnen, sind rar, der Verwaltungsaufwand dafür enorm. Viele bleiben lieber in einem Angestelltenverhältnis in einer großen gemeinschaftlichen Praxis, statt die Verantwortung für eine eigene Praxis auf dem Land zu übernehmen.

Den Anfang macht im Frühjahr der Kinderarzt Andreas Griesinger

Als kleine „Insel der Glückseligen“ erweist sich der östliche Enzkreis in diesem Jahr. Gleich drei Fachärzte eröffnen hier ihre Praxis und schließen damit jeweils eine große Lücke in der Versorgung: Im Frühjahr siedelt sich ein Kinderarzt in Wimsheim an, Anfang Oktober eröffnet ein Zahnarzt in Friolzheim seine Praxis, Ende Oktober nimmt die neue Augenärztin von Heimsheim ihre Arbeit auf. Die große Nachfrage und vor allem das große Einzugsgebiet der Kinder- und Augenarztpraxis zeigen, wie groß der Bedarf ist.

Die meiste Erfahrung konnte inzwischen der Kinder- und Jugendarzt Andreas Griesinger sammeln. Er hat bereits Anfang April seine Praxis in einer der beiden leer stehenden Gewerbeeinheiten in der neuen Ortsmitte direkt am Dorfplatz eröffnet – sehr zur Freude des Wimsheimer Bürgermeisters Mario Weisbrich. Er bezeichnet die Niederlassung des Arztes als „regelrechten Glücksgriff“. Auch Andreas Griesinger erkennt viele Vorteile am neuen Standort, vor allem die Barrierefreiheit der Praxisräume sind ein ausschlaggebendes Kriterium für ihn.

Im Oktober eröffnet Augenärztin Georgia Avgitidou ihre Praxis

„Mit der Praxis bin ich sehr gut angekommen“, erzählt er auf Anfrage unserer Zeitung. „Wir haben bereits Aufnahmestopp und konzentrieren uns für die Neuaufnahmen aktuell auf Neugeborene und Patienten aus dem Umkreis von Wimsheim.“ Zudem möchte Andreas Griesinger seinen Schwerpunkt im Bereich Autoinflammation ausbauen und dementsprechend Patienten aufnehmen. Bei der Autoinflammation handelt es sich um eine Entzündungsreaktion durch das eigene Immunsystem.

„Ansonsten bieten wir zusätzliche Events wie Covid-Impftage an, die auch von der Süßstoff-Patisserie Wimsheim unterstützt werden.“ Die Zusammenarbeit mit den regionalen Anbietern laufe also sehr gut. „Aktuell führen wir einen Kalender als Warteliste für Neuanfragen.“

Das Einzugsgebiet der Wimsheimer Praxis ist sehr groß und reicht weit über den Enzkreis hinaus bis nach Renningen, Pforzheim und Calw. Auch die neue Heimsheimer Augenärztin, Georgia Avgitidou, hat Patienten von überall aus der Region. Viele kommen aus Weissach, Rutesheim oder Renningen, aus Friolzheim oder Tiefenbronn. Bei ihrer Suche nach einem geeigneten Standort für eine Praxis stellte sie fest, dass der Bereich zwischen Pforzheim und Leonberg beziehungsweise Weil der Stadt komplett unterversorgt ist.

Mit Heimsheim wählte sie dann quasi die goldene Mitte – und lag dabei offenbar goldrichtig. Erst Ende Oktober hat sie ihre Praxis in der Mönsheimer Straße 50 direkt neben der Apotheke eröffnet und bereits sehr gute Erfahrungen gemacht. „Ich bin sehr positiv überrascht, wie gut es die Menschen annehmen und wie froh sie sind. Das hätte ich so gar nicht erwartet.“

Der Zahnarzt Carlos Sommerfeld ist seit Oktober in Friolzheim ansässig

Die Patienten des Friolzheimer Zahnarztes Carlos Sommerfeld kommen dafür vor allem aus Friolzheim direkt. Im Gegensatz zu anderen Fachärzten ist das Netz der Zahnärzte doch etwas engmaschiger gespannt. In benachbarten Orten gibt es einige Praxen. Nur Friolzheim selbst bildete seit einigen Jahren einen weißen Fleck auf der Karte, nachdem der ansässige Zahnarzt unerwartet von heute auf morgen seine Praxis in der Pforzheimer Straße 18 geschlossen hatte. Diese Lücke hat Carlos Sommerfeld im Oktober am selben Standort ausgefüllt.

„Man kann sagen, dass 95 Prozent meiner Patienten aus Friolzheim kommen. Ich hoffe aber, dass der Anteil externer Patienten sich im nächstem Jahr erhöht.“ Kapazitäten sind durchaus noch da, aufgrund von Corona und fehlender Bekanntheit sei man noch nicht voll ausgelastet. „Aber ich bin sehr gut in Friolzheim angekommen, und ich denke, ein Großteil der hier ansässigen Bevölkerung nimmt das Angebot der nahen zahnärztlichen Versorgung und Beratung gerne wahr“, sagt der Zahnarzt.