Seit Oktober 2015 hat Jens Rommel die Zentrale Stelle in Ludwigsburg geleitet. Nun wechselt der oberste Nazi-Jäger der Republik als Richter an den Bundesgerichtshof. Was er aus seiner Sicht erreicht hat und wie ihn die Arbeit verändert hat, erzählt er im Interview.

Digital Desk: Michael Bosch (mbo)

Ludwigsburg/Karlsruhe - Im Aktenschrank liegt noch ein verwaister Ordner, Jens Rommel, oberster Nazi-Jäger der Bundesrepublik, hat seine Sachen im Büro in der Schorndorfer Straße zusammengepackt. An diesem Montag tritt er seine neue Stelle am Bundesgerichtshof in Karlsruhe an.

 

Herr Rommel, wie fällt das Fazit Ihrer Arbeit in Ludwigsburg aus?

Eine Bilanz im Sinne einer Erfolgserzählung lässt sich bei dem Thema natürlich nicht aufmachen. Es leben schlicht zu wenige Täter oder sind noch verhandlungsfähig. Ich glaube aber, dass wir die Jahre genutzt haben, um das heute noch Mögliche redlich voranzubringen. Wir haben in meiner Zeit hier vor allem gegen Personal aus Konzentrationslagern ermittelt – angefangen mit Auschwitz und Majdanek als Kern. Und dann haben wir den Kreis weitergezogen. Die Aufarbeitung, wer dort gearbeitet hat, ist meiner Meinung nach geglückt.

Was gibt es dann für Ihren Nachfolger überhaupt noch zu tun?

Im Moment wird noch ermittelt zu Dachau, Mittelbau, Groß-Rosen oder Flossenbürg. Das sind Lager, die wir derzeit prüfen. Und dann haben wir die Entscheidung getroffen, dass wir in den kommenden Jahren die Einsatzgruppen anschauen, also Polizeieinheiten, die vor allem nach dem Überfall auf die Sowjetunion Menschen erschossen haben. Hinzu kommen Kriegsgefangenenlager, wo aus rassistischen Gründen sowjetische Gefangene millionenfach zugrunde gegangen sind.

Wie groß ist denn die Chance, künftig noch jemanden, der an den Gräueln beteiligt war, vor Gericht zu bringen?

Wir haben zuletzt zu den Jahrgängen 1927 zurück bis 1921 ermittelt. Das heißt, die Leute sind zwischen 93 und 99 Jahre alt. Und dann sind ja nicht alle Verbrechen erst im Jahr 1945 begangen worden. Das heißt, es wird extrem schwierig, in den nächsten Jahren noch auf Lebende und Verhandlungsfähige zu stoßen. Das können wir aber nicht ändern.

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Gibt es denn noch blinde Flecken bei der Aufarbeitung der NS-Verbrechen?

Es sind sicher viele Dinge nicht richtig in den Blick geraten. Ganz klar lässt sich das sagen für die echten Kriegsverbrechen – sei es im Osten, sei es in Norditalien, in Frankreich. Sie waren aber von Anfang an von unserer Verantwortlichkeit ausgeschlossen.

Wie hat Sie die Arbeit und der Umgang mit diesen Verbrechen in den vergangenen Jahren denn persönlich verändert?

Die Arbeit verändert jeden, der sich mit den Verbrechen beschäftigt. Es ist belastend, tagein tagaus mit Massenmord zu tun zu haben, wo Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit, ihrer Herkunft oder anderer Diskriminierungsmerkmale getötet worden sind. Es gab Tage, an denen ich das mit nach Hause genommen habe und es gab Tage, da konnte ich es leichter wegschieben. Vielleicht auch, weil wir es hier nur mit Papier zu tun haben.

Gibt es denn Fälle aus Ihrer Zeit in Ludwigsburg, die Sie besonders in Erinnerung behalten werden?

Der Fall von Oskar Gröning, dem Buchhalter von Auschwitz, prägt die Gegenwart. Er war schon verurteilt in erster Instanz, als ich nach Ludwigsburg gekommen bin. Aber es kam dann zu einer Entscheidung des BGH im Jahr 2016, seitdem wir nicht im Einzelfall nachweisen müssen, was jemand an einem einzelnen Tag gemacht hat. Sondern dass es reichen kann, wenn man durch seinen Dienst in einer bestimmten Funktion die Mordmaschinerie am Laufen gehalten hat.

Hat Ihre Arbeit in der Zentralen Stelle auch Auswirkungen darauf, wie Sie gesellschaftliche Entwicklungen heute wahrnehmen?

Man wird natürlich sensibler – auch für Verschiebungen, die in den letzten Jahren stattgefunden haben. Ich hätte vor fünf Jahren nicht gedacht, dass wir Hinweise brauchen auf das Ausmaß des Holocausts und seine Bedeutung für die deutsche Geschichte. Das hat sich in der politischen und teilweise auch in der gesellschaftlichen Diskussion völlig verschoben.

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Hat Sie das auch persönlich betroffen?

Ende 2015, Anfang 2016 gab es zwei Morddrohungen, die ich auch an die Polizei weitergegeben habe, weil sie sehr konkret klangen. Sie haben sich allerdings als harmlos herausgestellt. Das hat sich dann aber beruhigt. An den Zuschriften, die wir erhalten, hat sich eigentlich nichts Wesentliches geändert. Darin wird immer wieder die Frage gestellt: ‚Was wollt ihr noch mit den alten Männern?‘, ‚Habt ihr nichts Wichtigeres zu tun?‘, ‚Sind das wirklich die Richtigen, die heute vor Gericht stehen?‘ Das sind ganz wichtige Fragen, die man auch sehr sorgfältig beantworten muss. Es gab aber auch Aussagen, dass man das alles umkehren werde, wenn man selbst am Ruder ist oder gar sich die Leute vorknöpft, die diese Strafverfolgung betrieben haben.

Was für ein persönliches Fazit ziehen Sie denn für Ihre Zeit in Ludwigsburg?

Das war ja eigentlich eine Rückkehr für mich, meine Eltern sind beide hier groß geworden und haben sich hier auch kennengelernt. Insofern waren Blüba und Märchengarten eigentlich das, was ich von den Besuchen bei den Großeltern kannte. Ich habe mich sehr wohl gefühlt, in der Stadt aber auch in der Behörde. Man kann kaum sagen, dass es einem Spaß macht, aber es ist eine sehr reizvolle Aufgabe. Unabhängig von Zahlen und von Erfolgen hatte ich das Gefühl, an etwas Wichtigem mitzuarbeiten – so an der Nahtstelle von Juristerei, Politik und Geschichte. Und das zu sehen, wie das ineinander wirkt, habe ich als hoch spannend empfunden.

Trotzdem sind Sie nicht lange geblieben…

Ja, das ist aber immerhin länger als alle anderen meiner beruflichen Stationen. Mich hat es nicht weggedrängt, aber ich hatte die Chance, mich für die Wahl zum Bundesrichter aufstellen zu lassen. Und das ist für einen Strafjuristen schon eine einmalige Gelegenheit, am höchsten deutschen Strafgericht am Ende der Verfahren endgültig zu entscheiden.