Am Klavier wird Keith Jarrett zum Magier, ob mit frei improvisiertem Jazz oder mit klassischer Musik. Der Pianist wird zu den besten Musikern der Welt gezählt. Jetzt wird Jarrett 75 Jahre alt - und gibt Zugaben.

New York - Wenn Keith Jarrett an sein „Köln Concert“ zurückdenkt, dann kommen ihm erst mal negative Erinnerungen. „Ich denke an das schlechte italienische Essen, das mir serviert wurde, bevor ich anfangen sollte zu spielen“, erzählte der Pianist dem US-Radiosender NPR. „Ich denke daran, dass sie das falsche Klavier gemietet hatten.“ Es habe „schrecklich“ geklungen, und beinahe sei das frei improvisierte Konzert nicht aufgenommen worden. Aber dann klappte es doch, und danach habe er sich die Aufnahme gemeinsam mit seinem Produzenten Manfred Eicher im Auto auf Kassette angehört. „Und wir haben uns angeschaut und gesagt: „Oh Mann. Das müssen wir veröffentlichen.“

 

Erfolgreichstes Soloalbum des Jazz

Inzwischen ist „The Köln Concert“ von 1975 längst legendär und mit mehr als 3,5 Millionen verkauften Kopien das erfolgreichste Soloalbum der Jazz-Geschichte. Es machte Jarrett, der am 8. Mai 2020 75 Jahre alt wird, weltberühmt - und doch ist es nur ein sehr kleiner Teil seines umfassenden Werkes, das immer noch wächst und wächst. Der Pianovirtuose begeistert sein Publikum mit der Interpretation klassischer Komponisten ebenso wie mit seinem Jazz. Solo ist Jarrett ein Meister - aber auch mit seinem Trio, zu dem der Bassist Gary Peacock und der Schlagzeuger Jack DeJohnette zählen, feierte er große Erfolge.

„Mit seinen wunderschönen Melodien, seiner konsistenten Qualität in verschiedenen Stilen und dem Reichtum seiner Veröffentlichungen ist Jarrett so viel mehr als nur der beste Klavierspieler der Welt“, schwärmte jüngst der britische „Guardian“. „Er ist auch der großartigste lebende Musiker.“

Bloß kein Husten

„Wofür ich bezahlt werde, ist, in die Tiefe zu gehen“, sagte Jarrett einmal der „New York Times“. „Wie im Tauchanzug mit Maske, tief und immer tiefer.“ Ein gutes Publikum lasse sich von ihm mitziehen, „wird Teil meiner Musik“. Unruhe unter seinen Zuhörern, ein Husten, Handy oder Blitzlicht aber bringen ihn aus der Fassung. Dann rastet er auch mal aus, droht, das Konzert abzubrechen, flucht und maßregelt.

Stimmt aber die „emotionale Farbe“ in einer Konzerthalle, „ist das Publikum bereit, mir zu folgen, ganz gleich, durch welchen Prozess ich gehe“, kennen seine Kreativität und Fantasie keine Grenzen. Dann improvisiert er vom ersten Anschlag bis zum Applaus, manchmal ohne ein einziges Mal auszusetzen. Da sich Jarrett in seinen Improvisationen nie wiederholt, ist jedes Konzert ein neues Werk.

Chronische Erschöpfung

Geboren wurde Jarrett 1945 als ältester von fünf Söhnen in eine streng religiöse Familie im US-Bundesstaat Pennsylvania hinein. Schon als kleines Kind bekam er Klavierunterricht, mit sieben Jahren gab er sein erstes Konzert, mit zwölf ging er auf Tourneen, 17-jährig füllte er ein Abendprogramm ausschließlich mit eigenen Kompositionen, und schon bald spielte er mit Stars wie Charlie Haden und Miles Davis.

Seit Jahrzehnten prägt Jarrett die Szene und gehört zu den erfolgreichsten Musikern der Welt. In den 90er Jahren musste sich der vielfach preisgekrönte Pianist eine Auszeit nehmen, litt unter chronischer Erschöpfung und konnte nicht mehr spielen. Als die Kraft langsam zurückkehrte, musste er seine Virtuosität neu erlernen. „Alles war anders. Ich habe Musik und ihre Bedeutung anders empfunden.“ Inzwischen legt Jarrett, der zum dritten Mal verheiratet ist und zwei Söhne hat, mehr Pausen ein, um sich zu Hause auf seiner Farm in der 2000-Seelen-Gemeinde Oxford in New Jersey zu erholen.