Nach Jamie Cullum und Norah Jones steht am Donnerstagabend nun auch Jan Delay auf der Bühne bei den Stuttgarter Jazz Open. StZ-Autor Ingmar Volkmann erzählt, wie die Karriere des Frontmans der Hip-Hop-Supergroup Beginner begann.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Hamburg - Ein Hinterhof in Hamburg-Ottensen, Feierabend in der Autowerkstatt Sternberg. Eine alte Zapfsäule steht dekorativ in der Gegend herum. Nichts deutet darauf hin, dass sich in den Untiefen der Hinterhofkulisse die Boogie-Park-Studios befinden, in denen Udo Lindenberg oder A-ha ihre Alben aufgenommen haben.

 

Keine Werbetafel und kein Schriftzug sind zu sehen, stattdessen findet sich nach langem Suchen der Name Eißfeldt neben einer Eingangstür, handgeschrieben und mit Tesafilm auf ein Klingelschild geklebt. Da klopft es schon gegen ein Fenster, und Jan Philipp Eißfeldt, besser bekannt als Jan Delay, Kopf der Hip-Hop-Supergroup Beginner, winkt mittelfreundlich herein.

Ein Hauch von WG im legendären Boogie Park Studio

Im Studio dann kein Pomp und kein Tand, stattdessen ein Hauch von WG samt herrlich unordentlicher Küche. Ein paar Mate-Flaschen hier, eine saftig aussehende Kräutermischung dort, auf dem Tisch eine handgeschriebene Playlist für Jan Delay und seine Band Disko No. 1, mit der der 41-Jährige an diesem Donnerstag bei den Jazz-Open in Stuttgart auftritt.

Hingen an den Wänden nicht schön schief und krumm einige Goldene Schallplatten herum, man könnte meinen, der Künstler, der ebensoviele Spitznamen wie Musikstile kultiviert, würde im Zimmer seines 15-jährigen Ich zum Gespräch bitten. Besonders imposant: die Collage aus Guns-’N’-Roses-Panorama, Werder-Bremen-Wimpel und Haftbefehl-Poster. Fast genauso eindrucksvoll: Eißfeldts mittelgute Laune.

Eißfeldt produzierte „Bambule“ im Kinderzimmer unter dem Stockbett

Für die StZ-Serie „Wo alles begann“ lassen sich Prominente an dem Ort interviewen, der für den eigenen Lebensweg von großer Bedeutung war. Bei Jan Eißfeldt alias Jan Delay alias Eizi Eiz alias Boba Ffett hätte das sein Kinderzimmer sein können, wo er das Album „Bambule“ auf zehn Quadratmetern unter seinem Stockbett produzierte. Oder das über die Grenzen Hamburgs bekannte Autonome Zentrum Rote Flora, wo Eißfeldt Dancehall-Partys besuchte, als er 15 Jahre alt war. „Das geht aber nicht wegen diesem Kack-G-20-Gipfel“, sagt Eißfeldt und bittet, das Foto in den Boogie-Park-Studios aufzunehmen, was inhaltlich auch voll okay ist, weil Andreas „Boogieman“ Herbig hier den hanseatischen Erfolgs-Hip-Hop der späten Neunziger mischte und weil Eißfeldt hier später an seinen Solowerken feilte.

Bevor das Interview losgeht, stellt Jan Delay klar, dass er Interviews für eine sehr unschöne Erfindung hält und er froh ist, wenn das Gespräch vorbei ist. Es geht doch nichts über eine lebensbejahende Atmosphäre! Griff in die Besänftigungseinschleim-Kiste: dem Popstar die Kassette zeigen, mit der die Beginner ihr zweites Album beworben haben, Blast Action Heroes. Kassette! Mit Störgeräuschen, damit man die Songs nicht in dieses Internet stellt, wie eine Piepsstimme auf der Aufnahme sagt. Das Tape ist 14 Jahre alt, fühlt sich aber an, als entstamme es prähistorischen analogen Zeiten. Eißfeldt freut sich über dieses Relikt der Hip-Hop-Zeitgeschichte, das nach dem Gespräch ans Technikmuseum in Sinsheim gespendet wird. Das Eis ist gebrochen oder, Achtung, Späßchen im Delay-Kosmos, das Eizi-Eiz ist gebrochen, und Jan Delay erzählt von seiner Kindheit.

