Der neue Film „Skyfall“ startet im Kino: Erstmals hat Sam Mendes bei einem James-Bond-Film Regie geführt. Ihm ist im Jubiläumsjahr ein brillanter Beitrag zur fünfzig Jahre alten Kinoserie geglückt.

Stuttgart - Als ferne Silhouette in einem dunklen Flur, so schemenhaft tritt er im ersten Bild seines Jubiläumsfilms auf. Als er mit der Pistole im Anschlag näherschleicht, sieht man seinen Knopf im Ohr, über den er von „M“ (Judi Dench) aus der Londoner Zentrale Anweisungen erhält. Aber er kommt zu spät, die Festplatte mit der Agentenliste ist weg, in der Wohnung liegen zwei tote und ein schwer verletzter Kollege. Er müsse die Blutung stillen, sagt er zu seiner Chefin. „Keine Zeit!“, sagt „M“ eisig. So stürzt er sich hinaus in die Straßen von Istanbul und hinein in eine Hetzjagd, die jetzt zeigen muss, dass dies kein depressiver Verliererfilm wird, sondern jenes aufgedreht-glamouröse Abenteuer, das zum fünfzigsten Geburtstag der James-Bond-Serie erwartet wird.

 

Wenn Daniel Craig nun als stoisch-stählerner Agent 007 dem Killer hinterherhetzt, mit dem SUV die Stände eines Basars umpflügt, mit dem Motorrad ziegelspritzend über Dächer rast und schließlich auf einem fahrenden Zug zum Zweikampf fordert, dann stellt sich der Regisseur Sam Mendes („American Beauty“) nicht nur in die Tradition der Bond-Auftaktsequenzen, dann demonstriert er durch sein Timing, dass er diese Art von Action besser hinkriegt als der schnittwirre Vorgängerfilm „Ein Quantum Trost“. Also wieder alles beim Alten? Nein, nicht ganz, denn nun tauchen mal der Held, mal sein Gegner im Visier von Bonds junger Kollegin Eve (Naomie Harris) auf. Sie bekomme keinen sauberen Schuss, meldet sie der Zentrale. „Schießen Sie!“, befiehlt „M“. Und so fällt der getroffene Bond eine hohe Brücke hinab und diese Geschichte hinein in eine große Krise.

Irgendwo in Asien hängt Bond herum

„This ist the End“, diesen Satz rollt Adele in ihrem dunkel-melodiösen „Skyfall“-Song nun über die morbiden Bilder der Titelsequenz. Eine von nixenhaften Todesbotinnen durchschwebte Nacht- und Unterwasserszenerie, eine surreal-labyrinthische Architektur, in welcher der Held verloren wirkt, und ein Friedhof mit aufgeworfenem Grab. Das darf natürlich nicht das Ende sein, auch wenn „M“ in einem fahlen und verregneten London schon einen Nachruf auf ihren besten Mann schreibt. Der ist aber noch da, allerdings nicht in funktionsfähigem Zustand. Irgendwo in Asien hängt er stoppelbärtig und trüben Blicks im Bett herum, eine Schlampe im Arm, eine Bierflasche in der Hand. Erst als er im Fernsehen sieht, wie das Londoner MI6-Gebäude explodiert, rafft er sich auf, steht plötzlich bei M in der Wohnung und sagt: „Agent 007 meldet sich zum Dienst!“

Und trotzdem findet „Skyfall“, in dem nie die Sonne strahlt, nicht sofort und nie so ganz den Weg zurück in die vertraute James-Bond-Welt. Dieser spannende und düster-elegante Film will sich deren Formeln nämlich nicht unterwerfen, sondern sie infrage stellen. Doch, auch dem Bond der frühen Jahre ist viel passiert, aber der hat alles unbeeindruckt weggesteckt und war nach jeder Auferstehung sofort wieder der fröhliche Killer, Konsument und Endverbraucher. Diesmal aber ist wirklich etwas im Helden zerbrochen, vor allem beginnt er an „M“ zu zweifeln, die vorher so etwas wie eine Ersatzmutter war. Den Aufstand gegen die MI6-Chefin aber wagt dann nicht er, sondern ein früherer Kollege namens Silva (Javier Bardem), der sich zum Herrn digitaler Zerstörungsmaschinen aufgeschwungen hat.

