Ein Baudenkmal diktiert Bewohnern gelegentlich die Lebensart. Die Malerin Christa Munkert lebte sechs Jahre lang im Haus von Le Corbusier. Bei einem Rundgang erzählt sie davon und eröffnet, welche Inspiration sie aus dem heutigen Weltkulturerbe gezogen hat.

Stuttgart - Corbusier ist nichts für Pianisten. Ein Flügel fände im Doppelhaus auf dem Weissenhof keinen Platz. Alle Flure, alle Treppenaufgänge sind magere 63 Zentimeter breit. Selbst ein Tablett lässt sich nicht quer tragen.

 

Also suchte der Hausbesitzer, damals der Bund, unter den Professoren der Kunstakademie nach Mietern für das Baudenkmal der Bauhaus-Ära, als es 1984 weitgehend in den Originalzustand von 1927 zurückversetzt worden war. „Genommen wurden wir, die kleinsten und dünnsten unter den Bewerbern“, sagt Christa Munkert, eine zierliche Frau, knapp 1,60 Meter groß. Für die Malerin, ihren Lebensgefährten K. R. H. Sonderborg und ihre gemeinsame Tochter Maria fing damit ein Leben auf offener Bühne an.

„Den Großteil unserer Möbel mussten wir beim Einzug einlagern.“ Für Kisten und Kästchen war kein Platz. „Corbusiers Prämisse war, dass man vieles wegwirft“, erzählt Christa Munkert. Der Architekt hatte sich auf zahlreichen Zugfahrten im Schlafwagen zwischen Paris und Genf inspirieren lassen: Von wegklappbaren Betten, ausziehbaren Tischen, Einbauschränken, Schiebetüren. Das traf sich mit dem ästhetischen Interesse der neuen Mieter: „Wir waren einfach scharf auf eine neue, interessante Raumaufteilung.“

Offene Türen für interessierte Besucher

Im Dritten Reich war die Weissenhofsiedlung wegen der Flachdächer als Arabersiedlung verfemt, nach dem Krieg erkannte man sie glücklicherweise als erhaltenswert und das Corbusierhaus als Nachlass eines der bedeutendsten Meister der modernen Architektur. Nach der Restauration von 1984 war die Schar der neugierigen Architekten, Fachautoren, Studenten verständlicherweise umso größer, alle wollten den Prototyp für modernes Großstadtwohnen begehen, und die Mieter mussten interessierte Besucher einlassen. „Manche räumten unsere Sachen weg, weil sie sie auf den Fotos gestört hätten, ganz Dreiste kamen mit großen Schritten herein und schoben mich einfach zur Seite.“

Le Corbusier hatte klare Vorstellungen, wie das Haus zu bewohnen sei: Im ersten Stock Küche, Bad, Wohn- und Kinderzimmer, durchgehend passierbar, trennbar durch Schiebetüren. „Bei uns wurde viel für Gäste gekocht und gefeiert“, sagt Christa Munkert, „das ging so natürlich nicht. Also haben wir das Kinderzimmer nach unten verlegt, in das Zimmer, das für Hausangestellte gedacht war.“

Das ganze Innenleben: ein Gemälde

Die offene Bauweise hatte aber auch Vorteile. „Wenn Maria verdreckt aus dem Kinderladen kam, konnte ich sie in die Badewanne setzen, das Essen zubereiten und mich währenddessen mit ihr unterhalten.“ Die Schiebetüren, die Nischen und Brüstungen waren bei Kindern beliebt: „Wir haben hier unendlich oft Verstecken und Fangen gespielt“, erzählt Marias Mutter, „nur auf den Treppen sind die Kinder öfter mal ausgerutscht und haben sich dann gehörig den Rücken aufgeschrabbelt.“

Die Treppe hat hohe Tritte, ist schwarz gefliest, mit Stahlkante gefasst. Dass Bauhaus weiß ist, ist ein Irrtum. Nur Decken und Wände rund um die Fenster tragen diese Farbe. „Wäre alles weiß, wäre alles lichtzerfressen“, sagt Munkert. Stattdessen führt die schmale Treppe nach oben in Räume mit Azurblau, Dunkelbraun, Anthrazit, Ziegelrot, Cremegelb. In den Durchblicken bilden sich Formen ab, die sich je nach Lichteinfall und Schattenwurf verändern. Für Munkert bot sich ein neues Feld: „Statt selbst zu malen, schaute ich dem Malen zu.“

Das Weltkulturerbe lockt Besucher an

Sie begann zu fotografieren und hat ihre Bilder, die Gemälden gleichen, in dem Buch „Leben im Museum“ bei Quantum Books veröffentlicht. „Durch die Fotografien bin ich den gebauten Bildern Le Corbusiers nahe gekommen. Das hat das Leben in dieser herrischen Architektur sehr bereichert“, schreibt sie dort.

1990 ist Christa Munkert ausgezogen, seit Jahren bietet sie Führungen aus der Perspektive der Bewohnerin an, buchbar über das Weissenhofmuseum. 2002 hatte die Stadt das Doppelhaus gekauft und links das Museum eingerichtet; vermietet war auch die rechte Hälfte seither nie mehr.

Der Besucherstrom wäre für jeden Mieter eine Zumutung. 30 000 Menschen haben 2016 das Museum besucht, und hätte nur ein Prozent von ihnen um Einlass ins bunte Haus gebeten, man hätte fast täglich Fremde im Wohnzimmer. Seit der Ernennung zum Welterbe sind deutlich mehr gekommen und haben auch viel mehr Medien um Zutritt angefragt. So wie es aussieht, behält Christa Munkert Recht: „Das Welterbe rückt diese Architektur mehr ins öffentliche Bewusstsein. Es hat Strahlkraft für Stuttgart.“