Aus dem Saxofon seines Vaters hörte er zum ersten Mal Ska und Calypso-Jazz

Der Vater war Musiker. Er legte den Grundstein für Eißfeldts vielfältiges musikalisches Interesse. Eißfeldt erzählt von Ska und Calypso-Jazz, den er über das Saxofon des Vaters kennenlernte, von den Frank-Zappa- und Bob-Marley-Platten, die er als Kind in Papas Sammlung hörte. Das erste eigene Album? „Sündenknall“ von Udo Lindenberg, Ende der 80er gekauft auf dem Flohmarkt, verdient durch das Verkaufen von Playmobil-Figuren. „Bei Lindenberg dachte ich zum ersten Mal wow, der singt ja, wie man auf der Straße spricht“, erinnert sich Eißfeldt. Später sollte der Rapper dem Rocker zu einem musikalischen Comeback verhelfen, als Udo mit den ersten Skizzen zum Album „Stark wie zwei“ von 2009 zu ihm kam und Delay mäkelte, das Material sei mies. Gemeinsam mit Produzent Andreas Herbig krempelte Eißfeldt das Album um. Der Rest der Geschichte ist bekannt.

Deutschlands „eigensinnigster Rapper“ („Rolling Stone“) rappt in den Boogie-Park-Studios derweil eigene Zeilen aus der Single „Es war einmal . . .“, um seine Anfänge als Musiker zu erläutern. Kann man machen, schließlich textet Eißfeldt auf dem aktuellen Album der Beginner „Alle sind happy, denn der Testsieger rappt wieder“, und Stiftung Warentest lässt via Twitter verlauten, man schließe sich diesem Urteil vollumfänglich an. Eißfeldt schwelgt in musikalischen Erinnerungen. Als seine Mutter, bis vor Kurzem Professorin an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig, in den 80ern nach New York reist („ohne einen Pfennig Geld in der Tasche, für eine Ausstellung“), fährt Eißfeldt mit dem Vater nach Frankreich in den Urlaub – und Rap tritt in sein Leben. „Ich habe im Radio Run DMC gehört, ohne zu verstehen, dass das Rap ist. Später kam meine Mutter aus New York zurück und meinte, da gebe es neue Musik, die könnte mir gefallen.“

Die Goldenen Zitronen nehmen die Beginner unter ihre Fittiche

1991 gründet Eißfeldt auf dem Gymnasium die Band Absolute Beginner, die später nur noch Beginner heißen sollte. „Mit dem Sampler meines Vaters habe ich die ersten Sachen produziert.“ Eißfeldt und seine Mitmusiker gehen aus, „in die Gammel-Läden an der Hafenstraße oder in die Rote Flora“. Hamburgs Punkszene wird auf die jungen Rapper aufmerksam. „Ale von den Goldenen Zitronen hat uns unter seine Fittiche genommen, die haben uns ihre Strukturen zur Verfügung gestellt, deshalb waren wir anfangs sehr nah am Punk dran“, erinnert sich Eißfeldt, zu dessen frühen Förderern auch Rocko Schamoni zählt.

In den 90ern wird Deutsch-Rap von der Achse Hamburg-Stuttgart dominiert

Mitte der 90er richtet sich Eißfeldts Blick immer häufiger nach Stuttgart: „Wir waren ganz früh schon mit den Massiven, Afrob oder Max Herre verbandelt“, sagt Eißfeldt. Die Achse Hamburg–Stuttgart dominiert Deutsch-Rap Ende der 90er, „von Eimsbush bis 0711“ rappt Samy Deluxe über die beiden Pole. Eimsbush für Eimsbüttel wird in Hamburg zum geflügelten Wort wie 0711 als Synonym für Stuttgart. „Zwischen 1996 und 1998 haben wir uns mit unseren Veröffentlichungen gegenseitig angespornt. Sprachlich haben wir uns in der Zeit unheimlich gesteigert. Nur Max Herre nicht, der war davor schon besser als alle anderen“, so Eißfeldt. 1998 setzen die Beginner mit dem von Eißfeldt produzierten Album „Bambule“ schließlich Maßstäbe. Das Werk zählt bis heute zu den besten Genre-Veröffentlichungen.

Eißfeldts weitere Karriere im Schnelldurchlauf: Als Solokünstler veröffentlicht er Reggae-, Funk-, Soul- und Rock-Alben, kommerziell allesamt erfolgreich. Filmemacher Fatih Akin schneidet sein Hamburg-Epos „Soul Kitchen“ um, nachdem Eißfeldt den Film nach einer Privatvorführung heftig kritisiert. Und schließlich wird Eißfeldt Vater und leiht der Comicfigur „Rabe Socke“ seine Stimme. „Erst kürzlich hat mich wieder ein Knirps auf dem Spielplatz angesprochen mit ,Ey, ich kenn’ dich, du bist der Sänger von Rabe Socke!‘“ Mit einem Lachen, so nasal wie die prägnante Jan-Delay-Stimme, verabschiedet sich Eißfeldt von dem Ort, an dem für ihn alles begann.