Hier steht auch die Chefin moralisch auf dem Prüfstand

Dieser blonde und flamboyante Silva wurde in den Neunzigern von „M“ aus taktischen Gründen dem Feind geopfert und hat sich damals bei einem missglückten Suizidversuch seine Innereien verätzt. Nun will er Rache, hackt sich in die MI6-Zentrale ein, die sich inzwischen in den gruftigen Untergrund aus Churchills Kriegs- und Bunkertagen geflüchtet hat, und lässt dort Bomben hochgehen und U-Bahn-Züge entgleisen. Auch wenn „Skyfall“ mal in der glitzernden Hochhauswelt von Shanghai, mal in den Casinos von Macau und mal auf einer gespenstischen Insel spielt: im Grunde bringt Silva den Agentenkrieg nach Hause, nach London und später nach Schottland, im Grunde sind diese vielen Explosionen also Teile einer großen Implosion. MI6 steht hier aber nicht nur technisch, sondern auch moralisch auf dem Prüfstand, vor allem seine Chefin, die zu ihrer Rechtfertigung trotzig ein Gedicht des Superpatrioten Lord Alfred Tennyson zitiert.

Der jetzt als brutaler Zyniker agierende Silva aber ist kein „normaler“ Superschurke mit Welteroberungsplänen, sondern so etwas wie ein Wiedergänger, er steht für alle jene, die der britische Geheimdienst im Lauf der Jahrzehnte grausam und bedenkenlos verheizt hat. In den mit der Bond-Serie konkurrierenden Bourne-Filmen ist so ein Ex-Agent, der sich gegen seinen früheren CIA-Arbeitgeber wendet, der Held. So weit kann, so weit will dieses neue 007-Abenteuer nicht gehen. Es muss wenigstens ein paar jener Elemente bieten, die mit einem James-Bond-Film assoziiert werden. Den alten Aston Martin etwa, der nicht nur fahr- , sondern auch schießbereit ist; eine geheimnisvolle Schöne (Bérénice Marlohe), mit der Bond unter die Dusche geht; einen neuen „Q“ (Ben Wishaw), der als junger Computer-Nerd eine kleine komische Note ins Spiel bringt; oder den ernsten Büromenschen Mallory (Ralph Fiennes), der „M“ mit unbequemen Fragen traktiert und auch Bond bedeutet, er sei zu alt, seine Zeit sei eigentlich abgelaufen.

Nur eine Killerdrohne auf zwei Beinen?

Das Alter! Immer wieder wird dieses Thema angespielt, meist gekoppelt mit dem der digitalen Moderne. Was Bond in jahrelanger Feldarbeit anrichte, das könne er in Sekunden am Computer erledigen, behauptet „Q“, und auch Silva zerstört ja gern und immer wieder per Mausklick. James Bond ist quasi der letzte Vertreter der analogen Welt, der es aber noch einmal schafft, den anderen seinen Fleisch-und-Blut-Kampfstil aufzuzwingen.

Doch ist er, wenn er von „M“ ferngesteuert wird, wirklich mehr als eine Killerdrohne auf zwei Beinen? Es ist eine der zentralen Fragen dieses Films, die er zwar nie explizit stellt, um die er aber ständig herumkreist. „Wohin fahren wir?“, fragt „M“ gegen Ende zu ihren Agenten 007. „In die Vergangenheit“, sagt Bond. Aber diese Antwort kündigt eben keine nostalgische Jubiläumsfeier an, sondern eine Introspektion, mehr noch: eine Revision von fünfzig Jahren James Bond. Und wie der Regisseur Sam Mendes es schafft, in diese Welt mehr als nur ein bisschen Johnle-Carré-Skepsis einzuschmuggeln, sie dabei aber nicht zu zerreißen, sondern sehr vital weiterzuführen, das darf man als brillant bezeichnen.