Jim Jarmuschs Eröffnungsfilm „The Dead Don’t Die“ in Cannes ist waschechtes Zombie-Kino. Der Regisseur verknüpft den Horror mit dem Appell, sich gegen Klimawandel und Konsumwahn aufzulehnen. Und wie hält es das Festival selbst mit dem Umweltschutz?

Cannes - Auf Fragen nach Umweltschutz und Klimawandel hatte der Festivaldirektor Thierry Frémaux hörbar keine Lust, als er kurz vor Beginn der 72. Internationalen Filmfestspiele von Cannes danach gefragt wurde, wie es das Festival mit seiner Ökobilanz hält. Doch andere Menschen beschäftigen sich dieser Tage intensiv mit solchen Themen – und so spielten sie prompt im Eröffnungsfilm „The Dead Don’t Die“ von Jim Jarmusch, der am Dienstagabend seine Weltpremiere feierte (und am 13. Juni in die deutschen Kinos kommt) eine zentrale Rolle.

 

Das, was Cliff Robertson (Bill Murray) und Ronald Peterson (Adam Driver), Polizisten im beschaulichen, keine 800 Einwohner zählenden Örtchen Centerville, an irritierenden Phänomenen wahrnehmen, geht in „The Dead Don’t Die“ weit über heiße Sommer hinaus. Während sonst ein Hühnerdiebstahl schon zu den aufregendsten Verbrechen zählt, die es aufzuklären gilt, verschwinden nun die Tiere plötzlich reihenweise, Uhren und Handys setzen aus, und die Sonne scheint auch kaum mehr unterzugehen.

Vor allem aber erwachen – ausgelöst durch Fracking an den Polarkreisen und eine dadurch veränderte Erdrotation – die Toten in Centerville wieder zum Leben, denn Jim Jarmuschs neues Werk ist ein waschechter Zombiefilm. Wobei natürlich falsch liegt, wer nun einen klassischen, auf Horror fokussierten Genre-Beitrag erwartet. Anders als der Werbetrailer vermuten lässt, ist „The Dead Don’t Die“ ein typischer Jarmusch: eine lakonische, mit beseelter Ruhe erzählte Komödie zwischen Fatalismus und Hoffnung, voller schräger Momente und mit einem prominenten Ensemble, in dem neben Driver vor allem Tilda Swinton als seltsame Bestatterin brilliert und sich auch Tom Waits, Iggy Pop oder Popstar Selena Gomez die Ehre geben.

Die Zombies gelüstet es nach billigem Wein

Den Ursprüngen des modernen Zombie-Kinos bleibt Jarmusch allerdings ohne Frage treu. Wo schon George Romero in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern die Untoten als Metapher zur Kapitalismuskritik nutzte, haut Jarmusch nun in die gleiche Kerbe. Auch in „The Dead Don’t Die“ geht es nicht nur um die Folgen der Umweltzerstörung, sondern sind die Zombies gleichzeitig Täter wie Opfer eines zügellosen Materialismus: Ihnen gelüstet mindestens so sehr wie nach Blut auch nach W-Lan-Zugang oder billigem Chardonnay.

Seine Botschaft bringt Jarmusch jedoch allzu überdeutlich an den Zuschauer, was dem Film ein wenig die Leichtigkeit nimmt und vor allem nie eine etwas tiefer gehende Intellektualität aufkommen lässt, wie sie etwa seinen letzten Genre-Abstecher, die Vampirgeschichte „Only Lovers Left Alive“, ausmachte. Stattdessen verpasst er „The Dead Don’t Die“ noch eine Metaebene, in dem er an zwei Stellen seine beiden Protagonisten darüber sprechen lässt, dass sie sich in einem Jarmusch-Film befinden. Zu den reichlich vorhandenen gelungenen Szenen des Films gehört diese überflüssige, zu wenig ausgearbeitete Idee allerdings nicht.

Jarmusch: „Uns läuft die Zeit davon“

Zu diesem selbstreferenziellen Aspekt seiner neusten Arbeit hatte Jarmusch bei der Festivalpressekonferenz am Dienstag auch prompt wenig zu sagen. Beim ökologischen Grundthema des Films wurde er umso gesprächiger: „Nichts bereitet mir mehr Angst und Sorgen als die rasante Zerstörung unserer Natur. Und es verstört mich, dass wir uns so schwer damit tun, diese Gefahr zu thematisieren, obwohl doch die Existenz aller Lebewesen auf diesem Planeten bedroht ist.“ Als politischen Film will er das Werk allerdings nicht verstanden wissen: „Umweltzerstörung und Klimawandel sind für mich keine politischen Themen, sondern gehen uns alle an. Die Politik scheint ja diesbezüglich kaum etwas bewirken zu können. Aber wir alle haben die Sache in der Hand. Wir könnten beispielsweise durch einen Boykott ganze Konzerne niederringen. Allerdings läuft uns die Zeit davon.“

Sich vollkommen dem Fatalismus hingeben will Jarmusch dennoch nicht, selbst wenn auf der Leinwand Adam Driver ein ums andere Mal raunt: „Das wird nicht gut ausgehen.“ Anlass zur Hoffnung sieht der Regisseur nicht zuletzt in der jungen Thunberg-Generation, die auch im Film besser wegkommt als so manch anderer. Und immer wenn auf dem Podium der Pressekonferenz allzu viel Weltuntergangsstimmung heraufbeschworen wurde und etwa Gomez vor den Gefahren sozialer Netzwerke warnte, kam glücklicherweise der im Film etwas unterforderte Bill Murray zu Wort. Was ihm Angst mache, sei Cannes, scherzte der Schauspieler, und schob dem Kommentar, an der Croisette liefen immerhin keine Zombies herum, hinterher: „Das sagen Sie!“

Alain Delon als „schwulenfeindlicher Sexist“ kritisiert

Festivaldirektor Frémaux sieht sich derweil längst mit anderen Themen und Diskussionen konfrontiert. Ein Jahr, nachdem Sexismus und Gewalt gegen Frauen nicht nur im Nachklang der Weinstein-Enthüllungen Dauerthema in Cannes waren, stößt die Entscheidung, am Sonntag die Ehrenpalme ausgerechnet dem französischen Schauspieler Alain Delon zu verleihen, auf heftige Kritik. Der 83-Jährige hat mehrere Vorwürfe häuslicher Gewalt in der Vergangenheit nicht bestritten, außerdem sorgte er mehrfach mit homophoben Äußerungen ebenso für Unmut wie mit seinen Sympathien für die rechte Politikerin Marine Le Pen.

„Alain ist ein alter, depressiver Ex-Filmstar, der in Fernsehtalkshows frauenfeindliche und homophobe Beleidigungen von sich gibt“, wird die Schauspielerin Carole Raphaelle Davis, Mitinitiatorin der französischen Metoo-Bewegung zitiert. „Das Festival sollte sich nicht immer nur um alte weiße Männer kümmern, sondern statt eines schwulenfeindlichen Sexisten lieber eine Frau auszeichnen.“

Eine Internetpetition, den Preis nicht an Delon zu verleihen, wurde bereits mehr als 20 000 Mal unterzeichnet. Dass man sich davon beim Festival in Cannes beeindrucken lässt, ist wenig realistisch. Dass Thierry Frémaux als Chef dieser nicht zuletzt als Medienspektakel funktionierenden Großveranstaltung den Finger bemerkenswert wenig am Puls der Zeit zu haben scheint – das belegt diese Debatte noch deutlicher als etwa sein Unwille, über Plastikbecher und Espresso-Kapseln zu diskutieren.