Noch auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk für Jazzfans? Mit den Bestsellern des Jahres machen Sie nichts falsch. Zu den erfolgreichsten Alben des Jahres 2018 zählen nämlich auch die besten. Auch wenn der Spitzenreiter eigentlich schon 55 Jahre alt ist.

Stuttgart - Das lange verschollene Album „Both Directions at once“ des Saxofonisten John Coltrane ist die erfolgreichste Jazz-Veröffentlichung 2018 in Deutschland. Die im Nachlass von Coltranes erster Frau entdeckte Aufnahme kam 55 Jahre nach ihrer Entstehung auf den Markt und hat Platz eins der Deutschen Jazz-Jahrescharts erobert. Außerdem unter den Top fünf: ein deutsches Duo und ein schwedisches Trio.

 

1. John Coltrane: „Both Directions at once“

Dieses Album ist keine posthumne Resteverwertung, sondern eine reguläre Aufnahme aus dem Jahr 1963 – ein starkes Jahr vor Coltranes Meisterwerk „A Love Supreme“. Der Saxofonist und sein berühmtes Quartett eingespielt – McCoy Tyner am Piano, Elvin Jones an den Drums, Jimmy Garrison am Bass – haben es im Studio des legendären Jazz-Tonmeisters Rudy Van Gelder eingespielt. Das Werk zeugt von der immensen kreativen Spannung innerhalb dieses Quartetts, von der Intensität des Zusammenspiels und dem Forscherdrang, neues Klangterritorium zu erschließen. Coltrane bläst sich am Sopransaxofon stellenweise in wahre Ekstase. Man spürt, dass er an der Schwelle zu neuen Ufern war, die er dann ja auch gefunden hat.

2. Till Brönner und Dieter Ilg: „Nightfall“

Der Trompeter Till Brönner, der Popstar unter den deutschen Jazzern, hat sich mit dem Freiburger Kontrabassisten Dieter Ilg zusammengetan, der einst schon mit dem Saxofonisten Charlie Mariano im Duo musizierte. Die beiden spannen im Dialog einen weiten, sauberen Bogen, huldigen Ornette Coleman, den Beatles, Leonard Cohen und der blauen Stunde.

3. Kamasi Washington: „Heaven and Earth“

Kamasi Washington, 1981 geboren in Los Angeles, bringt den Jazz zurück unter die Leute. Er formuliert ein gegenwärtiges Echo der schwarzen Bürgerrechtsbewegung der 60er und 70er Jahre mit einem exzellenten Musikerkollektiv, das klingt, als würde es für eine höhere Sache spielen. Auf „Heaven & Earth“ nimmt er den Faden von Vorbildern wie Miles Davis („Bitches Brew“), John Coltrane („A Love Supreme“) und Curtis Mayfield („Roots“) auf, ohne sich anzubiedern – und er macht den Jazz wieder zugänglich für all jene, die ihn auf diffuse Art für anstrengend hielten. Die zweieinhalbstündige Bürgerrechts-Oper mit Chor und Orchester greift weit aus bis in die Gospeltradition – da funkelt die Hippie-Sonne völlig neu, unbeschwert von historischem Ballast.

4. Melody Gardot: „Live in Europe“

Die Amerikanerin mit der gesalbten Stimme ist nach einem schweren Verkehrsunfall im Jahr 2003 zurückgekommen – und mischt in ihren leicht zugänglichen Songs Jazz, Blues, Soul und große Pop-Melodien.

5. E.S.T.: „Live in London“

Auch zehn Jahre nach dem Unfalltod des schwedischen Pianisten Esbjörn Svensson ist das nach ihm benannte Jazz-Trio noch das Maß aller Dinge. Svensson, der Bassist Dan Berglund und der Drummer Magnus Öström haben dem Jazz neuen Sauerstoff eingeflößt und gelangweilten Pophörern eine Tür geöffnet. Spielend konnten E.S.T. Stimmungen, Emotionen und Erinnerungen ins Bewusstsein befördern. Die Intensität ist nachzuhören auf diesem Album, das 2005 aufgezeichnet wurde. Stücke der zentralen Werke „Strange Place for Snow“ (2002), „Seven Days of Falling“ (2003) und „Viaticum“ (2005) – bis auf „Behind the Yashmak“ andere als auf „Live in Hamburg“ (2007) – fügen sich hier zum würdigen Vermächtnis.